Die Kritiker

«Weil du mir gehörst»

von

Bevor sie zu ihrem Vater geht, erzählt das achtjährige Mädchen dem Richter, möchte es lieber tot sein. Es ist harter Tobak, den der Prolog des SWR-Fernsehspiels seinen Zuschauer bereits in den ersten Minuten zumutet. Diese Geschichte wird nicht fröhlich enden. Das steht nach diesem Prolog fest.

«Weil du mir gehörst»

Darsteller: Julia Koschitz (Julia), Felix Klare (Tom), Lisa Marie Trense (Anni), Marie Collet (Jenny), Teresa Harder (Elvira), Lutz Blochbeger (Horst), Monika Lennarzt (Heidi)
Buch: Katrin Bühling
Regie: Alexander Dierbach
Kamera: Jan Blumers
Schnitt: Biljana Grafwallner-Brezovska
Musik: Sebastian Pille
Produzenten: Anemone Müller (Producerin), Simone Häller, Michael Smeaton.
Julia und Tom sind zwei Mittdreißiger. Äußerlich ohne besondere Merkmale. Ihre Ehe ist jedoch gescheitert, auf der Strecke ist dabei Anni, ihre Tochter geblieben. Ihr Vater, erzählt sie dem Familienrichter, habe sie und ihre Mutter geschlagen. Er sei vielleicht kein böser Mann. Aber doch ein Mann, den das Leben überfordere. Die sehr gewählten Worte des Mädchen wecken in dem Richter Misstrauen. Irgend etwas stimmt an dieser Geschichte nicht. Aber was?

Die Handlung des Prologs ist nun zeitlich nach den nun folgenden Geschehnissen angesiedelt. Nein, die Geschichte springt nun nicht so weit zurück, dass wir als Zuschauer erfahren, warum die Ehe von Julia und Tom genau gescheitert ist. Dies ist bereits Vergangenheit. Aber nach und nach entwickelt sich ein erschreckendes Bild, das mit der Aussage Annis kollidiert. Das, was sie erzählt, ist nicht das, was geschehen ist. Es ist das, was ihre Mutter will, das sie erzählt. Dabei jedoch geht die Mutter so eindringlich, geschickt und letztlich skrupellos vor, dass Anni längst über den Punkt hinaus ist, an dem sie das, was ihre Mutter von ihr verlangt, von der Realität unterscheiden kann. Die Worte ihre Mutter sind Realität und als solche hegt Anni an ihren eigenen Worten keinen Zweifel.

Ein finsteres Lächeln
Nach einem Drehbuch von Katrin Bühlig hat Alexander Dierbach, der es zuletzt mit der Sebastian Fitzek-Verfilmung «Passagier 23» eher krachend angehen ließ, einen ruhigen Schauspielerfilm inszeniert, in dem vor allem Julia Koschitz überzeugen kann. Es sind oft kleine Gesten, die nur dadurch, dass die Kamera sie bewusst einfängt, die Abgründe eröffnen, die in Julia brodeln. Da ist etwa jene Szene vor einer Familienrichterin, welche Tom für drei Monate das Umgangsrecht entzieht. Wirkt Julia bis zu diesem Moment vor Gericht gefasst, wie ein Scheidungsopfer, das sich ihre Selbstachtung nicht nehmen lässt und um ihr Kind kämpft, verantwortungsvoll, stets darauf bedacht, das Kind aus dem dreckigen Scheidungskrieg der Eltern herauszuhalten – ist da mit einem Mal ein Lächeln, das über ihre Wangen huscht. Kein Lächeln der Erleichterung über das Urteil der Richterin. Nein, es ist das Lächeln einer Siegerin. Nur kurz lässt sie es aufblitzen, bevor sie in ihre Rolle zurückkehrt.

Böse ist Julia aber nicht. Zumindest nicht, wenn man ein klassisches Gut-Böse-Schema als Beurteilungsgrundlage zur Bewertung heranzieht. Die Schauspielerin selbst sagt über die Filmfigur, die zufällig ihren Vornamen trägt: „Das Hervorstechendste an dieser Figur ist zum einen ihr schlechtes Selbstwertgefühl und die damit verbundene Angst, alleine zu sein, und zum anderen ihre Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die ihr immer wieder dabei hilft, nach außen hin souverän zu erscheinen. Das makellose Bild einer Frau, die alles im Griff hat und die ein rundum attraktives Leben führt, ist ihr sehr wichtig. Auf diese Weise ist für keinen sichtbar, wie ungesund und zerbrochen ihr Innenleben wirklich ist. Die Trennung von Tom, ihrer großen Liebe, in die sie all ihre Hoffnung und Lebensträume projiziert hat, zieht ihr buchstäblich den Boden unter den Füßen weg.

Das, was Julia vorgibt zu sein, ist demnach nur eine Fassade. Hinter dieser Fassade verbirgt sich eine große Unsicherheit, die sie selbst nicht unter Kontrolle bekommt. Vielmehr kanalisiert sie diese Unsicherheit in einen bodenlosen Hass auf ihren Mann. Da er glücklich ist – er hat eine neue Freundin, er steht im Job offenbar ganz gut da -, fügt sie ihm dort Schmerzen zu, wo er verletzlich ist. Seine Achillesferse ist Anni. Er liebt seine Tochter. Seine Tochter von ihm zu entfremden, ist Julias einziger Weg, ihren eigenen Schmerz zu betäuben.

Kritikpunkte
In den Produktionsnotizen des SWR-Fernsehfilmes steht zu lesen, die Autorin habe zunächst die Geschichte ganz aus der Perspektive der Tochter erzählen wollen. Das sei aber nicht möglich gewesen, da so das Drumherum der Geschichte auf der Strecke geblieben wäre – das juristische Spiel etwa. Da gibt es etwa Toms Anwältin, die ihren Job macht. Ob sie ihm glaubt, dass er seiner Familie nie ein Leid antun würde? Es darf daran gezweifelt werden. Seine Anwältin macht ihren Job in diesem Spiel. Für sie ist dieser Job allerdings Routine. Mehr nicht. Ihren Scheck bekommt sie unabhängig von Erfolg und Misserfolg. Dass im Mittelpunkt dieses Jobs kein defekter Kaffeeautomat steht, um den zwei Parteien vor Gericht zanken, sondern ein kleines Kind... Es ist, wie es ist.



In Gänze gelungen ist die Produktion nicht. Etwa ist da genau jene Szene, in der Tom das Umgangsrecht für ein Vierteljahr entzogen wird. Umgeben ist er dabei von Frauen. Er ist der einzige Mann. Der seine Frau und seine Tochter mies behandelt hat. Da hat er unter dem Vorsitz einer Richterin keine Chance. Es mag ja sein, dass es in der Realität durchaus solche Momente geben mag. Niemand ist frei von Vorurteilen und in dieser Verhandlung liegen die Trümpfe auch definitiv bei Julia. Aber der Holzhammer liegt deutlich sichtbar über dieser Szene.

Der zweite Kritikpunkt ist der, dass die Geschichte schließlich eine Art Wendung braucht – leichte Spoiler voraus: In einem Gutachten wird Tom die Fähigkeit abgesprochen, eine Familie führen zu können. Im Rahmen einer Internetrecherche findet er nun einen Mann, der den gleichen Krieg wie er geführt (und verloren) hat. Basierend auf einem Gutachten der gleichen Gutachterin, dessen Wortlaut sich von Toms nur in Nuancen unterscheidet.

Unterm Strich ist «Weil du mir gehörst» ein bitteres Drama aus dem Alltag. Eine Geschichte über eine gescheiterte Ehe, verlorenes Selbstwertgefühl und fatale Entscheidungen gegenüber einem Kind.

Das Erste strahlt «Weil du mir gehörst» am Mittwoch, den 12. Februar 2020, um 20.15 Uhr, aus.

Kurz-URL: qmde.de/115789
Finde ich...
super
schade
88 %
12 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelOscar-Produzentin unterschreibt bei Warner Bros.nächster ArtikelIst das genug? «Big Brother» fällt mit erster Tageszusammenfassung klar ins Einstellige
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung