Die Kritiker

«Ein Mann unter Verdacht»

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Sieben Tage nach dem interaktiven, komplexe juristische und ethische Fragen aufwerfenden «Terror – Ihr Urteil» gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen Pulp-Justizthriller zu sehen. Das sündige Vergnügen hält sich angesichts der Umsetzung allerdings in Grenzen.

Filmfacts «Ein Mann unter Verdacht»

  • Regie: Thomas Stuber
  • Darsteller: Mark Waschke, Petra Schmidt-Schaller, Deborah Kaufmann, Peter Kurth, Annika Kuhl, Hanns Zischler, Aljoscha Lange, Sophie Lutz, Ronald Kukulies
  • Drehbuch: Stefan Kolditz
  • Kamera: Moritz Schultheiß
  • Szenenbild: Annette Kuhn
  • Schnitt: Lars Jordan
  • Musik: Thilo Töpfer
Der Ehemann. Keine Frage: Es war der Ehemann! Andere Täter kann es nicht geben, wenn eine Frau spurlos verschwindet! Es ist immer der unkontrollierbare Gatte – respektive der auffällig unauffällige Gatte, bei dem es doch nur eine Frage der Zeit war, bis er ins andere Extrem wechselt und austickt! Weshalb überhaupt noch ermitteln, wir alle wissen, wer schuldig ist. Bringt ihn endlich hinter Gittern!

Eben dieses Denken treiben Drehbuchautor Stefan Kolditz («Unsere Mütter, unsere Väter») und Regisseur Thomas Stuber («Herbert») in «Ein Mann unter Verdacht» auf die Spitze: Zwei Tage nach ihrer Geburtstagsparty verschwindet Thomas Altmanns Frau Anja (Deborah Kaufmann) spurlos. Als Thomas (Mark Waschke) sie als vermisst meldet, dauert es nicht lange, bis er unter Mordverdacht steht. Denn da, wo keine Spuren existieren, besteht noch immer viel Interpretationsraum für belastende Indizien.

Die Ehe lief nicht mehr so glatt wie noch vor einigen Jahren. Der gemeinsame, derzeit tief in der Pubertät steckende Sohn Anton (Aljoscha Lange) spricht schlecht von seinem Vater, Thomas‘ Schwiegervater (Hanns Zischler) erschwert diese Vorwürfe, behauptet, er sei furchteinflößend und Anja wäre unter ihm zu einem verängstigten Mäuslein verkommen. Thomas' Anwältin Lavinia Bertok (Petra Schmidt-Schaller) zerschlägt zwar die Argumente der Kriminalbeamten, doch die attraktive, kämpferische Frau war vor rund 20 Jahren Thomas‘ Geliebte, ehe er ein Auge auf Anja warf. Diese frühere Beziehung wird Thomas belastend angelegt …

Sieben Tage, nachdem Das Erste mit «Terror – Ihr Urteil» einen anspruchsvollen, zum Denken anregenden Justizfilm ausgestrahlt hat, gibt es mit «Ein Mann unter Verdacht» im ZDF den absoluten Gegenentwurf zu sehen. Leider nicht nur tonal, sondern auch qualitativ. Dass Kolditz und Stuber ihren Neunzigminüter als waschechten Pulp-Thriller voller Handlungswenden, Sex und haarsträubend-vehement nur auf einen einzigen Verdächtigen einhämmernden Ermittlern anlegen, ist absolut genehm. Solcher Filmstoff kann enormen Spaß machen und trotz der geringeren moralischen Komplexität große Spannung entfalten – die zahlreichen „Ein Mann unter Verdacht“-Thriller Hitchcocks waren zumeist in dem Sinne meisterlich umgesetzter Edelschund. Und in jüngster Vergangenheit hat David Fincher mit «Gone Girl – Das perfekte Opfer» eine komplexe Story mit schundhaftem Vergnügen realisiert.

Nun muss sich der ZDF-Fernsehfilm «Ein Mann unter Verdacht» selbstredend nicht sogleich mit den besten Filmen seines Subgenres messen, doch sie dürfen als Wegweiser dienen, wo dieser kleine Thriller hätte hinführen können. Denn Spannung entfaltet sich hier leider nicht, da früh deutlich wird, dass alle Figuren dauernd lügen und Kolditz‘ Drehbuch gefühlt im 15-Minuten-Takt eine 180°-Wende unternimmt. Zum Miträtseln und Mitknobeln wird das Publikum so nicht angeregt, da es keine verlässlichen Indizien erhält. Auch eine emotionale Bindung zur Hauptfigur Thomas ist angesichts Stubers kühler Inszenierung nur schwer möglich. Dass Thomas obendrein von Skriptseite her kaum mehr ist als der passive Spielball seines Umfelds, schränkt Mark Waschke in seinen darstellerischen Optionen ein, so dass einem als Zuschauer sein Schicksal nahezu gleichgültig wird.

Ab und an lässt sich der kühlen, systematischen Optik und der wenig engagierenden Erzählung zum Trotz wenigstens der Spaßfaktor an diesem Thriller rausziehen und genießen. Peter Kurth und Annika Kuhl sind als mit Scheuklappen durch den Fall stolperndes Ermittlerduo, bei dem er den Kotzbrocken-Part übernimmt und sie den der freundlich agierenden, letztlich aber wenig ambitionierten Polizistin, sehr vergnüglich. Man liebt es, ihre Rollen für ihre Unfähigkeit zu hassen. Und ZDF-Allzweckwaffe Petra Schmidt-Schaller stackst mit Männerfresser-Blick herrlich versiert durch den Film und transformiert ihre Figur der dominanten Anwältin mit ansteckender Spielfreude zur zwar klischeehaften, doch pointiert eingesetzten Femme fatale. Das dramatisch präsentierte Ende lässt einen trotzdem genauso unberührt wie der Großteil der Hinleitung.

«Ein Mann unter Verdacht» ist am Montag, den 24. Oktober 2016, ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

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