Die Kino-Kritiker

«Rogue One». Eine «Star Wars»-Story. Vier Kritikansätze.

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Kritik des Monats: «Rogue One» erzählt eine Nebengeschichte aus dem «Star Wars»-Universum. Und ist ein Film, der für sich stehen, Reshoot-Debatten entgegnen, «Star Wars» neu erfinden und dem Zeitgeist antworten muss.

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Rogue One – A Reshoot Story


Filmfacts «Rogue One: A Star Wars Story»

  • Regie: Gareth Edwards
  • Produktion: Kathleen Kennedy, Allison Shearmur, Simon Emanuel
  • Drehbuch: Chris Weitz, Tony Gilroy
  • Story: John Knoll, Gary Whitta
  • Darsteller: Felicity Jones, Diego Luna, Ben Mendelsohn, Donnie Yen, Mads Mikkelsen, Alan Tudyk, Jiang Wen, Forest Whitaker
  • Musik: Michael Giacchino
  • Kamera: Greig Fraser
  • Schnitt: Jabez Olssen
  • Laufzeit: 133 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Stil ungleich Essenz. Obwohl Edwards als Inspiration für «Rogue One» mehrere einschlägige Kriegsfilme nennt, darunter den viel zitierten «Soldat James Ryan», und filmkundige Kinogänger die Einflüsse bemerken dürften: Tonal ist «Rogue One» weiterhin im «Star Wars»-Universum verankert – wenngleich der Anker recht locker sitzt. Blutspritzer, Gedärme und abgetrennte Köpfe müssen Verteidiger der expliziten Gewalt bei Edwards‘ Vorbildern suchen, ebenso wie Vulgärvokabeln. All dies wäre eigentlich nicht weiter der Rede wert – fünf von sieben «Star Wars»-Filmen endeten zuvor als Tragödien mit dezentem Silberstreif der Hoffnung am Horizont, und selbst die zwei Ausnahmen waren noch immer familienfreundlich.

Diese wurden allerdings zu Zeiten veröffentlicht, als es die heutige Internet-Diskussionskultur noch nicht gab. Sowie vor dem Kauf Lucasfilms durch Disney, dem einzigen Unterhaltungskonzern, von dem selbst Hinz und Kunz eine klar abgesteckte Meinung haben. Als im Sommer 2016 öffentlich wurde, dass ausführliche Nachdrehs zu «Rogue One» vorgenommen werden, brannte es in den einschlägigen Oasen zum «Star Wars»-Meinungsaustausch. Disney wolle alles verniedlichen, vereinfachen und aufhellen. Käme «Rogue One», so wie er nun ist, bei der früheren «Star Wars»-Heimat Fox heraus, würde wohl niemand aufschreien: „Wieso ist er nicht brutaler, wurden da vielleicht ein paar Metzeleien weggebügelt?“ Aber da «Star Wars» nun dort wohnt, wo auch Micky Maus tollt, werden die üblichen Verdächtigen auch dem bis dato kompromisslosestem «Star Wars»-Film vorwerfen, dass er kompromittiert wurde.

Fakt ist, dass praktisch jeder Film ab einer gewissen Budgetgrenze von Beginn an Nachdrehs einplant. Revisionen gehören zum kreativen Prozess dazu (niemand verbietet es Schriftstellern, ihre Romane Korrektur zu lesen, oder verlangt von Programmierern, Games in einem Rutsch zu codieren). Wer das Geld hat, Filmsequenzen, die sich im Schneideraum als unrund herausgestellt haben, nochmal auf die Beine zu stellen, soll es auch dazu nutzen. Wer sich genügend mit der Filmhistorie befasst, weiß, wie viele Projekte durch das nunmehr verpönte „Okay, nochmal neu!“ gerettet wurden.

Dass die «Rogue One»-Reshoots ungewohnt lang waren und sich die Hollywood-Branchenportale darin widersprechen, welche kreativen Kräfte dieses Films wie intensiv an ihnen beteiligt waren, mag stimmen. Ebenso, dass die einen Quellen davon berichten, dass hauptsächlich Dialogpassagen zwecks inhaltlicher Verständlichkeit erneut angepackt wurden, während andere Quellen davon sprechen, dass aus „kleineren zweiten Versuchen“ hinsichtlich Actionpassagen sehr wohl aufwändige Neudrehs wurden. Und ob während dieses Prozess nun die Gewalt gemildert wurde oder nicht, das wissen letztlich eh nur die Beteiligten.

Was zählt, ist das Ergebnis. Und dahingehend hat «Rogue One» die leider unvermeidlichen Zweifel nicht verdient: Der «Star Wars»-Ableger wirkt, anders als etwa der stilistisch schizophrene, wegen seiner Reshoots viel debattierte «Suicide Squad», wie aus einem Guss. Ohne Medienberichte stünde die Frage „Wurde hier rumgepfuscht?“ nicht zur Debatte. Edwards kreiert durchweg eine schroffe Kriegsgeschichte vor dem fantasiereichen Hintergrund einer zerrissenen Galaxie, die durch gut eingesetzten, menschelnden Humor ein schlagendes Herz erhält. Dieses wiederum ist essentiell, um trotz der zwar moralisch mehrschichtigen, dennoch nur spärlich beleuchteten Hauptfiguren Suspense zu erzeugen. Wie soll das Publikum denn sonst bei dieser recht rauen Erzählung mitfiebern, die nur wenig Hoffnung kennt und sie daher zum begehrenswerten, entscheidenden Gut erhebt?


Rogue One – A Star Wars Flick


Für manche Filmliebhaber mag diese These einem Sakrileg gleichkommen. Dennoch: Charakterzeichnung war noch nie die große Stärke von «Star Wars». Das Erschaffen pulsierender, faszinierender Welten? Klar. Mythenbildung? Ebenso. Eine ikonische Bild- und Klangsprache? Sowieso. Das Einführen (und Aufrechterhalten) denkwürdiger Wesen? Logo. Jeder, der jemals einen «Star Wars»-Film gesehen hat, wird irgendeinen Droiden, irgendein Aliengeschöpf oder eine Gerätschaft ins Auge fassen und als sein Lieblingselement entdecken. Cool aussehen – das schafft «Star Wars» seit 1977. Zu Herzen gehende, tiefgreifende Figurenzeichnung ist trotzdem ein anderes Paar Schuhe.

Fesche Archetypen finden in diesem Filmuniversum selbstredend ihren Platz – wie der kernige Schmuggler und Gelegenheitsheld Han Solo oder der imposante Fiesling Darth Vader. Wann immer es ums Persönliche und Zwischenmenschliche geht, zeigt sich das Franchise aber (mal deutlicher, mal beiläufiger) von seiner schwachen Seite. Daran ändert auch «Rogue One» nichts. «Die Entdeckung der Unendlichkeit»-Darstellerin Felicity Jones tut ihr Bestes, um der Rebellin Jyn Erso Aussagekraft zu verleihen: Als Tochter des Mannes, der mutmaßlich die mächtigste Waffe des Imperiums entworfen hat, hadert sie wiederholt glaubwürdig damit, was sie glauben und wie sie handeln soll. Jyns behutsamen Werdegang von der störrischen Einzelgängerin zur Rebellenanführerin stellt Jones angemessen, zuweilen sogar inspirierend dar. Dennoch funktioniert die Figur vornehmlich durch ihren Platz im Geschehens und Jones‘ Ausstrahlung – ihren inneren Konflikt entwerfen die Autoren letztlich nicht filigran genug

Die restlichen Rebellen sind als Archetypen angelegt: Donnie Yen mimt einen blinden, an die Macht glaubenden Krieger mit blitzschnellem Reaktionsvermögen. Jiang Wen folgt ihm als schießwütiger Assassine auf Schritt und Tritt. Und Diego Luna legt seinen Part des Rebellen-Nachrichtenoffiziers bewusst bodenständig und alltäglich an: Als normaler junger Mann von nebenan, der in diese kriegerische Welt geraten ist und mit komplexen moralischen Entscheidungen zu tun hat. Jeder von ihnen wird aufgrund seines Typus Teile des Publikums kalt lassen und andere begeistern. Ausführungen? Gibt es kaum, braucht es kaum, wo es doch einen neuen, urkomischen Droiden gibt, der allen die Schau stiehlt. Nur Riz Ahmed versinkt als ehemaliger Pilot des Imperiums völlig im Tumult auf der Rebellenseite, auf die er gewechselt ist – dafür gibt Forest Whitaker als vom Krieg geschundener Veteran der «Star Wars»-Trickserien eine stark akzentuierte Performance ab.

Auf der Seite des Imperiums hinterlässt vornehmlich Ben Mendelsohn darstellerisch Eindruck: Als Militärdirektor Orson Krennic wird er sich ob seines überschaubaren Einflusses nicht unbedingt in der «Star Wars»-Schurkenriege nach ganz vorne schleudern. Jedoch ist Mendelsohn nicht abzusprechen, dass er blitzschnell zwischen manisch, unterkühlt, verhandelnd, enttäuscht und frustriert wechseln kann, ohne dass seine Rolle dabei fahrig wirkt. Schade, dass ihm durch Gastauftritte schon bekannter Figuren die Schau gestohlen wird – diese sind zwar narrativ flüssig genug in «Rogue One» eingebaut, dass sie nicht störend wirken. Trotzdem lenken sie den Fokus dieser kleinen, schmutzigen, aber entscheidenden Rebellengeschichte ab, ohne sie als „Ausblick auf die andere Seite des Konflikts“ bedeutsam zu kommentieren.

Ob nun inhaltlich solide begründeter Fanservice einem schärferen erzählerischem Fokus hätte weichen sollen, werden geneigte Kinobesucher sicher noch lange ausdiskutieren. Zumal die nächsten «A Star Wars Story»-Projekte erneut diesen Balanceakt versuchen werden. «Rogue One» gelingt es als Vorhut, trotz mancher Schlenker zwei Dinge gleichzeitig zu sein: Einerseits ist dieses mit starken Effekten bestückte Epos in sich geschlossen – zumindest mehr als in der heutigen Franchisewelt üblich. Edwards erzählt seine Anekdote von Anfang bis Ende, mit wenigen Handlungsfäden, die am Rand irgendwie rausfransen. Andererseits ist «Rogue One» ein stark auf Fans abzielendes Bonuskapitel, das die bisherige «Star Wars»-Saga ergänzt und vertieft.

Ja, der Einstieg in dieses Addendum ist sehr holprig, die ersten 15 Minuten über werden Figuren angerissen und vorläufig fallen gelassen, ohne dass sie greifbar werden. Und «Star Wars»-Novizen, die Probleme haben, alles hinzunehmen, was ihnen entgegengeschleudert wird, sollten lieber Episode IV oder VII als Einstieg wählen, um diesen speziellen Fall später nachzureichen. Sobald diese Story aber ins Rollen gekommen und die Rebellengruppe zusammengeführt ist, zündet sie – und sie hat viel Sprengstoff dabei. Dank ihrer Themen. Der Bildsprache. Dem Verhältnis zum restlichen Franchise. Und dank ihrer Archetypen.

«Rogue One: A Star Wars Story» ist ab dem 15. Dezember 2016 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.

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