Die Kritiker

Sind Inder nur „kleine karamellfarbene Klone“?

von

Der ZDF-Film «Frau Roggenschaubs Reise» formuliert ein klares Statement gegen Fremdenfeindlichkeit und für mehr Dialog. Nur leider verhallt dieses Statement weitgehend.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Hannelore Hoger («Bella Block») als Rose Roggenschaub, Christian Redl («Kriminaldauerdienst») als Klaus Roggenschaub, Michaela May als Carola, Rahul Chakraborty als Sasha Mandel, Loli Weiss als Marinela Mandel, Naomi Wiegand als Orlanda Mandel, Heini Weiss als Pepe Mandel und andere


Hinter den Kulissen:
Regie: Kai Wessel, Buch: Beate Langmaack, Musik: Ralf Wienrich, Kamera: Achim Poulheim, Schnitt: Tina Freitag, Produktion: UFA Fiction

„Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg!“ Viel zu oft gibt es solcherlei Aussagen hierzulande zu hören, wobei sie zu widerlegen nicht allzu schwer fallen sollte. Schuld am Verlust ihrer Arbeit sind nach Überzeugung von Rose Roggenschaub ebenfalls Ausländer. In ihrem Fall allerdings hat nicht einmal jemand den Weg Richtung Deutschland angetreten. Outsourcing heißt das Stichwort, welches nicht weniger als Zuwanderung geeignet ist, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Nach Indien hat man den Job von Rose Roggenschaub gegeben. Und sogar anlernen musste die erfahrene Mitarbeiterin ihre Nachfolger noch, ehe man sie dann hinterhältig rausgeworfen hat. So jedenfalls sieht die Dame im fortgeschrittenen Alter ihre Situation. Dass es mit der regulären Pensionierung sowieso nicht mehr weit her gewesen wäre – geschenkt. Einfache Antworten schließlich machen Probleme gleich viel erträglicher – das gilt für Rose Roggenschaub wie für fehlgeleitete rechtsradikale Demonstranten gleichermaßen. Doch diese einfachen Antworten gibt es in der Realität nicht. Es dauert ein bisschen bis auch die entlassene Dame das versteht. «Frau Roggenschaubs Reise» beginnt allerdings weit vor dieser Erkenntnis, ebenso wie der gleichnamige ZDF-Fernsehfilm.

Vor einem Scherbenhaufen nämlich steht die zwangspensionierte Frau nach ihrer Entlassung: Nicht nur, dass sie ohne Arbeit ist. Als ihr Ex-Mann Klaus erklärt, dass er mit seiner Neuen gemeinsame Gefilde beziehen will, sieht Rose Roggenschaub auch in Beziehungsfragen ihre letzte Chance schwinden. Bevor Klaus seine Habseligkeiten bei Rose abholt, nutzt diese die Gelegenheit: Sie verkauft seine Sachen für 400 Euro an den Sinto Sasha, den sie gerade zufällig bei ihrer Nachbarin gesehen hat und erklärt ihrem Mann, dass Einbrecher die Sachen geklaut haben. Damit es nicht ganz so auffällig wird, tut sie so als wäre auch ihr teurer Schmuck abhandengekommen. Doch die Genugtuung von Rose Roggenschaub hält nicht lange an: Unter dem angeblichen Diebesgut befand sich eine wertvolle Fender-Gitarre die einst von Jimi Hendrix gespielt wurde: „Ich habe ein Echtheitszertifikat! Die ist mindestens 100.000 Dollar wert“, erklärt Klaus. Und so macht sich Rose auf eine Reise, die (noch) nicht wirklich eine ist.

Der Sinti als Betrüger? – „War ja klar“


Denn wirklich weit führt die rüstige Dame der Weg vorerst nicht, doch trotzdem trifft sie auf eine für sie völlig unbekannte Welt im Hamburger Vorort. Denn die Sinti-Familie von Sasha lebt völlig anders als Rose es kennt – und dafür ist sie zunächst nicht wirklich offen. Doch sie sagt, dass sie solange bleibt, bis Sasha die Gitarre wieder besorgt hat, die er zwischenzeitlich weiterverkauft hat. Es ist vielleicht ein bisschen Klischeehaft, dass Rose einen Betrug von Sasha an der Kirchengemeinde aufdeckt („War ja klar“). Doch die deutliche Missbilligung durch Sashas Mutter soll immerhin sagen, dass solche Handlungen eben nicht „typisch“ für Sinti-Familien sind. Jedenfalls bekommt Rose Roggenschaub damit ein Druckmittel an die Hand um die Gitarre wieder zurückzuerlangen. Gelegentlich werden dann aber auch mal Klischees umgedreht. So wirft der Sinti Sasha Frau Roggenschaub den Satz „Mit dem Duschen haben Sie es wohl nicht so“ vor den Kopf.

Es dauert eine Zeit, bis Rose Roggenschaub ihre Vorurteile abbaut, die sie über Jahre entwickelt und gefüttert hat. Im Vergleich zum echten Leben ist diese Entwicklung aber wohl noch verkürzt dargestellt. Die Erkenntnis allerdings ist eine reale und gleichsam wichtige: Diese Menschen mögen vielleicht nicht die gleiche kulturelle Herkunft haben, doch sie sind keineswegs schlechter. Und im Prinzip haben sie eben doch die gleichen Probleme wie wir, müssen dieselben Konflikte austragen. Diese Message ist so grundlegend, dass man daran verzweifeln möchte, wenn sie noch immer nicht jeder versteht. Man könnte den Glauben in die Gesellschaft verlieren, weil es noch immer notwendig ist, sie kundzutun und vermutlich auch immer sein wird. Doch zahlreiche Rassisten und Fremdenfeinde zeigen Woche für Woche auf unseren Straßen und Tag für Tag im Internet, dass friedliche und womöglich sachliche Gegenwehr nicht unterbleiben darf.

Nachdem aber nun die grundsätzliche Relevanz der Aussage des Films eindeutig bejaht werden darf, bleibt, sich an der filmischen Umsetzung abzuarbeiten. Und da muss konstatiert werden: Im Vergleich zur basalen und simplen aber doch hochbedeutenden Message, fällt diese stark ab. So soll die „Reise“ von Frau Roggenschaub (die sich erst nach dem Abspann zu einer wirklichen Reise entwickeln wird) wohl erscheinen wie eine absolute Odyssee, gleicht aber tatsächlich eher einem gemütlichen Ausflug. Dazu kommt ein über lange Strecken uninspiriert hingeworfener Score, der dem Film wohl einen gewissen Drive mitgeben soll. Erst als die Sinti-Familie selbst die Instrumente übernimmt und für die musikalische Begleitung sorgt, wirkt die Gestaltung stimmig und untermauert die vorwärtstreibende Handlung.

Inder = „Kleine karamellfarbene Klone?“


Mit dem Lachen kämpfen muss man als Zuschauer einmal, wenn zwei unterschiedliche Szenen einen Übergang wie bei einer schlechten PowerPoint Präsentation bekommen. Absichtlich lustig wird es hingegen seltener. Dass die indischen Mitarbeiter von Frau Roggenschaubs (Ex-)Firma den Nachnamen Umschlag ins Englische übersetzt haben und ein Brief daher naheliegenderweise nicht das gewünschte Ziel erreicht hat, ist da schon einer der besseren Gags. Wie da die schlechten aussehen, mag man sich gar nicht vorstellen. Das solche Fehler der ausländischen Kollegen es keinesfalls rechtfertigen sie als „kleine karamellfarbene Klone“ zu bezeichnen ist dennoch selbstredend, eine Gesamteinordnung dieser Ansichten findet aber dann ja letztlich auch statt. Die einzelne Aussage hingegen wird nicht angegriffen, sondern isoliert stehen gelassen. Ein zumindest spezielles Vorgehen.

Insgesamt bekommt der Zuschauer übrigens mehr von Sasha und seiner Familie mit als Frau Roggenschaub es tut. In zwei recht simpel konzipierten Handlungsbögen führen die Erzählungen um Sashas Familie auf der einen und Frau Roggenschaubs Geschichte auf der anderen Seite recht bald zusammen. Dazu kommt eine simpel gehaltene Bildkomposition, die auch weitgehend unaufgeregt runtergeschnitten ist. Passend sind die an vielen Stellen vorhersehbaren Charaktere, die nur in wenigen Punkten mal überraschen. Lediglich durch besondere Gefühlskälte fällt die Protagonistin gelegentlich auf, beispielsweise als ihr Ex-Mann erklärt, dass er und seine neue Freundin von dem Gitarrenverkauf nach Kanada fliegen wollten, um ihren schwerkranken Vater zu besuchen: „Dann schreib ihm doch einen Brief“, entgegnet Frau Roggenschaub dann mit der Wärme eines Discounter-Kühlregals. Die Sinti-Darsteller holen hingegen einiges aus ihren Figuren heraus und sind der Realität nahe, hier macht sich das betriebene Streetcasting deutlich bemerkbar.

Die durchaus wichtige Botschaft wird dennoch leider nicht optimal transportiert. Die Handlung tröpfelt über weite Strecken lustlos vor sich hin und bringt kaum Spannung und überwiegend flaue Pointen mit sich. Durch den finalen Kniff allerdings wird der Nachdruck der Botschaft zusätzlich deutlich abgeschwächt, weil sich Rose Roggenschaub die neu gewonnene Freundschaft mit dem Sinti eigensinnig zu Nutze macht und damit Erfolg hat. Toll, mit der Rassismus-Karte kann man sich Vorteile ergaunern, ist die Aussage, die man aus dieser Schlusssequenz rausziehen könnte, hätte man den Rest nicht gesehen. Weil alles was davor passiert bereits mindestens zehn Minuten früher abgesehen werden kann, ist auch jeglicher Überraschungseffekt dahin. Auf der anderen Seite: Wenn nur einer die eigentliche Nachricht versteht, dann ist doch etwas geholfen. Und: Besser als der thematisch sehr ähnliche Film, den das Erste im Rahmen der letztjährigen Themenwoche Toleranz ausgestrahlt hat , ist «Frau Roggenschaubs Reise» allemal.

«Frau Roggenschaubs Reise» ist am Montag, 14. Dezember um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/82511
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