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«Les Guignols»: Puppen-Parodien auf Promis und Politiker

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Europa blickt der EM wegen nach Frankreich – und Quotenmeter.de auf das französische Fernsehen. Im letzten Teil: Rabiate Puppen-Parodien bei Canal Plus.

Wer einmal ein paar Ausgaben der in Frankreich äußerst beliebten Magazine „Charlie Hebdo“ oder „Le Canard Enchaîné“ gelesen hat, weiß, dass es in der französischen Polit-Satire mitunter wesentlich rabiater zugeht als in der deutschen. Die „Titanic“ und „Die PARTEI“ mögen sich redlich bemühen; aber im Vergleich mit den beißenden Respektlosigkeiten und messerscharfen Beobachtungen von Biard, Pétillon und – Gott habe ihn selig, Tout est sûrement pardonné – Charb, wirken Martin Sonneborn und Tim Wolff wie folgsame Musterschüler. Satire scheint in Frankreich noch weniger Ängste zu haben, Personen des öffentlichen Lebens und ganz besonders natürlich Politiker hart anzugehen, mitunter brachial, manchmal brutal, und schreckt auch nicht davor zurück, Religionsstifter, -gründer und –funktionäre in ähnlichem Duktus zu persiflieren.

Was Charlie und die angekettete Ente für den Print-Markt sind, machen im Fernsehen seit den späten 80er Jahren «Les Guignols», Prominenten und Politikern nachempfundene Latex-Puppen, mit denen jene allabendlich beim Pay-TV-Sender Canal Plus deftig aufs Korn genommen werden. Ursprünglich an der (im Mutterland seit Jahrzehnten abgesetzten) britischen Satire-Show «Spitting Image» orientiert, entwickelte «Les Guignols de l’info», wie die Sendung die meiste Zeit ihrer Geschichte hieß, schnell einen eigenen distinkten Stil und wurde trotz anfänglicher Rivalitäten mit der «Bébête Show», einem damals ausgestrahlten ähnlichen Format bei Frankreichs erfolgreichstem Privatsender TF1, rasch eine feste Instanz – nicht nur in der französischen Satire-Landschaft.

Studien wollen belegt haben, dass die Wahlentscheidungen von bis zu fünfzehn Prozent der französischen Wählerschaft von der Sendung beeinflusst worden seien. Den geradezu vernichtenden Parodien auf Édouard Balladur etwa wird zugeschrieben, dass sie an seinem Wahldebakel 1995 nicht ganz unbeteiligt gewesen seien, das Jacques Chirac schließlich zum Präsidenten gemacht hat. Was einer der damaligen Autoren der Sendung einige Jahre später nicht zurückwies: Balladur sei eine bei den Machern systematisch gehasste Persönlichkeit gewesen, und auch wenn der Mann sich hauptsächlich selbst zerlegt habe, haben die «Guignols» daran einen Anteil gehabt.

Auch heute, wo die Glanzzeit der «Guignols» vorbei zu sein scheint und Spekulationen über eine nicht in ferner Zukunft liegende Absetzung kursieren, ist Haltung der Schlüssel des Konzepts. Eine Haltung, in der zwar alle angegangen werden, die in Machtpositionen (vor allem natürlich im Élysée-Palast) sind, aber eine, die klare politische Richtungen kennt. Bei den «Guignols» mag man die linke Seite des politischen Spektrums mehr als die rechte, und die Spitzen gegen Francois Hollande beziehen ihre Grundlage meist aus der Beobachtung, dass seine Politik angesichts seiner Parteizugehörigkeit viel zu weit rechts ist. Nicolas Sarkozy wird derweil gerne als reicher Schnösel dargestellt, der jeglichen Bezug zur Lebensrealität des durchschnittlichen Franzosen verloren hat, während Marine Le Pen in Puppenform versucht, als gute, entdiabolisierte Landesmutter aufzutreten, um beim geringsten Anlass in wutentbrannte rassistische Tiraden gegen Araber und Ausländer zu fallen. Herrlich.

In Deutschland begnügt sich die Polit-Satire – von ihren feinsinnigen, wunderbaren Sternstunden abgesehen – vielleicht zu oft mit der karikaturhaften und dabei nicht selten volkstümlichen Überzeichnung. Bei der «heute-show» will Oliver Welke mit diebischer (und manchmal leider auch hämischer) Freude ein paar oberflächliche Widersinnigkeiten und dumme Versprecher karikieren, und zeigt damit, dass der Ambition des Formats leider (mittlerweile) enge Grenzen gesetzt sind. Und viel zu viele Komiker und Kabarettisten denken, für eine stimmige Parodie auf Angela Merkel reiche es, die Hände zur Raute zu formen und die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Welch ein Elend.

Das soll die französischen «Guignols» freilich nicht verklären. Neben gelungenen Persiflagen präsentiert die Sendung viel infantilen Pipi-Kacka-Humor, der wenig mehr will als plumpe Provokation. Doch auch die schärferen Kritiker werden der Sendung nicht absprechen, dass ihre Ambition eine andere ist, als Politiker mit ihren Mannerismen vorzuführen oder sich über ihre manchmal ungelenken Formulierungen zu beömmeln. Hinter dem Format steht eine klare politische Tendenz. Im guten wie im schlechten Sinne.

Den politischen Linksdrall kritisieren freilich Journalisten und Zuschauer aus dem Mitte-Rechts-Spektrum, und die (für französische Verhältnisse) manchmal überraschend antiamerikanischen Tendenzen haben ebenfalls für Kontroversen gesorgt. Da Franzosen harte Bandagen in leidenschaftlichen Debatten nicht scheuen, dürfte das ganz in ihrem Sinne sein.

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