Die Kritiker

«Tatort – Am Ende geht man nackt»

von

Ein Molotow-Cocktail fliegt durch das Fenster einer Flüchtlingsunterkunft und eine junge Frau kommt ums Leben. Der dritte Franken-Tatort versucht einen schwierigen Spagat – und übernimmt sich daran.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Dagmar Manzel als Paula Ringelhahn
Fabian Hinrichs als Felix Voss
Eli Wasserscheid als Wanda Goldwasser
Andreas Leopold Schadt als Sebastian Fleischer
Matthias Egersdörfer als Michael Schatz
Mohamed Issa als Basem Hemidi
Yasin El Harrouk als Said Gashi
Till Wonka als Luca Rossi
und weitere

Hinter der Kamera:
Regie: Markus Imboden
Drehbuch: Holger Karsten Schmidt
Kamera: Jürgen Jürgens
Produktion: Rat Pack Filmproduktion
Kamera: Henning Jessel
Die Flüchtlingsthematik ist ein heißes Eisen, das schon so mancher «Tatort» mal mehr, mal weniger erfolgreich versucht hat anzupacken. Wie viel Political Correctness ist angebracht, wie fällt das Feedback auf vermeintlich zu positiv oder negativ dargestellte Geflüchtete aus? Und ist das Thema in deutschen Krimis nicht schon überstrapaziert? Auch der dritte Franken-«Tatort», produziert von der Rat Pack Filmproduktion im Auftrag des Bayerischen Rundfunks, setzt sich mit der Sachlage auseinander, und richtet dabei den Fokus auf einen ankommenden, geflüchteten Syrer sowie dessen Lebensumstände innerhalb einer Flüchtlingsunterkunft. Diese wurde kurz zuvor Schauplatz eines Verbrechens, mit dessen Aufklärung die Ermittler der Mordkommission Franken betraut werden.

Bei einem Brandanschlag auf die Gemeinschaftsunterkunft in Bamberg kommt Neyla Mafany (Dayan Kodua) aus Kamerun zu Tode. Als der Brandsatz von der Straße aus in die Gemeinschaftsküche flog, war sie im Vorratsraum. Der Fluchtweg war durch eine nur von der Küche aus zu verriegelnden Tür versperrt. Für die Ermittler stellt sich die Frage, ob jemand in der Küche die Situation ausgenutzt und die Tür verriegelt hat. Gibt es einen Täter drinnen und einen draußen? Keiner der Anwohner hat etwas gesehen. Keiner der Flüchtlinge macht eine Aussage. Niemand will in Schwierigkeiten kommen. Als Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) den Fall polizeilich aufnehmen, ist Felix Voss (Fabian Hinrichs) noch auf dem Rückflug aus dem Kaukasus. Dass ihn in der Flüchtlingsunterkunft noch niemand kennt, bringt Voss auf die Idee, als vermeintlich tschetschenischer Flüchtling verdeckt zu ermitteln. Und Felix bringt mit seinem Wissen um Land und Sprache eine kleine Legende für eine verdeckte Ermittlung mit. Während Paula, Wanda und Fleischer offizielle Befragungen vornehmen, versucht Voss als „Erso Maschadow“ in der Unterkunft Vertrauen aufzubauen und so von drinnen an Informationen zu kommen. Mit Bedacht nähert er sich Said Gashi (Yasin El Harrouk), der unter den Flüchtlingen das Sagen hat. Mit dem traumatisierten jungen Syrer Basem (Mohammed Issa) verbindet ihn bald mehr.

Man wird von Beginn an den Eindruck nicht los, der Film von Regisseur Markus Imboden will gleichzeitig ein spannender Krimi mit Lokalkolorit sein, und eine einfühlsame Geschichte über das Leben und die Probleme von Geflüchteten in einem Land der Fremde. Leider gelingt dem Franken-«Tatort» weder das eine noch das andere auf zufriedenstellende Weise.

Zunächst zum Kriterium des lokal verwurzelten Krimis: Die Spannung will sich über die gesamte Laufzeit nicht wirklich einstellen, und speziell im Mittelteil wartet die Story mit einigen Längen auf. Das Lokalkolorit wird in Form des fränkischen Dialekts hingegen ganz groß geschrieben. Hier tut sich erneut Matthias Egersdörfer als Leiter der Spurensicherung Michael Schatz hervor, der die weiche Mundart nicht nur perfekt beherrscht, sondern sie auch in Form humoristischer Highlights einzusetzen weiß. In manchen Szenen wäre hingegen weniger mehr gewesen, nicht immer wird der Dialekt fehlerfrei wiedergegeben und in wenigen Fällen nimmt er dem Spiel der Darsteller gar ein Stück Seriosität. Dass der Großteil der Schauspieler, die das Ensemble der Mordkommission Franken bilden, aus dem Frankenland stammt, ist hingegen unverkennbar und stärkt die Glaubwürdigkeit der Figuren. Die Chance, den beliebten Touristenspot Bamberg in Szene zu setzen und somit dem Setting weitere Originalität zu verleihen, wurde hingegen verpasst.

Zudem wird deutlich: 90 Minuten reichen nicht aus, um eine solch komplexe Thematik wie Flüchtlinge in Deutschland in eine Krimi-Handlung, geschweige denn in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, einzubetten. Zwar kommt Hauptkommissar Voss in der Gemeinschaftsunterkunft mit einigen Refugees in Kontakt, diese Charaktere bleiben jedoch meist ohne Tiefe. Vielmehr wird eine Übersicht über unterschiedliche Lebenszustände geliefert: Ein Flüchtling war in seiner irakischen Heimat Taxifahrer und wartet als Geduldeter seit fünf Jahren auf eine Aufenthaltsgenehmigung, ein anderer war Kinderarzt, dessen Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wurde und einer verdient sein Geld mit dem Verkauf von Hehlerware. Und dann gibt es noch den traumatisierten Jugendlichen Basem Hemidi, gekonnt gemimt von Nachwuchstalent Mohamed Issa. Trotz dessen starker Performance kratzt der Versuch, das Trauma seiner Figur lediglich durch einen Albtraum abzubilden, lediglich an der Oberfläche.

Im zwischenmenschlichen Bereich treffen Drehbuch und Protagonisten hingegen den richtigen Ton. Die beiden Kriminalhauptkommissare, der empathische Felix Voss und die provokante, pragmatische Paula Ringelhahn harmonieren prächtig. Die für diese Figur so ungewohnte Wärme, die Ringelhahn Voss entgegenbringt, lässt Raum für eine interessante Charakterentwicklung in den kommenden Franken-Tatorten. Auch zwischen Voss und dem jungen Basem stimmt die Chemie spürbar und die Sorge des Ermittlers wirkt – im Gegensatz zu seiner zweifelhaften Tarnung als tschetschenischer Flüchtling – stets glaubhaft. Dass er zwischenzeitlich überlegt, den jungen Syrer sogar zu adoptieren, ist hingegen viel zu dick aufgetragen.

Die Nebenrollen kommen leider nicht ohne Klischees aus. Auf der einen Seite die gutmütige, freiwillige Helferin in der Flüchtlingsunterkunft, auf der anderen Seite der plumpe Fascho. Dass Hauptkommissarin Ringelhahn dessen dumpfen Parolen mit einem bemüht-lässigen Facebook-Zitat begegnet, sticht negativ aus den ansonsten recht ansprechenden Dialogen hervor. Auch ein skrupelloser Geschäftsmann darf in dieser Reihe nicht fehlen.

Interessanterweise ist zweimal ein Kamera-Team des BR vor Ort, um Stimmen der Beteiligten einzufangen. Dass die Journalisten dabei die Arbeit der Polizei eher behindern und gleichzeitig kaum brauchbare Informationen erhalten, kann durchaus als Medien- und somit als Selbstkritik verstanden werden.

«Tatort: Am Ende geht man nackt» ist am 9. April 2017 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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