Serientäter

«Blood & Water»: Südafrikas zweite Netflix-Serie

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Man nehme den Schauplatz Eliteschule («Élite»), mische diesen mit einem dunklen Geheimnis («Tote Mädchen lügen nicht») – fertig ist das neueste serielle Netflix-Teendrama. «Blood & Water» heißt es, spielt in Südafrika und fängt vielversprechend an. Aber kann es die hohen Erwartungen auch halten?

Cast & Crew

  • Darsteller: Ama Qamata, Khosi Ngema, Gail Mbalane, Thabang Molaba, Dillon Windvogel, Arno Greeff, Ryle de Morny, Greteli Finchem, Sandi Schultz, Sello Maake Ka-Ncube.
  • Showrunner / Regie / Drehbücher: Nosipho Dumisa, Travis Taute, Daryne Joshua
  • Produzenten: Bradley Joshua, Benjamin Overmeyer, Tascha van der Westhuizen
  • Kamera: Zenn van Zyl
  • Schnitt: Simon Beesley, Andrea Shaw, Tessa Verfuss
Der Einstieg in die zweite südafrikanische Netflix-Serie ist auf jeden Fall verstörend, aber auch packend. Im Hause Khumalo wird der siebzehnte Geburtstag von Phumelele, der ältesten Tochter, gefeiert. Die Khumalos sind Angehörige der südafrikanischen Mittelschicht. Es geht ihnen gut, weder sind sie sonderlich wohlhabend, noch müssen sie jeden Rand zweimal umdrehen. Auf den ersten Blick sind die Khumalos eine glückliche Familie. Doch ein Schatten liegt über der Szenerie, dessen Auflösung nur als ein Schlag in die Magengrube verstanden werden kann: Phumelele, deren Geburtstag gefeiert wird, ist nicht anwesend. Phumelele ist als kleines Kind entführt worden und ihr Vater geriet gar in den Verdacht, sein Kind verkauft zu haben. Tatsächlich konnte er diesen Verdacht nie vollständig aus der Welt räumen. Und so kommt es an diesem Tag auch zu einem Streit zwischen Phumeleles Mutter Thandeka und ihrer Tochter Puleng.

Puleng ist 16 und hat keine direkten Erinnerungen an ihre Schwester. Ihr Bruder ist sogar erst viele Jahre nach Phumeleles Verschwinden geboren worden. Dennoch wird jedes Jahr dieser Geburtstag gefeiert. Puleng fühlt sich wie eine Ersatztochter, die Zweitgeborene, die auf eine nette Schule gehen darf, der es an nichts mangelt, die aber niemals aus dem Schatten der Erstgeborenen heraustreten darf. Kritik an Phumelele ist sakrosankt, ab dem Moment, in dem sich die Hintergründe der Geburtstagsfeier erschließen, ist mit jeder Einstellung, jedem Moment der Druck zu spüren, der auf Pulengs Schultern lastet. So freundlich und nett das Umfeld, in dem Puleng aufwächst, auf den ersten Blick erscheinen mag: Die Enge, die sie empfindet, lässt sich mit Händen greifen. So überrascht es nicht, dass sie an diesem Tag aus dieser ritualisierten Show ausbrechen muss. Die Chance bietet ihr ihre beste Freundin Zama, die einen Jungen aus einem der edelsten Vierteln Kapstadts kennengelernt und der sie zu einer Party eingeladen hat.

In diesem Umfeld, in dem Sicherheitsdienste die Unversehrtheit der Anwesenden garantieren und die Häuser alle einen Tick zu groß sind, als dass man sie nicht als Stein gewordene Protze bezeichnen möchte, würde ein Mädchen wie Puleng unter normalen Umständen nicht einen Schritt über eine der edlen Hochsicherheitstürschwellen setzen können, ohne von einem Sicherheitsdienst zurück nach Hause geleitet zu werden. Doch heute hat sie – Glück? Zunächst lernt sie Wade kennen, der wie sie irgendwie falsch am Platz zu sein scheint. Wade ist auf der Schule des Sohnes des Hausbesitzers – weil seine Mutter zufällig die Direktorin ist. Damit ist Wade ein Außenseiter in diesem Umfeld, allerdings ist er ein guter Fotograf und so lädt man ihn gerne ein, damit er die reichen Kids in ihrem natürlichen Umfeld ablichtet. Es ist keine Frage, dass Wade Puleng sympathisch findet. Aber dann ist da Fikile. Deren Geburtstag gefeiert wird. Heute. An dem Tag, an dem Pulengs Schwester Geburtstag gefeiert hätte. Und dann ist da ihr Gesicht, in dem sich Puleng zu verlieren scheint. Die Augen. Der Mund. Wenn ihre Schwester noch leben sollte, dann würde sie aussehen wie dieses Mädchen. Davon ist Puleng überzeugt.

Viel Zeit, aber...


«Blood & Water» nimmt sich sehr viel Zeit, um Puleng einzuführen und schließlich ihr Zusammentreffen mit Fikile zu initiieren. Gerade aufgrund der Tatsache, dass sich die Macher so viel Zeit nehmen, wirkt dieses zufällige Zusammentreffen keinesfalls konstruiert. Es ist ein Zufall, mit Sicherheit. Doch genau das ist der Punkt: Es braucht genau diesen Zufall, um Pulengs Leben auf den Kopf zu stellen. Gerade weil sich die Geschichte viel Zeit für vermeintliche Nebensächlichkeiten nimmt, wirkt Puleng zu diesem Zeitpunkt gegen Ende der ersten Episode bereits ungemein vertraut.

Nun gelingt es den Autoren mit der zweiten Episode, einen neuen Spielort einzuführen, ohne damit einen Bruch zu den etablierten Spielorten der ersten Folge und ihren Figuren zu riskieren. Aufgrund einiger Probleme, die Puleng auf ihrer Schule hat, die sich schließlich in einem handfesten Streit mit einem anderen Mädchen entladen, ist Puleng gezwungen, die Schule zu wechseln. Nun ist sie eine gute Schülerin und als solche erlangt sie ein Stipendiat für Wades – und Fikiles – Pankhurst College. Jene Schule, die von den Kindern der Oberschicht Kapstadts besucht wird, wo die Hautfarbe egal ist, da man über den Status der Eltern definiert wird. Eltern, die reich sind. Oder Politiker. Mädchen wie Puleng sind hier wenige anzutreffen. Doch Puleng gelingt es relativ schnell ihre Außenseiterposition für sich zu nutzen. Sie ist die Neue. Sie hat eine tragische Familiengeschichte (ihr Vater wird verhaftet, der Fall neu aufgerollt – für ihre Mitschüler ist das weniger dramatisch als vielmehr ziemlich cool), und sie findet auf diesem Weg schnell einen Draht zu Fikile. Die ist so etwas wie der Star der Schule, das wichtigste Mädchen. Sie ist intelligent, sie entstammt einem stinkreichen Elternhaus, sie ist eine hervoragende Sportlerin - in allem, was sie macht, ist sie einen Tick besser als die anderen. Und Puleng dreht an allen Schrauben, um Fikile in ihrer Gegenwart ein gutes Gefühl zu geben und ihr so nahe wie möglich zu kommen.

Diese Ausgangssituation ist natürlich reizvoll. Ist Fikile in Wahrheit Pulengs Schwester? Immer wieder tauchen Indizien auf, die diese Möglichkeit nicht ausschließen. Gleichzeitig aber entwickelt Puleng eine Besessenheit, die manische Züge annimmt. Sie, die sie dem Schatten ihrer verschwundenen Schwester endlich entkommen wollte, gibt de facto ihre Persönlichkeit auf, um eine Puleng zu kreieren, deren gesamte Existenz allein von dem Gedanken getragen wird, dass Fikile in Wahrheit ihre Schwester ist. So kommt sie sehr bald an einen Punkt, an dem sie kategorisch ausschließt, dass sie sich irren könnte.

Leider aber ist das alles nur ein Teil der Geschichte. Mit der zweiten Episode nämlich werden eine ganze Reihe Kinder reicher Eltern in Pulengs Welt eingeführt, die ein Leben jenseits der Notwendigkeit führen, sich selbst einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen zu müssen. Sie sind reich, sie sind privilegiert, die Welt wurde für sie erschaffen. So verhalten sie sich hedonistisch, überheblich. Da gibt es dann die fast unvermeidliche Affäre mit einem Lehrer, da ist das über-engagierte Mädchen (die Herausgeberin der Schulzeitung), ihres Zeichens Tochter einer Ministerin, die ihren Kleinkrieg mit den „wichtigen“ Schülerinnen und Schülern führt – und so weiter. Das alles ist ja nicht langweilig anzuschauen und erinnert an «Gossip Girl», ganz stark natürlich an «Élite» (ein Crossover der beiden Serien sollte niemanden überraschen) sowie den bereits 1999 entstandenen, großartigen Teen-Thriller «Eiskalte Engel», der die Handlung des Romans «Gefährliche Liebschaften» von Choderlos de Laclos aus dem spät-monarchistischem Frankreich des 18. Jahrhunderts ins Los Angeles der Gegenwart versetzte und inzwischen so alt ist, dass das junge Zielpublikum ihn schon nicht mehr kennt, weshalb die Macher der Serie sich recht ungeniert an seiner Atmosphäre bedienen können.

Die Vorbilder sind nicht zu übersehen, allein findet die Serie keinen eigenen Rhythmus, da sie nie so ganz genau weiß, ob sie eine Mystery-Reihe sein will, eine Hochglanz-Teen-Soap – oder beides. Sie ist alles, aber eben nicht in einer Waagschale, in der sich die Zutaten letztlich die Waage halten. Im besten Fall ist die Serie überambitioniert, im schlechtesten überladen. Dass sie nicht irgendwann kippt, ist der geringen Episodenanzahl zu verdanken: Sechs Kapitel umfasst die Serie gerade einmal und, so viel Spoiler darf sein, würde Netflix nach einer Staffel den Stecker ziehen, dann würde die Geschichte sogar ein Ende finden. Ein Ende mit vielen offenen Fragen, sicherlich, aber zumindest keinem Moment, in dem eine Antwort in der Luft liegt, sich ein schwarzes Bild über den Bildschirm legt und dann – niemals auch nur den Hauch einer Auflösung erfährt, weil es einfach keine zweite Staffel geben wird. Die scheint derweil beschlossene Sache zu sein.

Etwas mehr Gleichgewicht innerhalb der verschiedenen Handlungssegmente, und «Blood & Water» hätte das Potenzial gehabt, Spuren zu setzen. Die Geschichte der verschwundenen Schwester und die Folgen für die Familie, das ist in dieser Form wirklich packend. Doch durch das fehlende Gleichgewicht, reißt immer wieder die emotionale Bindung zu den handelnden Figuren ab. Dann ist «Blood & Water» nur noch ein Teen-Drama von der Stange. Unterhaltsam, keine Frage. Aber ohne bleibenden Mehrwert.

«Blood & Water» ist auf Netflix verfügbar.

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