Die Kritiker

«6 Underground»: Michael Bay hat einen Blankoscheck, und verdammich, er nutzt ihn auch!

von   |  4 Kommentare

«Armageddon»-Regisseur Michael Bay dreht völlig frei. Manche würden sagen: Er dreht völlig durch. Das Ergebnis? Leider geil.

Filmfacts «6 Underground»

  • Regie: Michael Bay
  • Produktion: Michael Bay, Ian Bryce, David Ellison, Dana Goldberg, Don Granger
  • Drehbuch: Paul Wernick, Rhett Reese
  • Cast: Ryan Reynolds, Mélanie Laurent, Manuel Garcia-Rulfo, Adria Arjona, Payman Maadi, Corey Hawkins, Ben Hardy, Dave Franco
  • Musik: Lorne Balfe
  • Kamera: Bojan Bazelli
  • Schnitt: William Goldenberg, Roger Barton, Calvin Wimmer
  • Laufzeit: 128 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Während einer Trauerfeier auf einer Luxusjacht in einem türkisblauen Meer schneidet der Regisseur weg von den Protagonisten. Vor dem Urlaubsgefühl weckenden Hintergrund sind drei Schnapsgläser drapiert und eine angebrochene Flasche einer berühmten Rumspirituose wird in den Fokus genommen – mit dem Etikett perfekt gen Kamera gerichtet. In einer anderen Szene lehnt sich die Hauptfigur des Films über einen Bartresen, während eine Flasche exakt des Gins werbereif in Szene gesetzt wird, in den der Darsteller besagter Figur 2018 viel Geld investiert hat. Dieser Gin ist zufälligerweise schon in «Nur ein kleiner Gefallen» aufgetaucht – also in einem Film mit der Gattin unseres Hauptdarstellers.

Aber zurück zu unserem Film: Die Logos sogleich zweier Energy Drinks lachen uns an. Das Label eines modischen Uhrenherstellers schimmert an einer Stelle in Großaufnahme. Eine Tiefgarage ist ausschließlich mit Autos eines einzelnen Herstellers zugeparkt – dessen Name in Großbuchstaben Schwarz auf Weiß an die Wand gepinselt ist. Eine Verfolgungsjagd wird für ein paar Augenblicke im Werbetruck einer italienischen Kaffeemarke ausgetragen. Und in einer Angeber-Großküche stehen Pappeimer einer Fast-Food-Hähnchenbraterei herum (kommt schon, Leute, das ist lustig)!

Na, den Filmgöttern sei es gedankt, dass zu Beginn von «6 Underground» Netflix in der linken oberen Bildecke nicht bloß die Altersfreigabe einblendet, sondern auch noch ewig lang den Hinweis gibt: "Diese Sendung enthält Produktplatzierungen". Sonst würde die ganze Werbung doch völlig unbemerkt am Publikum dieses Netflix-Exklusivfilms vorbeirauschen!

Subtil ist Michael Bay mit seinen Produktplatzierungen noch nie vorgegangen. Aber «6 Underground» könnte in seiner sonderbaren Kunst, Werbespot-Bilder völlig tolldreist und mit einer kuriosen Selbstverständlichkeit in den erzählerischen Filmstoff zu nähen, einen neuen Bay-Maßstab in Sachen Werbeexzess aufstellen. Wie passend. Denn auch sonst ist «6 Underground» ein exzessiver Film. Ausgestattet mit einem Budget von 150 Millionen Dollar, einer sicherlich beachtlichen Summe aus Werbedeals und Netflix' berühmt-berüchtigter Apathie gegenüber seinen Eigenproduktionen, die Kreative an der extralangen Leine lässt und uns ebenso Geniestreiche wie mäandernden Medienmüll beschert hat, kreierte der Krach-Bumm-Zack-Pow-Regisseur einen Actionfilm-Fiebertraum.

Tempo, Zerstörung und extra stark farbgesättigte Bilder im 90er-Jahre-MTV-Videoclip-trifft-heutige-Filmtechnologiehöhen-Stil knallen hier auf einen dünnen Alibiplot, der sich gänzlich Bays ästhetischen Instinkten und seinen erzählerischen Begierden unterstellt. Das klingt negativ, und so manch verbiesterter Filmkritiker wird das dem Film auch zornig vorwerfen. Aber es hat auch Vorteile: Dieser Film bleibt unentwegt in Bewegung, dieser Film steigert sich in seinen Wahn aus Freude an Destruktion und Action-Pathos, bis ein reines Erlebnis aus Mechanismen, Posen und Explosionen übrig bleibt. «6 Underground» ist pures, hoch konzentriertes Michael-Bay-Destillat.

Es ist wie eine Injektion eines Energy-Drink-Rumspirituosen-Mixes direkt in die Blutbahn, während man durch einen Unterwäschekatalog blättert und mit Rockmusik beschallt wird. Davon mag manchen übel werden, und das ist ihnen bei Bays rasanter Schnittfrequenz und den stark vibrierenden Klangeffekten nicht einmal zu verübeln. Für sowas muss man gebaut sein. Man muss ja auch eine Dreifachloopingachterbahn mit fünf Korkenziehern aushalten können. Aber, mal ganz im Ernst: Es ist eine eigene, faszinierende Kunstform.

Wenn man «Der Leuchtturm» dafür huldigt, dass aus einem realistisch erzählten Zwei-Männer-hocken-auf-engem-Raum-zusammen-Drama nach und nach ein surrealer, soghafter Albtraum wird, und wenn man Lars von Trier es hoch anrechnet, wie spritzig-zynisch seine letzten paar Filme geraten sind … Wie kann man dann Michael Bay dafür kritisieren, dass er einen turbulenten, brachialen Actionfilm abliefert, der wie ein Fiebertraum seinem Ende entgegen rauscht und in dem einem Alkoholrausch gleich Rückblenden aufblitzen, die noch mehr Style und noch mehr Action in diesen Film knallen sowie stark zugespitzte, auf das Nötigste reduzierte Exposition?!



Und lasst bloß die übliche "Jaja, jaja, ein dummer Film für Leute, die ihr Hirn ausschalten!"-Argumentation in eurer Hosentasche: Michael Bay verlässt sich darauf, dass sein Publikum medienerfahren ist und einen Ritt geboten bekommen möchte, für das es fit genug ist. Wer sich «6 Underground» anschaut, so spekuliert Bay offenbar, hat auch schon Dutzende, Aberdutzende andere Actionfilme gesehen und kennt ihre Mechanismen auswendig. Wenn wir eine Rückblende sehen, traurige Musik klimpert und das zuvor hell strahlende Bild abgedunkelt wird, dann wissen wir: Ah, das ist die dramatische Vorgeschichte, wie unser Held ein Opfer vollbracht hat. «6 Underground» verzichtet an dieser Stelle auf das Blabla und Brabbelbrabbel, das an dieser Stelle normalerweise erfolgen würde. Die Form allein sagt uns, wo wir uns erzählerisch befinden.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
17.12.2019 16:05 Uhr 1
Ich habe nach ner halben Stunde ausgemacht....das war mir echt zuviel des "Guten"!! Das Dingens hat keinen "roten Faden"!!! Ich gucke Ryan sehr gerne, aber, das war mal garnix!!!
Kingsdale
17.12.2019 16:38 Uhr 2
Leider fand auch ich diesen Film so gar nicht gelungen! Die Handlung ist 08/15 und er ist total verwirrend. Ich weiss nicht was der Drehbuchschreiber genommen hat, es war auf jeden Fall zu viel. Diese Sprünge hin und her machen keinen echten Sinn, man hätte den Film vielleicht anders schneiden sollen. Trotz allen ist natürlich die Action widerrum typisch Michael Bay. Man merkt, das Bay sich diesmal nicht um irgendwelche Altersbeschränkungen Sorgen mußte und etwas zurückhaltender sein mußte um mehr Zuschauer in ein Kino zu bekommen. Hier konnte er mal in feinster John Wick-Manier auch einiges an Blut fließen lassen. Fakt ist, so wird der Film nie im Free-TV gezeigt werden (schon gar nicht von Pro7), da es ordentlich zur Sache geht. Dennoch ist er viel zu verwirrend um wirklich zu überzeugen und wäre im Kino ein Flop!
Sentinel2003
19.12.2019 00:37 Uhr 3
Ich habe es zum 2.mal versucht gestern Abend mit meiner Nichte, die genauso wie ich großer Ryan Reynolds Fan ist....nach dieser Verfolgungsjagd kommt wie so ein knallharter Bruch und man verliert komplett den Faden und auch die Lust weiter zu gucken!! Wir haben nach etwa 1 Stunde fast schon verzweifelt aufgegeben!! :relieved:





Keine Ahnung, warum sid diesen Film so derart geil findet!
troubled
19.12.2019 13:23 Uhr 4
Also jetzt habt ihr mich aber echt mal neugierig gemacht. Das schau ich mir am Abend mal an.
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