Hingeschaut

«Musikshake»: Musikertreff mit viel Humor - und wenig Konzept

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Kurzweil, ein überraschend hoher Anteil humoresker Einspieler, viel handgemachte Musik und mit Ryan Tedder ein echter Weltstar: Mit diesen Argumenten überzeugte der Neustart mit Rea Garvey. Doch im Laufe ihrer gut zwei Stunden verlor sich die Sendung auch zunehmend in ihrer Nettigkeit.

Rea Garvey war in den vergangenen Jahren beinahe öfter im deutschen Fernsehen zu sehen als in der Hitparade zu hören - und damit ist er inzwischen beileibe kein Einzelfall mehr. Mal ganz abgesehen von den Wendlers und H.P. Baxxters unserer Musikszene hat sich im Fahrwasser der Quoten-Erfolge von «The Voice» und «Sing meinen Song» ein Trend aufgetan, der es zunehmend auch ernstzunehmenden Künstlern ermöglicht, über TV-Engagements ihre Präsenz zu steigern, ohne gleichzeitig ihr Image gen Meeresboden absinken zu sehen. Deshalb sind namhafte Musiker wie Samu Haber, Xavier Naidoo oder eben Garvey längst keine Raritäten mehr auf der Mattscheibe und lassen sich auch zunehmend auf neue Projekte wie eben das am Donnerstagabend pilotierte «Musicshake» ein.

ProSiebens Vorerfahrungen mit erdigen Musikshows, die sich von der lange vorherrschenden Casting-Maschinerie mehr oder minder deutlich abgrenzen, sind zwiespätig: Habers Primetime-Projekt «Die Band» scheiterte im Juni vergangenen Jahres grandios und wurde schließlich im Morgenprogramm versendet, Rea selbst hingegen legte mit «Mein Song - Deine Chance» im November 2015 einen durchaus respektablen Erfolg hin - der allerdings auch durch «The Voice» im direkten Vorlauf erleichtert wurde, denn damals wagten sich ProSieben und der irische Star noch nicht ins Haifischbecken Primetime. Bei ihrer neuesten Kollaboration sieht das schon ganz anders aus. Und dieses Wagnis könnte dem Projekt schnell zum Verhängnis werden, wenn man die Beobachtungen der Premiere zu Rate zieht.



Nur eine simple «Sing meinen Song»-Kopie?


Schon auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass sich «Musicshake» offensichtlich eher an den heimelig anmutendenden Konzepten orientiert, die seit dem VOX-Überraschungshit im Bereich der Musikshow eigentlich erstmals überhaupt so wirklich im Trend liegen. Die Künstler werden als nahbar präsentiert, die musikalischen Darbietungen erfolgen live und nicht im stets künstlich daherkommenden Playback, auf eine Protz-Bühne mit großem Blingbling wird kein Wert gelegt, dafür umso mehr auf sympathische Wohnzimmer-Atmosphäre. Wer also behauptet, dass sich die Show in keiner Weise bei «Sing meinen Song» bedient habe, träfe eine gewagte Aussage, die diversen augenfälligen Dingen widerspräche.

Andererseits wäre es aber auch ungerecht, der Sendung jegliche eigene Identität abzusprechen und sie als bloßen Klon zu brandmarken. Denn sie ist viel stärker als kleines, intimes Konzert für das Publikum aufgemacht, als dass sie auf eine über Wochen hinweg wachsende Chemie zwischen den einzelnen Acts abzielt. Der Cast ist mit insgesamt vier Personen (neben Rea noch Anna Loos, Joris und Ryan Tedder(!)) deutlich überschaubarer, dafür treten die Protagonisten aber deutlich häufiger auf und besingen sich nicht gegenseitig, sondern performen unter anderem ihre persönlichen Guilty Pleasures und Lieblingssongs. Zudem sind die Schnitte innerhalb der Aufzeichnung, sofern vorhanden, deutlich weniger evident - was einerseits ein noch stärkeres Live-Feeling bewirkt, es andererseits aber umso bedauerlicher macht, dass man nicht den Mut hatte, wirklich live auf Sendung zu gehen.

Darüber hinaus überrascht die starke Betonung selbstreferenzieller und humoresker Elemente. So startet die Show bereits mit einem Einspieler, in dem Garvey beinahe die gesamte Garde aktueller und ehemaliger Coaches von «The Voice» und «The Voice Kids» telefonisch abklappert, um irgendwen zur Teilnahme zu bewegen. Doch mit fadenscheinigen Argumenten erteilen sie ihm unisono eine Abfuhr, wie der Ire in die Kamera klagt - bevor ihn Klaas Heufer-Umlauf aus seiner Wehleidigkeit zieht und ihm mit Rat, Tat und Spott bei der Künstlerakquise zur Seite steht. So nimmt laut des augenzwinkernden Narrativs alles seinen Anfang und beschert ihm letztlich Newcomer Joris, "die Frau" Anna Loos sowie den Weltstar Ryan Tedder.

Guter Einstieg, aber dann?


Das Erstaunen über die Selbstironie des Formats, ein starker OneRepublic-Auftritt als musikalischer Epilog und ein eigens von Joris kreierter "Instrument"-Tisch mit Weinflaschen, Gläsern und einer alten Schreibmaschine, der die Herzen experimentell ausgerichteter Musikfreunde höher schlagen lässt, sorgen dafür, dass der Zuschauer zunächst einmal sehr interessiert daran ist, was sich denn das Team um Garvey und Co. noch so alles für die gut zwei Stunden Brutto-Laufzeit ausgedacht hat. Leider sinkt der Anteil an überraschenden Elementen mit der Zeit aber klar und spätestens, wenn die Guilty Pleasures, ersten CDs und Lieblingshits auf dem Plan stehen, wird das Format zunehmend schematisch und vorhersehbar. Garvey macht sich nicht schlecht als Moderator und versucht auch durch gelegentliche Interaktion mit dem Publikum, nicht ins Schmema F abzurutschen. Dennoch trägt das Angebot letztlich nur mit großer Mühe seine Sendezeit.

Da ist es sicherlich nicht hilfreich, dass nach dem hoffnungsvollen Joris-Auftritt am Sperrmüll-Schreibtisch kaum jemand mehr wirklich kreative Herangehensweisen an die bekannten Hits in petto hat und sie oftmals letztlich doch nur mehr oder minder nachgesungen werden. Vor allem bei Ryan Tedder langt eigentlich schon seine Bühnenpräsenz und Stimmgewalt, um die Auftritte dennoch zu tragen, doch bei Anna Loos gilt dies schon deutlich weniger und bei Joris schließlich ist man um jede Weinflasche froh, die seine tonalen Probleme insbesondere bei hohen Tönen einigermaßen in den Hintergrund rückt.

Gewinn und Schwierigkeit zugleich stellt darüber hinaus Tedder für die "Talk-Ecke" der Künstler dar: Einerseits hievt es eine solche Sendung doch nochmal in ganz andere Sphären, wenn dort einer der größten Pop-Komponisten unserer Zeit davon erzählt, wo er sich seine Inspirationen für von ihm geschriebene Welthits von Adele oder Beyonce hergeholt hat, als wenn ein Joris von seinen Vorbildern erzählt. Wenn der OneRepublic-Frontmann dann auch noch versucht, einige Stichwörter auf Deutsch zu geben, fühlt man sich fast etwas auf die «Wetten, dass..?»-Couch zurückgebeamt. Einen Musiker seines Schlags zu verpflichten, ist in der Tat ein großer Coup - denn Tedder ist nicht bloß "Star", wie man ihn auch in einer Britney Spears hätte vorfinden können. Er ist Sänger, Komponist und Produzent und hat in all diesen Bereichen riesige Erfolge vorzuweisen: Künstler seiner Couleur gibt es kaum auf dieser Welt - spontan wäre hier vielleicht noch Pharrell Williams als ähnliche Granate zu nennen.

Warum er dennoch ein Problem darstellen könnte? Nun, er kann nun einmal kein Deutsch, weshalb der Talk oftmals zwischen den Sprachen changiert, Tedder bei den deutschen Passagen seiner Kollegen oftmals etwas unbeholfene und ratlose Blicke in die Kamera wirft und ihm zumindest für den Zuschauer mit geringer Englisch-Kompetenz nur in Form von Untertiteln zu folgen ist. In einem Land, dessen Fernsehlandschaft noch immer auf Synchronsprecher und Simultan-Dolmetscher setzt und die Menschen somit davon entwöhnt, der englischen Sprache in Wort zu folgen, kann das durchaus ein Quoten-Hemmnis darstellen, da sich manch einer angestrengt fühlen dürfte.

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Fazit: Vielleicht etwas zu nett geraten


Schon richtig, den Nettigkeitsvorwurf kann man gerade den Musikshows, die nicht auf künstlich produzierte Wettbewerbe mit Recalls, Eventshows und irgendwelchen realitätsfernen Superstar-Versprechungen setzen, im Prinzip fast immer machen, doch auseinandersetzen sollte man sich vielleicht vor allem mit einem Gedanken: Was wäre der «Musicshake»-Pilot ohne Ryan Tedder und den überraschenden humoresken Einspielern mit Klaas gewesen? Ein nicht weiter störender Abend mit einem sympathischen Rea Garvey, einem dankbaren Publikum und vielen Talkstrecken, die allerdings oftmals eher ins Leere führen, als dass sie wirklich große Botschaften vermittelt oder tolle Dynamiken entfaltet hätten. Die Performances der Songs haben oft nicht die Kreativität realisiert, die sie versprachen und gegenüber «Sing meinen Song» fällt auch noch die Möglichkeit weg, sich in das Repertoire eines Künstlers einzuhören, da ein ziemliches Potpourri an alten und neuen, bekannten und weniger bekannten Titeln dargeboten wurde.

Und nehmen wir nun einmal an, dass statt Tedder in der zweiten Ausgabe... sagen wir Andreas Bourani mit Joris, Loos und Garvey über seine Lieblingssongs, seine Guilty Pleasures und seine Inspirationen spricht, ein paar Lieder nachträllert und man den ironischen Unterton bereits kennt. Will man das sehen? Vielleicht. Muss man das zwingend sehen? Nein, das sicherlich nicht und im Prinzip gilt diese Aussage auch schon für Folge eins, die noch mit ein paar Zusatzargumenten aufwarten konnte. Letztlich muss man sich also die Frage stellen, ob und in welcher Form dieses Konzept wirklich das Potenzial hat, mehr als zwei Stunden zur besten Sendezeit zu bestücken, gerade auch im Kontext des «Sing meinen Song»-Existenzfaktums.

Zunächst einmal gilt es, die Resonanz des Piloten abzuwarten. Die Twitter-Trends jedenfalls sprechen für Solidität ohne nationale Begeisterung: Während der Sendung platzierte man sich zeitweise an der Hashtag-Spitze, danach jedoch ging es recht fix deutlich bergab mit dem Diskussionsbedarf.

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