First Look

«Fargo» Staffel 3: Der dritte dumme Zufall

von   |  1 Kommentar

Wieder einmal eine Verkettung unglücklicher Umstände, wieder einmal viel Blut. «Fargo» ist die große schwarze Serienkomödie unserer Zeit – und überrascht uns mit einer Eröffnungsszene, die Diskussionsstoff birgt.

Cast und Crew «Fargo» S3

  • Idee: Noah Hawley
  • Darsteller: Ewan McGregor, Carrie Coon, Mary Elizabeth Winstead, David Thewlis u.a.
  • Regie (Folge 1): Noah Hawley
  • Ausf. Produzenten: Hawley, Warren Littlefield, Joel und Ethan Coen u.a.
  • Produktion: 26 Keys Prods., FXP, MGM Television für FX
  • Folgen: 10 in Staffel 3
This is a true story.

Mit diesen berühmten Worten begann der Film «Fargo», damals im Jahr 1996. Die Fernsehserie macht es nicht anders; jede bisherige Staffel schwört den Zuschauer darauf ein, dass es sich hier um reale Ereignisse handelt, die erzählt werden. Alles echt.

Ein narrativer Kniff, wie sich immer wieder herausstellt. Denn eigentlich sind die «Fargo»-Geschichten ebenfalls frei erfunden. Auch in Staffel 3? Zumindest stellt Creator Noah Hawley uns auf eine neue Bewährungsprobe – ein ungewöhnliches Rätsel: Die Eröffnungsszene der dritten Staffel spielt in Ostberlin 1988. Ein Staatsbeamter bittet einen Bürger zum Verhör, der angeblich ukrainischer Immigrant sein und kürzlich seine Frau umgebracht haben soll. 20 Jahre jung. Dass die Anschuldigungen nicht stimmen können, erkennt man auf den ersten Blick: grauhaarig, mit Berliner Akzent sitzt ein Mann vor uns, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Doch je mehr der Beamte auf ihn einredet und ihn der Lüge bezichtigt, desto mehr glaubt er an die mörderische Tat. Alles, was der Mann zwecks seiner Unschuld beteuere, „ist eine Geschichte, und wir sind nicht hier, um Geschichten zu erzählen“, sagt der Beamte deutlich. „Wir sind hier, um die Wahrheit zu erzählen.“

Geschichte und Wahrheit, story und true. Die Worte hallen nach: Können Geschichten nie wahr sein, wie der Beamte impliziert? Aber was sind denn dann „wahre Geschichten“, die sogenannten true stories, die «Fargo» uns serviert? Will Noah Hawley gar ausdrücken, dass die dritte Staffel von «Fargo» nicht mehr nur reine Fiktion ist, sondern tatsächlich wahre Ereignisse zugrunde liegen?

«Fargo» bei Netflix: Das Schicksal ist fremdbestimmt


US-Medien analysieren diesen ungewöhnlichen Staffelauftakt als moderne Interpretation von Franz Kafkas Roman «Der Prozeß». Auch in Staffel 2 gab es eine entsprechende Anfangsszene mit literarischem Hintergrund, die andeutete, was die Zuschauer in den folgenden Episoden erwartet. In Staffel 3 würde dies, in kafkaesker Manier, vielleicht bedeuten: Das Schicksal ist fremdbestimmt. Es gibt keinen Ausweg aus der Situation, alle Charaktere sitzen in der Falle. Und eigentlich weiß niemand so recht, warum ihm Unheil geschieht – so wie dem Protagonist aus Kafkas «Der Prozeß», der sich mit der Unwissenheit selbst langsam in den Wahnsinn treibt. Ein Happy End gibt es dort nicht.

Wenn sich «Fargo» auch nur ansatzweise an diese Vorlage hält, so erwartet uns die wohl ungewöhnlichste und surrealste Staffel der großartigen Serie. Die Ereignisse spielen diesmal im Jahr 2010 in Minnesota, wo wieder einmal unglückliche Umstände zu noch unglücklicheren Handlungen führen: Polizist Ray Stussy will vom Vermögen seines neureichen Bruders Emmit profitieren und beauftragt einen frisch festgenommenen Dieb, eine wertvolle Briefmarke aus dem Haus des Bruders zu stehlen. Emmit hat dabei ganz andere Probleme: Als er ein altes Darlehen zurückzahlen will, stellt sich der zwielichtige Geldgeber quer – die Summe sei damals nicht als Kredit gedacht gewesen, sondern als Investment. Emmit realisiert nur langsam, dass er damals einen Deal mit dem Teufel eingegangen ist. Auch der Briefmarkenraub funktioniert nicht wie geplant. Soviel vorweg: Es gibt Tote, wie immer bei «Fargo», und es gibt Erpressung, Lügen, bad girls. Insgesamt wirkt dieser Staffelauftakt düsterer als in den vorherigen beiden Staffeln.

Dies liegt unter anderem daran, dass der überwiegende Teil der Charaktere auf der Skala zwischen Gut und Böse eher zu letzterem Ende ausschlägt: Ray Stussy, eigentlich Polizist, zieht krumme Spiele mit seiner jungen Freundin bei Kartenturnieren ab, und Bruder Emmit scheint sein Vermögen ebenfalls nicht ganz sauber angehäuft zu haben. Der ominöse Investor mit dem noch ominöseren Namen V.M. Vargas schafft es durch einen mehrminütigen Angst-Monolog, Emmit – und dem Zuschauer – den Atem zu rauben. Wo finden wir überhaupt noch das Gute? Nur in Gestalt einer Polizistin, die zufällig (wie sollte es bei «Fargo» auch anders sein) in den Schlamassel hineingezogen wird.

«Fargo» funktionierte schon immer über die charakterlichen Abgründe, die sich plötzlich und unverhofft zeigen. Gespielt wird diese Ambivalenz wieder wunderbar, ob bei Ewan McGregor, David Thewlis oder Carrie Coon. Die kafkaeske Ausweglosigkeit, in der sich die Figuren befinden, wird erneut beeindruckend eingefangen durch weite verlassene Landschaften und bronzene Laternenlichter, die die Dunkelheit durchschneiden. Kaum eine andere Serie dieser Zeit schafft ein solches Gefühl von gleichzeitiger Freiheit und Beklommenheit; ein Gefühl, das sich auf die skurrilen Charaktere überträgt.

Willkommen zurück, schneeverwehtes Minnesota. Wir haben dich vermisst.

Netflix veröffentlicht jede Woche eine neue Folge der dritten Staffel von «Fargo».

Mehr zum Thema... Der Prozeß Fargo
Kurz-URL: qmde.de/92651
Finde ich...
super
schade
95 %
5 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelOliver Berben: «Parfum» passt zu ZDFneonächster Artikel'Komödien sind gar nicht so leicht, wie es Branchenfremde manchmal behaupten'
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Vittel
23.04.2017 12:49 Uhr 1
Staffel 1 und 2 waren schon sensationell, ob das Niveau in der 3. Staffel gehalten werden kann?

Ich freue mich auf jeden Fall!
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung