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Die Schattierungen der «Nachtschicht»

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Quotenmeter.de traf beim Pressegespräch mit dem «Nachtschicht»-Team auf meinungsstarke Gesichter mit facettenreichen Ansichten.

Wir sind dem Dritten Reich nie entwachsen. Da ist viel an Gedankenfähigkeit und Können im Umgang mit Kultur verlorengegangen. Uns fehlt noch immer der jüdische Verstand und Witz. Wir haben nie gelernt, unverkrampft mit der Vergangenheit umzugehen und erlauben es daher nur, einige wenige Geschichtskapitel zu behandeln, und das nur sehr streng.
Armin Rohde
13 mag eine Unglückszahl sein, aber das ZDF ließ es sich trotzdem nicht nehmen, anlässlich der 13. Ausgabe der Krimireihe «Nachtschicht» in Köln zu einem ausführlichen Pressegespräch zu laden, um über den thematisch topaktuellen neusten Fall von Erichsen alias Armin Rohde zu sprechen. Doch es wurden auch einige Takte über die Krimireihe im Allgemeinen verloren, die 2003 noch dem ZDF-Programmchef Kopfschmerzen bereitet hat, weil die Vorstellung korrupter Fernsehpolizisten damals bei den Öffentlich-rechtlichen noch als unerhört aufgefasst wurde.

„Die Filme der Reihe sind wie Rockalben: Gleiche Kapelle, neue Melodien“, lobt Rohde die Vielfältigkeit, die er in den «Nachtschicht»-Filmen erkennt. Während Regisseur und Autor Lars Becker aktuell an einem Neunzigminüter über einen toten Comedian schreibt, geht am 1. Februar ein Fall über das Einschleusen von Syrern über den Äther.

Nie kann man es dem Zuschauer recht machen


Teile des deutschen Publikums beschweren sich, wenn eine Sendung zu niveaulos ist. Armin Rohde zählt zu diesen Fernsehenden – und gibt sich daher besonders stolz auf die «Nachtschicht»-Reihe: „Wir wollen eine lebensnahe Erzählung auf Sendung schicken, eine, bei der man sein Weltwissen nicht vorher ausschalten muss.“ Das Ziel sei es, dass sich der Zuschauer gut unterhalten fühlt und dennoch immer wieder aufmerkt, wenn er Themen oder Beobachtungen aus dem wahren Leben wiedererkennt. Aber das Volk ist wankelmütig: Laut Rohde bekommen es die «Nachschicht»-Macher zu spüren, dass die Zuschauer diesem Anspruch antworten, indem sie noch strengere Maßstäbe ansetzen als bei seichteren Krimis: „Wir bekommen andauernd erboste Zuschriften, das Gezeigte sei unrealistisch“, klagt der Hauptdarsteller. „Aber was wäre realistisch? In echt machen Polizisten stundenlang Protokolle in dreifacher Ausführung. Das wäre realistisch. Und langweilig.“

Der in Rohdes Augen nicht immer ausreichend gewürdigte Grad an Realismus ist dem Schauspieler auch deshalb wichtig, weil er sich der Wirkung von Film und Fernsehen bewusst ist: „Die Medien haben eine große Verantwortung. Wir können Bilder erschaffen, die unsere Wahrnehmung und so auch uns verändern“, erklärt Rohde. Er führt fort: „Wir haben somit das Potential, die Gesellschaft zu verbessern. Wir müssend dafür sorgen, dass sich die Klischees auflösen und jemand, wenn ihm ein Flüchtling auf der Straße begegnet, nicht denkt: ‚Ah, Hilfe, der nimmt mir alles weg!‘. Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute eher denken: ‚Ohje, der Arme hat es schwer …‘“

Somit holen gut produzierte und anspruchsvoll geschriebene Fernseh- und Kinoproduktionen laut Rohde auch Versäumnisse des Journalismus nach. Er klagt, dass „Uninformiertheiten, Halbwahrheiten und veraltete Fakten“ immer häufiger in die Berichterstattung einfließen und sich Journalisten vermehrt von den hochgeschaukelten Emotionen der Bürger beeinflussen lassen. „Und das zu meinem Entsetzen und großer Trauer. Denn ursprünglich wollte ich selber Journalist werden“, fährt Rohde fort. Lars Becker schreitet indes ein und meint, dass es die Presse aktuell schwer hat, sich gebührend um ihre eigentliche Arbeit zu kümmern: „Die Presse ist durch die tobenden Protesler so sehr in Verruf geraten, dass sie nur noch damit beschäftigt ist, sich zu rechtfertigen und zu beweisen, keine Lügenpresse zu sein. Da bleiben die Inhalte zwangsläufig auf der Strecke.“

Politisches Engagement, ohne die Spannung zu opfern


Dass Becker mit entsprechendem Vorlauf für das Drehbuchschreiben und den Dreharbeiten genau jetzt einen Film mit diesem Thema abliefern kann, ist laut dem Fernsehmacher das Ergebnis genauer Beobachtungen des politischen Weltgeschehens: „Ohne arrogant klingen zu wollen, konnte man das vorahnen. Die arabische Welt steht nicht erst seit neulich am Rande des politischen Kollaps.“ Besser wird die Situation, sofern kein Umdenken stattfindet, laut dem Regisseur wohl nicht: „Dass es so weit kam, liegt daran, dass die Politik die Konsequenzen nicht gesehen hat. Und ich fürchte, dass sie sie auch jetzt nicht erkennt“, meint Becker. In seinen Augen müssen Politik und die Gesellschaft erkennen, dass keine einseitige Integration verlangt werden sollte. „Auch wir müssen uns in die wandelnde Gesellschaft integrieren“, meint der «Nachtschicht»-Macher, der verlangt, dass sich Deutsche stärker für die Themen öffnen, die Einwanderern wichtig sind. „Sonst werden wir alle nur noch in abgeschotteten Untergesellschaften leben“, fürchtet Becker, was Rohde zustimmend nicken lässt.

Dieser politischen Engagiertheit zum Trotz hat Becker „keinen Problemfilm drehen wollen“. „Es sollte in einem Krimi- oder Thriller-Kontext eingebettet sein. Daher wagt er sich aus der Komfortzone: ‚Sind alle Identifikationspunkte drin? Wird denn jeder abgeholt?‘“ Beckers Meinung nach soll «Nachtschicht – Der letzte Job» nicht ausschließlich daran interessiert sein, die Lage zu glätten, sondern auch um Diskussionen anzustoßen.

Ob sich diese verschiedenen Ansätze vertragen und einen komplexen Film ergeben oder einen vollkommen orientierungslosen Krimi, können TV-Nutzer am 1. Februar 2016 ab 20.15 Uhr beurteilen.

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