Die glorreichen 6

Die glorreichen 6: Kleinode der heutigen Science-Fiction (Teil III)

von

Sechs Filme aus diesem Jahrtausend. Sechs Formen der Science-Fiction. Sie alle haben gemeinsam: Es sind starke Werke abseits großer Hollywood-Franchises. Dieses Mal: «Coherence».

Die Story


Filmfacts «Coherence»

  • Regie: James Ward Byrkit
  • Story: James Ward Byrkit, Alex Manugian
  • Produktionsjahr: 2013
  • Darsteller: Emily Baldoni, Maury Sterling, Nicholas Brendon, Lorene Scafaria, Hugo Armstrong, Elizabeth Gracen, Alex Manugian, Lauren Maher
  • Musik: Kristin Øhrn Dyrud
  • Kamera: Nic Sadler
  • Schnitt: Lance Pereira
  • Laufzeit: 88 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Nach langer Zeit gelingt es dem Ehepaar Mike (Nicholas Brendon) und Lee (Lorene Scafaria) wieder, ihre Freunde zu einer Dinnerparty zu versammeln. Angemeldet haben sich die frühere Tänzerin Emily (Emily Baldoni) und ihr Freund Kevin (Maury Sterling), dessen Ex Laurie (Lauren Maher) und ihr neuer Lebensgefährte Amir (Alex Manugian) sowie Beth (Elizabeth Gracen) und ihr Ehemann Hugh (Hugo Armstrong). Am Abend dieses gemütlichen Zusammenseins zieht ein Komet an der Erde vorbei, was zunächst das bestimmende Gesprächsthema in der Runde ist. So ist Emily auf der Hinfahrt ohne erkennbaren Grund das Handydisplay zersprungen, was ihre Freunde halb scherzend auf das astronomische Ereignis schieben.

Die Freunde tauschen sich über weitere skurrile Anekdoten aus, die sie erlebt oder einst aufgeschnappt haben. Aber auch andere Themen stehen auf der Tagesordnung. Etwa Amirs Entscheidung, zusammen mit Laurie aufzukreuzen, obwohl sie als Kevins impulsive Ex-Geliebte nicht bei allen Anwesenden einen guten Stand hat. Mike erzählt von seinem Job als Schauspieler, Beth analysiert, ob Mikes Haus nach den Regeln des Feng Shui harmonisch eingerichtet ist, und so weiter. Als plötzlich der Strom ausfällt, macht sich Hugh Sorgen: Sein Bruder, ein exzentrischer Wissenschaftler mit großem Interesse an Themen wie Astronomie und Quantenphysik, meinte, dass in dieser Nacht kuriose Dinge geschehen könnten. Die Gruppe fängt an, nervös zu werden. Womöglich aus gutem Grund …

Die Themen


«Coherence» ist ein Science-Fiction-Film im grundlegenden, wortwörtlichen Sinne: James Ward Byrkit setzt mit diesem rätselhaften Thriller eine Geschichte um, die ohne Spezialeffekte auskommt und sich nicht durch futuristische Elemente definiert. Stattdessen nimmt die lediglich 50.000 Dollar teure Produktion naturwissenschaftliche Theorien sowie Gedankenspiele, und sinniert über sie in Form einer fiktionalen Erzählung. Unter anderem wird auf Fragen über Wahrscheinlichkeit und das quantenmechanische Paradoxon 'Schrödingers Katze' eingegangen sowie über wissenschaftliche Theorien darüber, wie Wirklichkeit zu verstehen ist. Auf diesem Fundament ruhend erzählt «Coherence» jedoch eine menschliche, charaktergesteuerte Geschichte über Zerrissenheit in jeglichem Sinne und darüber, wie sehr uns selbst kleinste Entscheidungen und Zufälle prägen können. Des Weiteren zeigt «Coherence», wie unterschiedlich Problemlösungsansätze ausfallen können und provoziert die Frage, ob wir persönlich lieber unserem eigenen Wohlbefinden oder dem unserer Freunde Vorrang geben.



Die 6 glorreichen Aspekte von «Coherence»


Das grundlegende Konzept von «Coherence» entstand dadurch, dass sich Regisseur und Autor James Ward Byrkit auf seine Wurzeln am Theater zurückbesinnen wollte: Nachdem Byrkit als Konzeptkünstler diverse Actionsequenzen in Gore Verbinskis «Pirates of the Caribbean»-Filmen entwickelt hat und zudem die Story des Gore-Verbinski-Animationswestern «Rango» mitverantwortete, nahm er sich vor, wieder ein kleineres Projekt anzupacken. Es sollte ein Mikrobudget-Projekt mit verschwindend geringer Crew sein, das nahezu durchweg in einem einzelnen Haus spielt und bei dem die Darsteller ohne Drehbuch auskommen sollten. Um der Story dennoch Gewicht und gefühlt höhere Ausmaße zu verleihen, entschied er sich für ein Science-Fiction-Fundament, das es ihm auch erlauben würde, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen, unter anderem filmisch über Schrödingers Katze zu referieren. Das Ergebnis ist ein ungewöhnlicher, fesselnder Mix aus Science-Fiction-Theorie und «Der Gott des Gemetzels»-haftem Kammerspiel.

Dies erlaubt es Byrkit und seinem Schreibpartner Alex Manugian, komplexe naturwissenschaftliche Theorien emotionsgesteuert in die fiktionale Tat umzusetzen, ohne sie daher zu simplifizieren: Das mal dramatische, mal komödiantische Geplänkel des leicht dysfunktionalen Freundeskreises schafft einen Rahmen, der es erlaubt, sich ins ursprüngliche Geschehen hinein zu fühlen und mit den Figuren zu identifizieren. So ködert Byrkit sein Publikum, damit es mitknobelt, sobald die Situation eskaliert und die Protagonisten versuchen, sich einen Reim aus den Ereignissen zu machen. Je nach persönlichem Interessensschwerpunkt kann sich jeder Zuschauende daraufhin stärker auf das komplexe Science-Fiction-Puzzle stürzen oder verstärkt auf die Figuren und ihre Dilemmata achten. Schlussendlich ist es die Kombination aus beidem, die «Coherence» mit zunehmender Komplexität immer packender macht – auch dank des naturalistischen, somit die abgefahrenen Ereignisse emotional erdenden Schauspiels des Ensembles.

Byrkit erzielte dies dadurch, dass er ihm vertraute Schauspieler auswählte, die sich gegenseitig kaum bis gar nicht kannten und für fünf Tage zu sich nach Hause geladen hat. Die Darsteller, die sich kaum vorbereiten konnten, erhielten allesamt jeden Abend geheime Memos. Diese beinhalteten Gesprächsthemen, die ihren jeweiligen Figuren unter den Nägeln brennen sollten, die Gefühlslage, in der sie sich befinden, sowie Aufgaben, von denen die anderen Darsteller nicht wussten. Diese konnten sich teils widersprechen, etwa, indem ein Schauspieler das Ziel erhielt, im Laufe des Abends das Haus zu verlassen, während ein anderes Ensemblemitglied die Aufgabe bekam, niemanden gehen zu lassen. Dies hat wirklichkeitsgetreues Kopfzerbrechen der nach und nach die Geschehnisse begreifenden Figuren respektive Schauspieler zur Folge, eine lebensnahe Dosis an in den Dialogen hervortretenden Galgenhumor und ein gesundes Understatement der improvisierenden Mimen. Verstärkt wird dieser Improvisationsaspekt durch die dokumentarische Kameraführung.

Kameramann Nic Sadler arbeitet mit vielen Nahaufnahmen, die dem Publikum das Gefühl geben, mitten in Mikes Wohnzimmer zu sitzen und als stillschweigender neunter Freund im Bunde den Anderen zuzuschauen. Das glühende Orange der Wohnzimmerbeleuchtung gibt dem Schauplatz eine warme, heimelige Atmosphäre, wobei die Intensität des sehr hellen Lichts je nach Kameraeinstellung anstrengend ist und somit die unterschwellige Anspannung im Freundeskreis verdeutlicht. Die norwegische Komponistin Kristin Øhrn Dyrud konterkariert die warme Farbästhetik mit einem eiskalten, synthesizerlastigen Score, der mit atmosphärischen, tranceartigen Klängen eine distanzierte, subtil-schaurige Stimmung erschafft.

Byrkit und sein Cutter Lance Pereira brechen wiederum die unmittelbare Cinéma-vérité-Optikk durch zahlreiche Schwarzblenden auf, durch welche die Gespräche der Dinnergäste fragmentieren – so, als seien sie willkürliche Erinnerungen. Darüber hinaus unterstreichen sie eines der zentralen Themen des Films und sind laut Byrkits Aussagen als weiteres Rätsel zu verstehen, da sie unausgesprochenen Regeln folgen. Nicht nur deswegen verfügt «Coherence» über einen hohen Rewatchability-Faktor: Die anspruchsvolle, aber zugängliche Geschichte steckt voller bedeutungsschwerer Details, die für ein Verständnis dessen, was die Hauptfiguren durchmachen, nicht notwendig sind, wohl aber ein dichtes, packendes Rätsel ergeben, das zu entschlüsseln ein wahrer Genuss ist.

«Coherence» ist auf DVD und Blu-ray in Single-Disc-Editions und limitierten Luxusausgaben mit Soundtrack-CD erhältlich. Darüber hinaus kann er via Amazon, Maxdome, iTunes, Google Play und Videoload gestreamt werden.

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