Die Kino-Kritiker

«Es: Kapitel 2» - Zwischen zu viel und zu wenig

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Film des Monats: Endlich erfahren wir, wie die Geschichte rund um den Club der Verlierer zu Ende geht. Aus filmischer Sicht enttäuschend, dabei verfügt «Es: Kapitel 2» eigentlich über diverse Attribute, die das Sequel zum umsatzstärksten Horrorfilm aller Zeiten zu einem modernen Klassiker machen könnten.

Filmfacts: «Es: Kapitel 2»

  • Start: 5. September 2019
  • Genre: Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 169 Min.
  • Kamera: Checco Varese
  • Musik: Benjamin Wallfisch
  • Buch: Gary Dauberman
  • Regie: Andy Muschietti
  • Darsteller: Jessica Chastain, James McAvoy, Bill Hader, Isaiah Mustafa, Jay Ryan, James Ransone, Andy Bean, Bill Skarsgård, Teach Grant
  • OT: Es: Chapter 2 (USA 2019)
Als Andy Muschietti («Mama») im Jahr 2016 mit der Aufgabe betraut wurde, ein großbudgetiertes Remake zum Stephen-King-Klassiker «Es» zu realisieren, dürfte er kaum geahnt haben, dass seine Arbeit wenig später zum bis dato umsatzstärksten Horrorfilm aller Zeiten werden würde. Der Trailer sprengte Abruf-, der fertige Film Zuschauerrekorde. Und mit der Entscheidung, die Geschichte – anders als im 860 Seiten starken Besteller – nicht abwechselnd aus der Sicht der Kinder sowie der Erwachsenen zu erzählen, sondern ihnen jeweils einen eigenen Film zu widmen, sollten die Geldgeber von Warner Bros. direkt zweimal für ihre Investition entlohnt werden. Nach der heutzutage eher belächelten TV-Verfilmung aus den Neunzigerjahren schnitt «Es: Kapitel 1» nicht nur bei Zuschauern, sondern auch bei den Kritikern gut bis sehr gut ab. Ganze zwei Jahre hieß es nun Warten, bis Muschietti mithilfe eines hervorragend gecasteten Erwachsenenensembles nun die Story rund um den Club der Verlierer und ihre Beziehung zum Gruselclown Pennywise zu Ende bringt.

Auf der Horrorebene lässt sich Muschietti und seinem wiederkehrenden Drehbuchautor Gary Dauberman («Annabelle») wenig vorwerfen. Die sich vorwiegend aus den typischen Jumpscare-Mechanismen wie schnelle Bewegungen und einer plötzlich nach oben schnellenden Lautstärke besinnenden Schocks funktionieren und sehen dank einer einmal mehr spektakulären Kameraarbeit hervorragend aus. Doch das, was den ersten Teil so besonders machte, waren weniger die Horror- denn vielmehr die gefühlvollen Momente unter den Verlierern. Hier kann «Es: Kapitel 2» allerdings nicht mithalten. Die über zwei Stunden lang aufgebauten Emotionen fallen einem in seiner Redundanz ermüdenden hyper-hysterischen Schlussakt zum Opfer, den der Club der Verlierer – und Pennywise! – nicht verdient haben.

27 Jahre später


27 Jahre nachdem der Klub der Verlierer Pennywise (Bill Skarsgård) besiegte, kehrt dieser zurück, um die Stadt Derry aufs Neue zu terrorisieren. Längst haben sich die Wege der mittlerweile erwachsenen Verlierer getrennt. Wieder verschwinden Kinder, sodass Mike (Isaiah Mustafa), der Einzige der Truppe, der in der Heimatstadt geblieben ist, die anderen nach Hause zurückholt. Traumatisiert durch die Erfahrungen der Vergangenheit, muss jeder seine tiefsten Ängste überwinden, um Pennywise endgültig zu vernichten und sich dem Clown entgegenstellen, der mörderischer ist als jemals zuvor.

«Es: Kapitel 2» beginnt mit einer Rückblende aufs Ende von Teil eins, als sich die Mitglieder vom Club der Verlierer via Blutsschwur versprachen, zurückzukommen, sollte Es wie vermutet 27 Jahre später erneut in Derry auftauchen. Schnitt. Wir befinden uns in der Gegenwart: Ein schwules Pärchen wird auf einem Jahrmarkt erst verhöhnt und kurze Zeit später zum Opfer einer brutalen Attacke, die damit endet, dass einer der beiden halbtot geprügelt in einen Fluss geworfen wird. Während seines Todeskampfes sehen wir erstmals verschwommen die Silhouette des uns nur allzu bekannten Clowns Pennywise, der sich vom Ufer aus gerade sein nächstes Opfer ausgeguckt hat. Unter dem Klang seiner wummernden Erkennungsmelodie (die eigentlich mehr einer dumpfen Tonabfolge gleicht), finden wir uns sofort in der altbekannten Bedrohungssituation wieder. Es geht wieder los – Pennywise ist wieder da! Und es scheint, als wäre er nie weggewesen, denn wie selbstverständlich gelingt es Muschietti in diesem spektakulären Auftakt, dieselben inszenatorischen Knöpfe zu drücken, wie auch für Teil eins.



Dieser Eindruck bleibt auch vorerst bestehen. Etwa wenn er den Club der Verlierer wieder zusammenbringt. Mithilfe kurzer Szenen erhalten wir einen Einblick in das Leben sämtlicher Protagonisten; von Bev (Jessica Chastain), die mit einem ähnlich brutalen Ehemann zusammenwohnt, wie einst ihr Vater einer war. Von Eddie (James Ransone), der eine Frau geheiratet hat, die seiner Mutter verdammt ähnlich sieht, von Bill (James McAvoy), der mittlerweile ein gefragter Horrorautor ist, oder von Richie (Bill Hader), der nichts von seiner leicht prolligen Klassenclown-Attitüde verloren hat.

Die einen mögen sich mehr (Ben!), die anderen weniger (Stanley!) verändert haben. Doch wirklich wichtig ist vor allem, mit welcher Akribie es dem älteren Cast gelingt, die Manierismen in Ausdrucksweise und Interaktion ihrer kleinen Vorbilder zu übernehmen. Es bedarf gar nicht erst der Aussprache, um welche Figur es sich da auf der Leinwand gerade handelt. Bill, Beverly, Ritchie, Eddie, Ben, Mike und Stanley haben in James McAvoy («Split»), Jessica Chastain («Die Erfindung der Wahrheit»), Bill Hader («Dating Queen»), James Ransone («Sinister»), Jay Ryan («Beauty and the Beast»), Isaiah Mustafa («Kill the Boss») und Andy Bean («Transformers: The Last Knight») hervorragende erwachsene Entsprechungen gefunden. In den vielen Rückblenden performen dagegen die bereits bekannten Youngsters gewohnt souverän. Zumal Muschietti Flashbacks nicht bloß nutzt, um dem Publikum Ereignisse aus Teil eins ins Gedächtnis zu rufen. «Es: Kapitel 2» erinnert in den Rückblenden bisweilen eher an einen Director’s Cut von Kapitel eins. So gab es vor 27 Jahren weitaus mehr Attacken von Es auf seine jungen Opfer, als sie uns im Film gezeigt wurden.

Das ist clever und gleichzeitig ein wenig faul. Wenn sich Ritchie etwa daran erinnert, dass er damals von einer riesigen Werbefigur angegriffen wurde, dann existiert dieser Flashback nur deshalb, da Es ihn in Teil zwei auf dieselbe Art und Weise noch einmal attackiert. Dasselbe gilt für eine Szene, in der Ben an seine alte Schule zurückkehrt und sich dort an ein Aufeinandertreffen mit Es erinnert, der ihn hier einst mit seiner Angst, als Beleibter niemals echte Freunde zu finden, konfrontierte. Es wirkt daher bisweilen etwas unbeholfen, wie das Skript die Geschehnisse aus dem ersten Film mit jenen aus dem zweiten verknüpft; trotzdem funktionieren die Szenen mit den erwachsenen Darstellern im Zusammenspiel mit den Kinder-Szenen hervorragend. Nicht zuletzt dank des starken Schnitts von Jason Ballantine («Der große Gatsby»), der – zumindest in der ersten Hälfte – für einen sehr angenehmen Erzählfluss sorgt.

Ein großartiger Club der Verlierer!


In der Wiedervereinigung des Verliererclubs macht Andy Muschietti lange Zeit viel richtig. Auch eine mit den Ereignissen im Buch übereinstimmende Entscheidung, sich von einer bekannten Figur radikal zu verabschieden, eine andere wiederum wieder auf die Bildfläche zurückzuholen, geschieht plausibel und dürfte für regelrechte Erschütterung sorgen, sollte der Zuschauer die Neunzigerjahre-Verfilmung nicht gesehen respektive das Buch nicht gelesen haben. Es ist einfach schön, die im Laufe des ersten Films ins Herz geschlossenen Charaktere endlich wiederzutreffen und erneut an ihren Ängsten, ihrem Ehrgeiz, das Böse zu besiegen, oder einfach an ihrem losen Mundwerk teilhaben zu dürfen (Ritchie gibt mehr noch als in Teil eins den Komiker - eine streitbare Entscheidung!). Doch es ist auch ein wenig der Buchvorlage geschuldet, dass «Es: Kapitel 2» ab der Mitte aus dem Takt gerät. In dem Moment, als sich die Gruppe aufteilt und jede Person einen Teil der Handlung allein bestreitet, verliert sich Muschietti im ewig gleichen Ablauf von Szenenaufbau. Eine Figur kommt an ein bestimmtes Setting, der Grusel baut sich auf und entlädt sich schließlich in zugegebenermaßen gut getrickstem, aber absolut durchschaubarem Horrorgetöse.

Immer wieder machen gruselige Fratzen (die Maskenbildner haben ganze Arbeit geleistet!) Jagd auf die Verlierer – Pennywise dagegen kommt nur noch sehr vereinzelt zum Einsatz. Er wirkt regelrecht vernachlässigt. Taucht er dagegen doch mal auf, erweisen sich die Momente seines Auftretens ein weiteres Mal als die stärksten im Film. Sei es nun in einem Spiegelkabinett, an roten Luftballons vom Himmel herabschwebend oder unter der Tribüne am Rande einer Sportveranstaltung, als er ein kleines Mädchen zu sich lockt wie im ersten Teil einst den kleinen Georgie.

Eindruck machen diese Szenen insbesondere aufgrund ihrer Visualität. Kameramann Checco Varese («69 Tage Hoffnung») findet vorzüglich verzerrte, bisweilen anklingend surrealistische Perspektiven, um Untote, Monster und vor allem Pennywise im wahrsten Sinne des Wortes alptraumhaft erscheinen zu lassen. Trotzdem lässt sich «Es: Kapitel 2» gerade in der zweiten Hälfte zu sehr von ihrer reißerischen Inszenierung dominieren. Die eigentlich so spannende Dynamik innerhalb des Clubs der Verlierer rückt, übrigens ebenso wie der aus dem Buch bekannte Part rund um das heilbringende Ritual mitsamt Herkunft von Es, deutlich in den Hintergrund. Auch die frühe Wiederkehr des einstigen Bullys Henry Bowers (Teach Grant) nimmt im Buch deutlich mehr Platz ein und wird hier äußerst stiefmütterlich behandelt. Wofür sich der Film dagegen (zu) viel Zeit nimmt, ist der finale Fight zwischen Es und den Verlierern – und hier droht «Es: Kapitel 2», der sämtlicher Schwächen zum Trotz bis dato gleichermaßen launig wie mitreißend geraten ist, vollständig in sich einzustürzen.

Puristen werden vermutlich loben, mit wie viel kreativem Eifer hier noch einmal diverse Gestalten und Inkarnationen von Pennywise aufgegriffen werden. Und gerade im Vergleich zum billig getricksten Schlussakt der Neunzigerjahre-Verfilmung macht «Es: Kapitel 2» einen großen Sprung nach vorn. Doch mit welch eintöniger Hysterie die Verlierer hier in einer von Stroboskoplicht erhellten Höhle gegen Es kämpfen müssen, ohne dass hier jene inszenatorische Finesse anklingen würde, durch die der Film vorab so gefällt, wird dem Film nicht gerecht. Maximal eintönig wird geschrien, gekämpft, geflucht und auf Pennywise eingeschlagen. Und plötzlich ist es völlig egal, ob hier der lieb gewonnene Club der Verlierer gegen Es kämpft, oder ein paar Unbekannte gegen irgendein x-beliebiges Monster.

Fazit


Zwei Stunden lang ist «Es: Kapitel 2» eine starke Fortführung des ersten Films, selbst wenn Andy Muschietti hier deutlich reißerischer zur Sache geht, als in seinem Coming-of-Age-Vorgänger. Das unästhetisch gefilmte, hysterische Krawall-Finale wird den epischen Ausmaßen dieser Geschichte um Zusammenhalt und Ängste dann allerdings ebenso wenig gerecht wie die geringe Screentime Pennywise, der hier nur noch eine Nebenrolle spielt.

«Es: Kapitel 2» ist ab dem 5. September bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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