Hingeschaut

«Wo bist du?»: Licht und Schatten bei Pflaumes Vermisstensuche

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Der fast zweieinhalbstündige Live-Neustart bediente sich erfolgreicher Show-Konzepte und griff tief in die emotionale Trickkiste. Heraus kam ein bewegendes Format, das zum Teil etwas zäh daherkam - und es am Ende mit der Rührseligkeit ein wenig übertrieb.

Aktuell laufende Shows mit Kai Pflaume

  • «Klein gegen Groß»
  • «Das ist spitze!»
  • «Kaum zu glauben!»
  • «Wer weiß denn sowas?»
Kai Pflaume ist nach wie vor ein gefragter Mann beim Ersten Deutschen Fernsehen, wo er unter anderem mit «Klein gegen Groß» eine der erfolgreichsten Shows moderiert, die TV-Deutschland am Samstagabend noch geblieben sind. Der Montag war im Ersten hingegen bislang nicht unbedingt für große Show-Projekte bekannt, weshalb es durchaus überraschte, dass sein Neustart «Wo bist du?» ausgerechnet hier seine Bewährungsprobe ablegen muss. Inhaltlich sind dem Auftakt der aufwändigen Live-Vermisstensuche durchaus gute Ansätze zu bescheinigen, für ekstatische Jubelorgien gibt es allerdings kaum einen Grund. Dies liegt einerseits daran, dass sich die Verantwortlichen konzeptionell arg in Sicherheit wiegen und eher auf bewährte Rezepte setzen, andererseits aber auch an der gewöhnungsbedürftigen Mixtur aus Vermisstensuche der Marke «Aktenzeichen XY» und mitunter gefühlsduseliger Dokusoap-Elemente, die man eher aus dem Privatfernsehen kennt.

Die für das kritische Rezensentenauge sicherlich angenehmere Seite des Formats ist die Suche nach aktuell noch vermissten Personen, die seriös und zielgerichtet aufbereitet ist und sogar weitgehend auf forcierte Spannungsbögen in den Einspielern verzichtet, die der ZDF-Dauerbrenner immer wieder einsetzt, um den Zuschauer an die Geschichte und die Akteure zu binden. Bei Pflaume steht hier die Informationsvermittlung stärker im Zentrum des Interesses, teilweise angereichert mit einem kurzen Interview mit einem Angehörigen des Vermissten - was zu einigen sehr berührenden Momenten führt, wenn beispielsweise die Mutter eines jungen Mannes von ihren Gefühlen in den vergangenen Wochen berichtet und sich direkt an ihren Sohn wendet, er möge doch bitte ein Lebenszeichen von sich geben. Pflaume brilliert hier durch seine unaufgeregte, empathische Gesprächsführung, das Live-Momentum verstärkt beim Zuschauer den Eindruck, dem Menschen neben ihm kurzzeitig sehr nah zu sein.

In vielerlei Hinsicht ambivalenter sind hingegen die Fälle zu bewerten, in denen die Vermisstensuche bereits erfolgreich war. Hier schmücken die Verantwortlichen ihre Einspieler nämlich weitaus stärker aus und entwickeln ein Narrativ, das schon sehr offensichtlich darauf ausgerichtet ist, möglichst viele Register der Emotionalisierung zu ziehen. Die gerne mal weit über zehn Minuten langen Einspieler handeln von der ersten Kontaktaufnahme mit dem Suchenden, dem redaktionellen Vorgehen bei der anschließenden Suche - und vor allem von der feierlichen Zusammenführung mit der gesuchten Person, die für die Kameras gerne auch mal etwas hinausgezögert wird, um das Wechselbad der Gefühle bei den Protagonisten so richtig auskosten zu können. Das kennt man so in der Form eher vom Privatfernsehen - und es ist durchaus zweifelhaft, ob sich auch die Öffentlich-Rechtlichen derartiger Gefühlsduselei immer weiter öffnen sollte. Was man zur Ehrenrettung allerdings anfügen muss: Die üblichen visuellen und akustischen Stilmittel (dramatische Musik, Zeitlupen der heftigsten Schluchzer etc.) werden nur sehr dezent eingepflegt, hier hält man sich also noch zurück.

Man könnte auch sagen, dass diese sehr gefühlsbetonten Einspieler der Preis für die Seriosität ist, die der Neustart bei seiner Live-Vermisstensuche an den Tag legt. Und es ist ja nicht so, als wirkten die Einspieler völlig unangebracht oder übertrieben - was sicherlich auch an Kai Pflaume liegt, der hier vollkommen in seinem Element ist und jede Situation sehr gut meistert. Doch es verwässert nun einmal den löblichen Eindruck anderer Teile der Show, für die man ihr nun wahrlich nicht böse sein kann, und rückt sie temporär immer ein wenig in den Hintergrund. Ein Sinnbild hierfür ist Co-Moderatorin Linda Zervakis, die über den Abend verteilt immer wieder über neueste Erkenntnisse in den Fällen berichtet, die noch unaufgeklärt sind. Das wirkt seriös, beinahe schon im Stil der «Tagesschau» und der Rezipient hat den Eindruck, hier bewirke das Fernsehen vor seinen Augen einmal wirklich Gutes. In die anderen Fälle ist sie nicht involviert - wohl auch, weil diese einer hochrangigen deutschen Journalistin nicht allzu gut zu Gesicht gestanden hätte.

Bis kurz vor dem Ende changiert «Wo bist du?» zwischen diesen beiden Elementen, die an «Aktenzeichen XY» bzw. Dokusoaps wie «Vermisst» erinnern - und wenn der Zuschauer erstmal hinter dieses System gestiegen ist, stellt sich bei ihm schnell eine gewisse Konsum-Routine ein. Bei den oft doch etwas zähen XL-Einspielern, die von glücklichen Zusammenkünften erzählen, neigt diese Routine mitunter auch ein wenig zur Langeweile. Zum Finale wollte man dann aber wohl mit einem emotionalen Feuerwerk aufwarten, indem eine Wiedervereinigung zwischen Sohn und Mutter nicht bloß in einem Einspieler zur Schau gestellt wird, sondern live vor einem Millionenpublikum - ganz wie zu besten «Nur die Liebe zählt»-Zeiten eben. Damit lehnt man sich allerdings auch sehr weit aus dem Fenster, offenbart sich hier doch ziemlich deutlich, dass die Verantwortlichen gezielt auf große Gefühlsausbrüche abzielen. Gerne auch vor etlichen Menschen im Studio und vor den Fernsehgeräten, die bei diesem doch eigentlich sehr intimen Moment unmittelbar dabei sind.

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«Wo bist du?» ist letztlich ein Format, das öffentlich-rechtliche Seriosität mit privater Gier nach großen Emotionen kombiniert und zumindest damit Wege beschreitet, die noch nicht allzu oft gegangen wurden. Es ist der Versuch, sowohl eine gute Tat zu vollbringen als auch große Gefühle zu vermitteln. Und man kann durchaus auch von einer Annäherung der Öffentlich-Rechtlichen an Unterhaltungsformen der Privaten sprechen, ohne deren tiefste Abgründe zu erreichen. Positiv formuliert lässt sich resümieren, dass man hier Zeuge eines bewegenden Abends wird, der darüber hinaus auch noch einigen Menschen dabei geholfen hat, einen verschollenen Angehörigen wiederzufinden - und wenn die Sendung das erreicht hat, mag man ihr auch die eine oder andere Anbiederung an weniger seriöse Unterhaltungsformen verzeihen, die bei einer negativen Betrachtungsweise anzumerken sind. Gut möglich, dass die Masse vor den Fernsehgeräten diese Mischung zu schätzen weiß - gut möglich aber auch, dass sie sich lieber wieder den jeweiligen Originalen zuwendet, als sich den hier gebotenen Mischmasch anzusehen.

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