Die Kino-Kritiker

Helen Mirren und Donald Sutherland auf Abwegen: «Das Leuchten der Erinnerung»

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In dem unausgegoren erzählten Drama «Das Leuchten der Erinnerung» über ein Rentnerehepaar auf seiner letzten Reise, zeigen sich Helen Mirren und Donald Sutherland in Bestform.

«Das Leuchten der Erinnerung»

  • Kinostart: 4. Januar 2018
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 112 Min.
  • Kamera: Luca Bigazzi
  • Musik: Carlo Virzì
  • Buch: Stephen Amidon, Francesca Archibugi, Francesco Piccolo, Paolo Virzì
  • Regie: Paolo Virzì
  • Schauspieler: Donald Sutherland, Helen Mirren, Kirsty Mitchell, Janel Moloney, Joshua Mikel
  • OT: The Leisure Seeker (IT/FR 2017)
Ob nun gewollt oder nicht: Passend zu der Statistik, dass immer mehr Menschen – auch in jungen Jahren – an Alzheimer erkranken, nimmt die Zahl der Filme über dieses ehemalige Tabuthema kontinuierlich zu. Til Schweiger machte daraus ein gefühliges Feelgood-Erlebnis («Honig im Kopf»), Julianne Moore brachte es sogar einen Oscar ein («Still Alice»). Der Italiener Paolo Virzi («Die süße Gier»), der bislang vorwiegend in seiner Landessprache inszenierte, erzählt in seiner ersten rein englischen Arbeit «Das Leuchten der Erinnerung» (im Original «The Leisure Seeker» in Anlehnung an das Gefährt, mit dem seine beiden Protagonisten unterwegs sind) von einem alternden Ehepaar, das sich trotz seiner widerwilligen Kinder auf eine Reise ins Ungewisse begibt. Was als harmloser Urlaubstrip mit dem Schwerpunkt Selbstbestimmung beginnt – denn auch im hohen Alter wollen sich Ella und John noch lange nicht vorschreiben lassen, was sie wie und wann zu tun haben –, wird schließlich zu einer späten Suche nach sich selbst und seinen eigenen Bedürfnissen, bis hin zu einem berührenden Plädoyer für selbstbestimmtes Sterben. Helen Mirren erhielt für ihre Performance bereits eine Nominierung für den Golden Globe; wohl vor allem deshalb, weil nicht nur ihre Darbietung Eindruck hinterlässt, sondern auch ihre Figur selbst dem entspricht, was Awardjurys gern auszeichnen. «Das Leuchten der Erinnerung» selbst ist nämlich an vielen Stellen recht unbeholfen inszeniert, sodass sich die Auszeichnungen und Nominierungen auf die Darsteller beschränken dürften.

Eine letzte Reise


Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland) sind schon viele Jahre verheiratet. Sie sind alt geworden, beide sind nicht mehr wirklich gesund, ihr Leben wird mittlerweile von Arztbesuchen und den Ansprüchen ihrer erwachsenen Kinder bestimmt. Um ein letztes richtiges Abenteuer zu erleben, machen die beiden ihr Oldtimer-Wohnmobil namens „The Leisure Seeker“ flott und verlassen stillschweigend ihr Zuhause in Wellesley, Massachusetts. Verärgert und besorgt versuchen die Kinder, sie zu finden, aber John und Ella sind schon unterwegs auf einer Reise, deren Ziel nur sie selber kennen: die US-Ostküste hinunter, bis zum Hemingway-Haus in Key West. Nachts sehen sie sich ihre Vergangenheit auf einem Diaprojektor an, tags begegnen sie dem gegenwärtigen Amerika in amüsanten oder riskanten Situationen. Mit Furchtlosigkeit, Witz und einer unbeirrbaren Liebe zueinander liefern sich die beiden einem Roadtrip aus, bei dem zunehmend ungewiss wird, wohin er sie führt.

Ohne eine kleine Prise Wohlfühlinszenierung scheint auch das niederschmetterndste Schicksal kaum noch für die breite Masse erträglich zu sein. Entsprechend erweckt auch «Das Leuchten der Erinnerung» von Anfang an den Eindruck, die beiden Rentner Ella und John seien trotz ihrer zusehends abnehmenden Gedächtnisleistung – vor allem auf Seiten Johns – immer noch rüstig genug, um mit einem kecken Spruch böse Buben in die Flucht zu schlagen, oder sich im Zuge eines nahezu hanebüchenen Subplots um die ehemaligen Bettgespielen des jeweils anderen zu sorgen. Das erweckt inmitten des mitunter recht melancholischen Tonfalls durchaus einen zwiespältigen Eindruck; das Skript von Paolo Virzi selbst, sowie seinem Dreigestirn aus Francesco Piccolo («Mia Madre»), Francesca Archibugi («Die Überglücklichen») und Stephen Amidon, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Michael Zadoorian, begibt sich einerseits auf respektvolle Augenhöhe mit den Protagonisten, leidet mit ihnen, zeigt ungeschönt den schleichenden Verfall der beiden Figuren auf, stilisiert auf der anderen Seite aber auch Einzelszenen gewaltig über, wodurch diese teilweise sogar ins Slapstickhafte abdriften.

Woran es «Das Leuchten der Erinnerung» fehlt, ist das Vertrauen in die Zugkraft der Charaktere. Stattdessen ist jeder Szenenwechsel mit dem nächsten spektakulären Ereignis verknüpft, dabei täte es dem Film eigentlich so gut, die Chemie zwischen Mirren und Sutherland für sich sprechen zu lassen.

Zwischen zu viel und zu wenig


Helen Mirren («Verborgene Schönheit») und Donald Sutherland («Die Tribute von Panem»-Reihe) sind nämlich nicht nur durch ihr realitätsnah-zerbrechliches Spiel über jeden Zweifel erhaben – erst recht, wenn sie in den entscheidenden Momenten beweisen, mit wie viel Kraft und Elan sie (immer noch) in der Lage sind, dem vermeintlich alles Notwendige für sie tuenden Staatsapparat davonzulaufen. Sie kehren in ihrem zurückhaltenden Spiel vor allem ihr ambivalentes Inneres hervor, das sich gerade im Falle von John schon mal als absolut unberechenbar erweist. Helen Mirren wirkt dagegen häufig wie das weitaus besonnenere Pendant, das im letzten Drittel jedoch so richtig aus seiner Haut fahren darf. Schon Romanautor Michael Zadoorian zeichnete seine beiden Hauptfiguren als gleichermaßen toughe wie selbstreflektierende Zeitgenossen, die sich die sukzessiven Folgen, die das Älterwerden nun mal mit sich bringt, zwar einstehen, es aber ungern wollen und somit auf dem schmalen Grat zwischen Unachtsamkeit und Vernunft balancieren. Damit stoßen die beiden nicht bloß den Zuschauer, sondern auch ihre aus der Ferne mit ihnen interagierenden Kinder vor den Kopf, die mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten allerdings überraschend unterbelichtet bleiben. Entsprechend ambivalent lässt sich auch das Ende auffassen, das die Einen vermutlich für absolut konsequent, die anderen hingegen für fehlgeleitet und feige befinden werden.

Doch obwohl das Zurückstellen der Belange von Ellas und Johns Kindern beileibe nicht das einzige Problem des letztlich doch sehr gefällig, immer wieder mit Anleihen an die klassische Roadmovie-Komödie inszenierten «Das Leuchten der Erinnerung» ist, pendelt sich die Romanverfilmung schließlich trotzdem auf solidem Mittelmaß ein. Neben den Darstellern, die durch ihre Präsenz Facetten aus ihren Figuren herausholen können, die das Skript gar nicht vorgesehen hat, und dem mutigen Ende mitsamt ebenso mutiger Aussage, besticht das Drama vor allem in seinen ruhigen Momenten. Die Telefonate zwischen Ella und ihrer Tochter, eine beklemmende Szene, in welcher John plötzlich verschwunden ist, oder eine dialogfreie Plansequenz, die den alten Mann ausgelassen auf einer Feier zeigt, wodurch dieser eine entscheidende Wendung in seinem Leben einfach nicht mitbekommt, sind Glanzstunden des subversiv inszenierten, herausragend geschriebenen Kinos, das leider immer wieder Platz machen muss, um den Zuschauer nie aufgrund allzu trauriger Andeutungen zu verlieren. «Das Leuchten der Erinnerung» könnte ein richtig starker Film sein, hätten die Macher ihrem Publikum zugetraut, sich auch mal mit der ungeschönten Realität des Älterwerdens auseinanderzusetzen. Denn immer dann, wenn er er es doch tut, ist «Das Leuchten der Erinnerung» am stärksten.

Fazit


«Das Leuchten der Erinnerung» wäre gern ein lebensechtes Drama über das Älterwerden, lässt Wahrhaftigkeit aber nur in Einzelszenen erahnen. Dazwischen schummeln sich immer mal wieder generische Feelgood-Momente in die Handlung, über die auch die beiden preiswürdigen Hauptdarsteller Helen Mirren und Donald Sutherland nicht hinwegtrösten können.

«Das Leuchten der Erinnerung» ist ab dem 4. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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