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Netflix, aufgepasst! Hier kommt Etienne Heimann - Interview mit Deutschlands jüngstem Filmproduzenten

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Er ist 21 Jahre jung und hat bereits zwei Spielfilme gedreht - Mit Stars wie Susan Sideropoulos, Nick Wilder oder Matthieu Carriere und Action auf Topniveau. Doch wer ist dieser Mann und was hat er über das Filmemachen in Deutschland zu berichten?

Er ist nicht nur für die BILD-Zeitung «Deutschlands jüngster Filmproduzent», Etienne Heimann aus Katzenelnbogen ist Jahrgang 1996, langjähriger Fan von «Alarm für Cobra 11» und hat bereits zwei Spielfilme gedreht - komplett in Eigenregie.

Nach Sichtung des Materials muss man sagen: Hier sollten die Entscheider der Sender oder Streaming-Anbieter lieber ganz genau hinschauen - bevor es ein Anderer tut.

Wir haben mit dem talentierten jungen Mann kurz vor der Fertigstellung seines Filmes «Jammertal» gesprochen. Dabei zeigte er sich fokussiert, bodenständig und unaufgeregt - so nahm er für ein persönliches Interview sogar den Weg zu unserem Redakteur in den hohen Norden auf sich, verliebte sich vor Ort in eines der Ponys und bat um ein Foto. Ob er es bekommen hat? Am Ende des Interviews sind wir schlauer.

Hallo Herr Heimann, für die BILD-Zeitung sind Sie Deutschlands jüngster Filmproduzent. Doch was steckt dahinter? Was war Ihre Initialzündung zu sagen: Film und TV, das ist mein Medium - da muss ich dranbleiben?

Auch auf die Gefahr hin, dass mich das in eine Schublade steckt, war es eindeutig «Alarm für Cobra 11». Ich kann mich noch gut an die ersten Episoden erinnern, da muss ich vier Jahre alt gewesen sein. Ich erinnere mich an die fliegenden Autos und die ganzen Stunts - das war immer der große Reiz. Ich habe sogar mit acht oder neun Jahren die Crashs mit Spielzeugautos als Stop-Motion-Filme nachgedreht und auch schon damals viel geschrieben.

Das hat sich doch bestimmt auch wunderbar verbinden lassen.

Klar, ich habe dann irgendwann nicht nur die Crashs gedreht sondern mir auch eine Story dazwischen ausgedacht. Deswegen habe ich mich dann auch mit zwölf Jahren als Drehbuchautor bei Cobra 11 beworben.

Mit zwölf Jahren? Das hat sicher für große Augen gesorgt.

Die waren total nett zu mir und haben gesagt: „Dafür bist du noch ein wenig zu jung, aber du darfst gerne mal auf die Berlinale zu einer Staffelpremiere kommen.“ Und dann war ich kurz danach wirklich erst bei einem Drehtag und später auf der Berlinale mit den Schauspielern und auf dem roten Teppich. Das war schon etwas ganz Besonderes und hat mich gepackt. Da wusste ich spätestens, dass Film das ist, was ich machen will.

Und wie ist es dann weitergegangen?

In der Schule wurden immer mal wieder meine Krimis vorgelesen. Das hat mich total gefreut. Dann habe ich nach den ganzen Kurzfilmen irgendwann mit 17 Jahren den ersten Neunzigminüter geschrieben und produziert. Der hieß «Bauernopfer». Gerade da wo ich groß geworden bin war das damals aber schon echt ne Lachnummer - ernst genommen hat das zunächst keiner. Aber trotzdem wollten auf einmal die ersten professionellen Schauspieler dabei sein. Das war vielleicht eine Art Eintrittskarte. Plötzlich wollte auch aus meiner Region jeder dabei sein und helfen. Vom Metzger gab es das Essen, Opel hat gesponsert, das Hotel im Ort hat Zimmer gestellt. Mit einem LKW und zwei Transportern haben wir das Equipment und österreichische Filmstudenten zu uns geholt und dann drei Wochen mitten in Rheinland-Pfalz mit Österreichern gedreht. Das war verrückt. Aber wir hatten mit dem fertigen Film immerhin 15.000 Kinozuschauer und 4000 verkaufte DVDs.

Wie haben Sie den Film denn ins Kino bekommen?

Über Privatverleih. Er lief zwar nur in drei Kinos, aber es wollten ihn viele aus der Region sehen. So kam dann die Zuschauerzahl zustande.

Ging es danach gleich mit dem nächsten Projekt weiter?

Ich habe sofort wieder los geschrieben. Das Drehbuch zu «Jammertal» entstand an dunklen, schaurigen Orten in Hamburg - vornehmlich Nachts. Das hat mich inspiriert. Ich musste diese Stimmung erleben und ins Drehbuch reinkriegen.

Also Method Writing statt Method Acting?

Sozusagen. Ich hatte eine ganz klare Vision und brauchte für mich dieses Flair.

War es dann beim zweiten Mal leichter, an Schauspieler für das Projekt zu kommen?

Ich wollte unbedingt Nick Wilder an Bord haben und habe ihm das Drehbuch geschickt. Und er sagte direkt, er wolle dabei sein aber auf jeden Fall die Hauptfigur des Kommissars Robert Tuchowski spielen. Das war der Türöffner. Da habe ich direkt meinen Job in Hamburg gekündigt, bin zurück nach Katzenelnbogen gefahren und habe angefangen zu planen und zu produzieren.

Welche andere Stars sind denn dabei?

Neben Nick Wilder zum Beispiel Gedeon Burkhard, Matthieu Carrière, Susan Sideropoulos, Wolfgang Maria Bauer, Urs Redmond, Birge Funke, Eva Habermann und Maren Gilzer. Und natürlich noch viele andere.

Wie kommen Sie überhaupt an das Geld für Ihre Produktionen?

Ich habe viele Imagefilme gedreht, Firmen besucht, Sponsoren für das Projekt begeistert und so kamen bei beiden Filmen die Summen irgendwann zusammen.

Ich habe gelesen, Sie machen die Stunts selber?

Das stimmt, aber nicht alle. Sprünge durch Wohnwagen oder Überschläge mit Autos reizen mich einfach. Da kann ich als Cobra-11-Fan einfach nicht widerstehen.

Wie lernt man denn überhaupt das Drehbuchschreiben? Rein vom Alter her haben Sie vermutlich noch kein abgeschlossenes Studium...

Nein, das habe ich mir alles selbst beigebracht. Ich habe zum Beispiel eine lange Zeit Drehbücher analysiert und mit dem fertigen Produkt verglichen.

Genau so hat Gene Roddenberry, der Erfinder von «Star Trek», übrigens auch angefangen...

Oh, das wusste ich gar nicht, Science Fiction ist auch nicht so mein Genre...

Solange man Raumschiffe beim Dreh nicht selber fliegen kann, ist das vielleicht auch kein so großer Reiz. Sie haben sich also alles autodidaktisch beigebracht?

Zu Beginn schon. Die Form hat man schnell raus, wenn man viel liest und studiert. Man muss viel Arbeit investieren, schauen wie Filme aufgebaut sind und sich daraus die Strukturen ableiten. Natürlich hat zum Beispiel auch jeder Sender eine andere Struktur in seinen Geschichten, da muss man sich reinfuchsen.

Versuchen Sie Ihren Erkenntnissen über die vorhandenen Strukturen zu entsprechen oder eher entgegen zu arbeiten?

Weder noch. Ich habe meine Schlüsse daraus gezogen und mache es so, wie ich es für richtig halte. Ich schreibe ja auch aktuell nicht für einen bestimmten Sender, sondern nach meiner Überzeugung. Es soll die meiste Spannung aufkommen, es soll kurzweilig sein - das sind die Punkte, die ich zu beherzigen versuche. Kein Leerlauf und Action mit Sinn.

Wie würden Sie «Jammertal» von der Atmosphäre beschreiben?

Eigentlich ein wenig wie «Balko» früher, nur nicht so klamaukig - eher bodenständig. Wir haben dazu aber auch viel Product Value und eben fantastische Schauspieler drin.

Könnte man das Ganze denn zukünftig noch ausbauen?

Absolut. Ich sehe das ohnehin eher als Pilotfilm - die ersten acht Episoden habe ich schon grob geschrieben, da wird auch teilweise horizontal erzählt. Ich würde gerne sehen, wohin sich die Serie und die Charaktere entwickeln.

Was haben Sie denn letztlich am Film alles selber gemacht?

Ich habe das Drehbuch geschrieben, alles selber produziert, die Schauspieler ausgewählt, einen Teil Regie geführt und ein paar Stunts gemacht.

Warum haben Sie nur teilweise Regie geführt?

Ganz einfach: Ich hatte einen Bomben-Cast und habe es mir zunächst nicht zugetraut. Ich wusste, was ich kann, aber das wollte ich dann doch lieber einem Fachmann überlassen.

Absolut sympathisch. Ich höre trotzdem eine Wendung heraus. Was geschah dann?

Richtig gehört. Es kam der Punkt, wo ich einspringen musste, und das hat so wunderbar geklappt, dass ich das in Zukunft dann auch durchaus selber machen würde.

Ich habe gelesen, dass Sie einerseits gerade Filmproduktion studieren und andererseits als Dozent aktiv sind - ein ziemlicher Widerspruch, oder?

Absolut richtig, aber das eine ist halt, was man braucht, das andere was man durch die Praxis gelernt hat. Was man am Set lernt, lernt man an keiner Uni. Und das kann ich eben auch jetzt schon weitergeben. Das Ganze gilt aber eben auch umgekehrt: An der Uni lerne ich die Basics.

Sie scheinen mir allürenfrei zu sein. Gab es dafür irgendwelche Allüren am Set?

Überhaupt nicht. Crew und Schauspieler waren wunderbar und auch im Umgang untereinander. Wie überall gibt es natürlich auch mal Reibungspunkte, aber nichts, was die Stimmung belastet hätte.

Welche Stoffe interessieren Sie generell am meisten? Arthouse oder Action?

Da muss ich eindeutig Action wählen. Mich faszinieren jedoch auch durchaus humorvolle Sachen oder Dramen - das würde ich alles gerne mal machen. Aber gerne eben auch immer unterhaltend - das ist mir ganz wichtig. Und die Action muss einen Sinn in der Handlung haben.

Also lieber Heli-Action mit Niveau als Arthouse mit Verfolgungsjagd durch die Bibliothek?

Sozusagen. (lacht)

Und beim Humor? Eher Landleben mit Kuhwitzen oder allgemeingültige Scherze?

Ich würde sagen typisch Deutsch, aber nicht zwingend regional. Kaff ja, explizites Kaff nein.

Wo sollen ihre Sachen denn zukünftig am liebsten laufen? Lineares Fernsehen oder eher Streamingdienst?

Ich bin für alles offen, weil ich mich auch für alle Spielarten interessiere. Wir haben versucht, Jammertal auf den Stand der Technik zu bringen, damit er von der Machart genau so zu Netflix passen würde, wie auch zu deutschen Fernsehsendern.

Noch ein paar kurze, knackige Entscheidungsfragen: Netflix oder Amazon?

Netflix. Die Machart der Eigenproduktionen gefällt mir deutlich besser als bei Amazon.

Dann könnten Sie doch aber gerade daran etwas ändern.

Das haben Sie jetzt gesagt.

Wenn Sie selber Fernsehen - deutsche Sachen oder US-Formate?

Ich schaue fast nur deutsche Sachen. Das ist mein Metier, das ist mein Markt und da schaue ich alles von den Neunzigern bis heute. Einzige Ausnahmen sind «CSI», «The Mentalist» oder «Criminal Minds».

Welche Formate mögen Sie bei den deutschen Sendern denn besonders?

Balko mochte ich immer sehr, das fehlt mir auch von der Machart heute total im Fernsehen. Ich mag aber auch generell sehr diese typischen ZDF-Produktionen wie «Der letzte Zeuge» oder «SOKO». Seit ich klein bin, ist bei mir auch immer der Freitagskrimi verankert. «Der Alte», «Ein Fall für zwei» oder «Siska» stechen da heraus. Deswegen freut es mich aus so, dass Wolfgang Maria Bauer auch bei «Jammertal» mitspielt.

Apropos Krimi: Borowski oder Tschiller?

Ich schaue beide und ich mag beide. Von der Machart her aber eindeutig Tschiller, auch wenn es für mich nicht zum «Tatort» passt. Da ist Borowski eben deutlich authentischer, spielt mit der Region, in der die Episoden spielen, zeigt Lokalkolorit und macht damit eben auch genau das, was ein guter «Tatort» für mich tun sollte. Tschiller war ja zuletzt mehr in Istanbul als in Hamburg.

Generell fehlt besonders den Öffentlich-Rechtlichen ein wenig der Nachschub an neuen Formaten. «Traumschiff», «Kreuzfahrt ins Glück» oder «Tatort», da kommt nicht viel nach.

Wobei ich «Traumschiff» auch immer gerne schaue.

Man sollte meinen, die Serie ist ein Fossil, holt aber sogar bei der werberelevanten Zielgruppe starke Werte. Warum schauen junge Leute das?

Die Besetzung ist wunderbar: Sascha Hehn aus der «Schwarzwaldklinik», Nick Wilder alias Herr Kaiser oder auch die Jahre vorher Siegfried Rauch oder Heide Keller. Dazu Harald Schmidt oder Inka Bause und die vielen tollen deutschen Gaststars. Das bringt die Zuschauer ja auch immer wieder zurück vor den Fernseher. Man wird groß mit dem Format und bleibt dabei. Und irgendwann sitzt neben der Oma wieder die Enkelin und schaut mit. Das ist schon faszinierend.

Warum funktioniert das Konzept denn überhaupt heute noch?

Die Kontinuität ist ein großer Punkt, der Aufbau ist immer gleich und somit auch verlässlich. Es ist ein Erfolgsrezept, das sie ganz toll bewahren.

Apropos «Traumschiff» und Doktor Sander alias Nick Wilder - wie schafft er die Transformation vom Öffentlich-Rechtlichen McDreamy zum Kommissar bei «Jammertal»?

So hat man ihn noch nie gesehen. Er spielt einen heruntergekommenen Frankfurter Polizisten, der aufs Land kommt und einfach sympathisch ist. Mit seinem Porsche, der alten Lederjacke, den Cowboystiefeln und dem Dreitagebart ist er total locker aber auch wie man ihn als Arzt oder Herr Kaiser eben nicht kennt. An einer Stelle steht er mit blankem Hintern oder an einer anderen total verkatert da - und er macht das grandios. Und er hat sogar sein Traumschiff-Schmunzeln rausgelassen.

Hat ihm das gefallen?

Ich musste ihm erstmal erklären, was ich damit überhaupt meine. Am Ende haben wir es aber doch einmal gemacht, weil es einfach super passte.

Und es gibt keinen Herr-Kaiser-Witz, wo er im Traum mit Aktenkoffer und Anzug durch die Gegend läuft und als gerade jemand „Hallo Herr...“ ruft, wacht er auf?

(lacht) Nein, aber dafür hat Willi Thomczyk einen Camper-Witz bekommen.

Immerhin. Nochmal zur Zukunft - gibt es Träume, die Sie sich erfüllen möchten?

Auf jeden Fall möchte ich irgendwann eine Cobra-11-Episode schreiben. Aber nur eine, sonst geht meine kindliche Faszination für die Serie vermutlich verloren. Ich möchte einfach auch weiterhin fliegende Autos mit großen Augen schauen, da bin ich dann ganz Fan. «Alarm für Cobra 11» hat übrigens einen ganz anderen Verlauf genommen als «Das Traumschiff». Dort haben sie immer wieder neue Sachen ausprobiert, auch mal horizontal erzählt - und trotzdem hat das geklappt.

Es führen eben immer verschiedene Wege nach Rom.

Absolut. Du musst das Publikum finden und bei der Stange halten. Das ist das, was man als Produzent oder Schreiber immer im Auge behalten muss. Das zu machen, was den Nerv trifft und sich dabei immer wieder hinterfragen und die Augen offen halten.

Ein schönes Schlusswort - vielen Dank Herr Heimann für das Gespräch.

Anmerkung: Das Foto haben wir natürlich auch noch gemacht. Weitere Informationen zu «Jammertal» folgen in Kürze nach Sichtung des fertigen Films. Eine gute Informationsquelle ist auch die Homepage von Heimann Media.

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