Die Kino-Kritiker

Van Goghs Bilder zum Leben erweckt: «Loving Vincent»

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Liebhabern Vincent Van Goghs bietet das kurz vor Jahresende erscheinende Krimidrama «Loving Vincent» einen spannenden Einblick in dessen letzte Lebensstunden.

Filmfacts: «Loving Vincent»

  • Kinostart: 28. Dezember
  • Genre: Krimi/Drama/Animation
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 94 Min.
  • Kamera: Tristan Oliver, Lukasz Zal
  • Musik: Clint Mansell
  • Buch und Regie: Dorota Kobiela, Hugh Welchman
  • Schauspieler: Douglas Booth, Jerome Flynn, Robert Gulaczyk, Chris O'Dowd, Saoirse Ronan
  • OT: Loving Vincent (UK/POL 2017)
Ob es ein Zufall ist, dass im selben Jahr wie das Biopic rund um den berühmten Maler und Bildhauer Paul Gauguin ( («Gauguin») auch ein Film über Vincent Van Gogh erscheint? Schließlich war die Beziehung der beiden Männer schon zu deren Lebzeiten undurchdringlich. Manche Quellen behaupten sogar, Gauguin sei indirekt daran schuld, dass sich sein Kollege einst im Wahn ein Ohr abgeschnitten habe. Es kommen auch beide Persönlichkeiten in «Loving Vincent» vor, während Van Gogh in «Gauguin» allenfalls kurz Erwähnung findet. Beide Filme widmen sich den in ihrem Mittelpunkt stehenden Künstlern auf ganz unterschiedliche Weise. «Gauguin» schaut sich wie ein klassisches Realfilm-Biopic, «Loving Vincent» hingegen ist ein ungewöhnliches Animationsprojekt, inszeniert im unvergleichlichen Van-Gogh-Stil, das das Schicksal des Malers obendrein mithilfe von erzählten Rückblenden aufzudecken versucht.

Bis heute ist der Tod Van Goghs ein Mysterium, das auch das Regieduo aus Dorota Kobiela («Das fliegende Klavier») und Hugh Welchman (produzierte diverse Kurfilme) nicht lückenlos aufdecken kann. Ihr Film schaut sich ein wenig wie die Aneinanderreihung von Trivia-Artikeln; einen informativen Mehrwert hat die Aufbereitung von Van Goghs Lebensweg indes nicht. Diesen inhaltlichen Schwachpunkten stellen die Filmemacher allerdings eine optische Kreativität gegenüber, die den Film selbst für Nicht-Liebhaber des Malers sehenswert macht.

Wer war Vincent van Gogh?


Ein Jahr nach dem Tod Vincent van Goghs (Robert Gulaczyk) taucht plötzlich ein Brief des Künstlers an dessen Bruder Theo (Cezary Lukaszewicz) auf. Der junge Armand Roulin (Douglas Booth) erhält den Auftrag, den Brief auszuhändigen. Zunächst widerwillig macht er sich auf den Weg, doch je mehr er über Vincent erfährt, desto faszinierender erscheint ihm der Maler, der zeit seines Lebens auf Unverständnis und Ablehnung stieß. War es am Ende gar kein Selbstmord? Entschlossen begibt sich Armand auf die Suche nach der Wahrheit.

Während das Plakat zu «Loving Vincent» romantisch damit wirbt, dass die Bilder des berühmten Malers in diesem Film lebendig werden, lässt uns eine Texttafel direkt vor dem Film erst einmal an der Arbeit teilhaben, die für das Endergebnis eines im Van-Gogh-Stil gezeichneten Neunzigminüters aufgebracht werden musste: Fünf Jahre lang arbeiteten über 100 Künstler daran, jedes einzelne Bild (von insgesamt rund 65.000!) in «Loving Vincent» per Hand zu malen. Zum Vergleich: Bei einem herkömmlichen Zeichentrickfilm werden zwar auch die Figuren in jeder einzelnen Bewegung gezeichnet, gegeben ist allerdings ein fester Hintergrund, der nur dann verändert wird, wenn er sich bewegt oder sich Details verändern. Das wirkt auf das Auge zunächst äußerst unruhig; gerade im Hinblick auf die sehr feinen und knappen Pinselstriche, die im Zuge der häufig spontan ausgeführten (und im Nachhinein nicht korrigierten) Malereien entstanden.

Wenn es sich nämlich bei wirklich jedem Frame um ein neues Bild handelt, ergibt sich daraus selbst in den ruhigen Momenten eine permanente Bewegung. Daran muss sich das Auge zunächst gewöhnen, dafür eröffnet sich dem Zuschauer kurz darauf ein berauschendes, bewegtes Gemälde, inspiriert von diversen wirklichen Werken des Malers. Portraitierte Figuren wie etwa die klavierspielende Marguerite ("Marguerite Gachet at the Piano" aus dem Jahr 1890) werden in «Loving Vincent» plötzlich zu lebenden Zeitgenossen und agierende Teile der Geschichte.

Ein Film aus 65.000 Bildern


Damit das gelingt, griff man bei der Entstehung von «Loving Vincent» auf das sogenannte Rotoskopieverfahren zurück, dessen Ergebnis man zuletzt etwa auch in «Teheran Tabu» bestaunen konnte. Dabei werden die später animierten Szenen zunächst mit echten Schauspielern gedreht und anschließend übermalt. So kommt es auch, dass man im Vorspann des Films einige bekannte Namen zu lesen bekommt. Zum Cast von «Loving Vincent» gehören unter Anderem Saoirse Ronan («Brooklyn»), Chris O’Dowd («Die Insel der besonderen Kinder») sowie Douglas Booth («The Limehouse Golem») in der Hauptrolle des Armand Roulin. Selbst unter dem Van-Gogh-Zeichenfilter sind sämtliche der Darsteller immer noch als solche zu erkennen; insbesondere Saoirse Ronan besitzt als zum Leben erweckte Marguerite Gachet eine faszinierende Ausstrahlung, wirkt mit ihrer Hollywood-Präsenz aber fast ein wenig fehl am Platz.

Trotzdem treibt ihre Figur die Geschichte – die in erster Linie auf Basis von über 800 Briefen entstand, die Vincent Van Gogh zu Lebzeiten an sein Umfeld verschickte – entscheidend voran, was man von dem Drehbuch selbst nicht unbedingt behaupten kann. Im Klartext: Besäße «Loving Vincent» nicht das Alleinstellungsmerkmal dieser ganz besonderen Optik, würde der Film wohl irgendwo in der unteren Mittelmäßigkeit versinken.

Dass eine Antwort auf die entscheidende Frage, wie Vincent Van Gogh letztlich zu Tode gekommen ist, völlig ohne Spekulation nicht gegeben werden kann, ist klar. Aus diesem Grunde versuchen es die Regisseure, die gleichermaßen auch das Drehbuchautoren fungieren, auch gar nicht erst, sondern lassen stattdessen diverse Wegbegleiter Van Goghs zu Wort kommen, die ihre Theorien zum (Vielleicht-)Selbstmord des Künstlers zum Besten geben. Darunter befinden sich auf der einen Seite handfeste Beweise dafür, dass es sich bei der Wunde auf keinen Fall um einen Selbstmordversuch gehandelt haben kann. Gleichzeitig ist «Loving Vincent» aber auch ein Sammelsurium für Eventualitäten und Vermutungen; und da sich keine von ihnen auch nur im Ansatz nachweisen lässt, wird die krimiähnlich aufgezogene Story mitunter zur echten Geduldsprobe. Dem Skript mangelt es an Dynamik und Spannung.

Stattdessen bekommt der Zuschauer lediglich theoretische Dialoge zu hören, aus denen er sich bei Bedarf seine eigene Theorie zum Ableben Van Goghs zurechtspinnen kann. Das Gute daran: Liebhaber des Malers werden sich «Loving Vincent» vermutlich sowieso anschauen, während der Film für Nichtkenner des Künstlers immerhin einen Anreiz bietet, sich einmal näher mit dessen Schaffen auseinanderzusetzen. Immerhin steht nicht jeder darauf, sich unbewegte Bilder in einer Ausstellung anzusehen; da ist es doch erfrischend, wenn sich die Bilder einmal für den Zuschauer bewegen.

Fazit


Das für einen Golden Globe als „bester Animationsfilm“ nominierte Krimidrama «Loving Vincent» erweckt die faszinierenden Bilder des Malers Vincent Van Gogh gekonnt zum Leben. Die Geschichte präsentiert sich dagegen unspektakulär.

«Loving Vincent» ist ab dem 28. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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