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Der Jahresrückblick 2004 (Teil III)

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Der Weihnachtsbraten ist aufgegessen, die Geschenke sind ausgepackt. Widmen wir uns also wieder den Dingen, die uns in diesem Jahr beschäftigt haben:



In den ersten Septembertagen hält ganz Europa die Luft an. Am 1. September, traditionell der erste Schultag in Russland, nehmen tschetschenische Terroristen in einer Schule in Beslan hunderte von Geiseln und halten sie dort in einer Turnhalle gefangen. Am Mittag des 3. September kommt dann Bewegung in die Angelegenheit. Im Inneren der Turnhalle kommt es zu einer Explosion – Spezialkräfte beginnen mit der Stürmung der Halle und befreien Kinder, die sich teilweise bis auf die Unterwäsche ausziehen mussten. Insgesamt sterben beim Geiseldrama in Beslan 365 Menschen, darunter 30 Geiselnehmer und 156 Kinder. Das ist auch wieder so eine Sache, etwas ähnliches gab’s ja schon im Winter 2002 – damals in einem Moskauer Theater – wo man sich fragt, was Menschen um Himmels Willen dazubewegt, auch Kinder als Geiseln zu nehmen.

Tja, ich glaube, ab einem gewissen Punkt fallen alle Hemmungen und alle Skrupel. Ohne irgendetwas entschuldigen zu können – denn da gibt es nichts zu entschuldigen -muss man sich auch mal fragen, was viele Menschen in Tschetschenien durchgemacht haben. Wie kommen sie dazu, diese ganzen Skrupel, diese Menschlichkeit komplett abzulegen?



Ich habe dann Bilder aus Städten in Tschetschenien gesehen. Und da ist mir klar geworden, dass Kinder, die dort aufwachsen, in Trümmerhaufen aufwachsen, dass diese Geschöpfe eigentlich keine Chance haben. Und das ist schlimm.

Natürlich ist das schlimm. Für mich sind die Geiselnehmer in Beslan keine Freiheitskämpfer oder Rebellen gewesen, sondern schlichtweg Terroristen. Aber, dass sie diese Grausamkeit entwickelt haben, liegt sicher nicht daran, dass es in ihren Genen liegt, sondern, dass sie selber viele grausame Dinge erlebt haben. In Tschetschenien sind schon zuvor alle Hemmschwellen der Zivilisation gefallen.



Bevor wir jetzt zur US-Wahl kommen, wollen wir noch einmal kurz die Lage im Irak ansprechen. Folterungen, Geiselnahmen von freiwilligen Helfern im Irak, also von total unschuldigen Menschen. Herr Kausch, wenn jetzt jemand zu Ihnen kommen würde und sagen würde: „Gehen Sie doch für Sat.1 in den Irak.“ Würden Sie’s machen?

Ach, das würde ich jetzt eigentlich ungern machen wollen. Wir haben auch selber unsere Kräfte dort abgezogen, weil wir die Situation dort für zu unsicher halten.



Ich war selber auch oft genug in Kriegsgebieten und weiß, dass es immer sehr schwierig ist, wenn man vor Ort ist und dann der Chefredakteur von zu Hause anruft und sagt: „Das ist ganz allein Ihre Entscheidung, Sie müssen die Lage vor Ort beurteilen.“ Aber unausgesprochen klingt durch: Natürlich wären wir froh, wenn Sie dort bleiben, weil wir gerne Berichte hätten.“ Und dann steht man halt da. Diese Entscheidung kann man im Prinzip den Reportern vor Ort nicht überlassen, die muss man zu Hause in der Zentrale treffen und dann weitergeben. Wir haben sie getroffen und gesagt, dass wir da momentan niemanden hinschicken.



Was denken Sie, wie geht’s weiter? Kehrt der Frieden doch ein? Im Januar sollen Wahlen abgehalten werden.

Das kann ich mir nicht vorstellen. Dadurch, dass ein offenes Schlachtfeld entstanden ist, wo sich alle austoben können, halte ich das vorerst für ausgeschlossen. Vom Leuchtturm der Demokratie, der dort entstehen sollte, um in die ganze Region zu strahlen, sieht man ja nichts. Von daher ist eine Wahl im Januar sicherlich eine schöne symbolische Geste, aber mehr auch nicht.



Kommen wir zum 2. November und den US-Wahlen. Meterlange Schlangen bildeten sich vor den Wahllokalen, zahlreiche Amerikaner haben sich überhaupt das erste Mal in die Listen eintragen lassen, um etwas zu verändern. Genützt hat es wenig. Als Sieger der US-Wahl ging der alte Präsident, George W. Bush, hervor. Seinem Herausforderer John Kerry ist es nicht gelungen, wichtige „Swing-States“ (die Staaten, die bis kurz vor der Wahl unentschieden standen) zu gewinnen. Die Frage um ihr Staatsoberhaupt spaltete Amerika. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?

Eigentlich genau so wie auch bei der Bundespräsidentenwahl. Schade, dass die Amerikaner sich nicht selbst überrascht haben. Aber wenn man die Wahl durch die Nacht verfolgt hat und die Grafik mit der blau-roten Landkarte sah, musste man feststellen, dass in der Tat das ganze Land rot ist und nur an den ehemals knusprigen Rändern so ein bisschen blau: Okay, so hat sich das Land halt entschieden. Nicht nur über die Wahlmänner, auch anhand der Prozentzahl hat sich die Mehrheit für Bush entschieden. Allerdings, ich weiß nicht, die Wahlbeteilung war um die 60 Prozent?!



Ich denke, so um den Dreh dürfte sie gelegen haben, ja.

Gut, dass ist dann also eine Mehrheit von nur gut der Hälfte der Amerikaner. Da müsste man sich dann fragen, wo man ansetzen könnte, um mehr Interesse und Wahlbeteiligung zu erzielen. Dann kommen vielleicht auch andere Ergebnisse raus.



Das ist der Punkt. Was ich mich jedes Mal frage ist, warum die Amerikaner überhaupt unter der Woche wählen…

Tradition, vielleicht veraltet.



Unter Umständen können da einige auch gar nicht wählen gehen…

Doch, gerade deshalb wurde der Termin Anfang des 19. Jahrhunderts festgelegt. Die meisten Menschen arbeiteten im Agrarbereich. Der November wurde als Wahlmonat festgelegt, weil dann die Ernte eingefahren war. Und der Dienstag als Wahltag, weil die Menschen zu den Wahllokalen erst anreisen mussten. Am Sonntag sollten sie aber in die Kirche gehen, also konnten sie erst montags aufbrechen, um dienstags dann am Wahlort zu sein..



Was denken Sie? Experten haben immer wieder gesagt, dass George W. Bush in seiner zweiten Amtszeit – ähnlich vielleicht wie Ronald Reagon, ein „einfacherer“ Präsident werden könnte.

Hoffentlich nicht. Aber wenn Sie meinen sanfter – das glaube ich nicht.



Unser nächstes Thema – auch aus dem November 2004. Schock und Hoffnung für den Nahen Osten: Palästinenser-Führer Yassir Arafat wird in ein Pariser Militärkrankenhaus eingeliefert. Die PLO spricht am Anfang nur von einer leichteren Erkrankung. Wenige Tage später, am Morgen des 11.11.2004, stirbt der Friedensnobelpreisträger. Experten sehen im Tod Arafats eine neue Chance auf Frieden im Nahen Osten. Halten Sie das ebenfalls für wahrscheinlich?

Ich glaube schon. Arafat hat nichts mehr bewegt. Deshalb war er eher ein Hindernis als ein Katalysator im Friedensprozess er konnte sich gegen die radikalen Hamas nicht durchsetzen. Und er war nicht bereit, die Verantwortung, die ihm der Friedensnobelpreis auferlegt hat, auch selbstlos und bis ins Letzte zu tragen.



Als Arafat gestorben ist, hat ein Fernsehreporter einen Palästinenser interviewt. Dieser sagte dann, dass im vergangenen Jahr sein Vater gestorben sei. Damals ging es ihm aber nicht so schlecht wie jetzt, als Arafat starb. Was ist denn das?

Yassir Arafat war die Symbolfigur, die Vaterfigur, in einem Land, das entwurzelt wurde. Wer keine Identität hat, sucht sich ein Identifikationssymbol, die mit dem Tod zum Mythos wird... Aber in der Praxis sah’s ja ganz anders aus. In der Praxis hat sich die Hamas darum gekümmert, Geld in die Schulen zu stecken, ärztliche Versorgung zu gewährleisten – deswegen der große Zulauf auch dort. Die große Zuneigung, der Jubel und die Begeisterung jetzt, als Arafat gestorben ist, die gab es ja nicht während er lebte.



Wir kommen schon zum letzten Thema. Beim Kölner Musiksender VIVA kriselt es. Nach der Übernahme durch den US-Konzern Viacom, dem auch MTV gehört, drohen Massenentlassungen. Der Betriebsrat befürchtet, dass im Februar alle 192 Mitarbeiter auf der Straße stehen könnten. Ein Thema, welches wunderbar in dieses Jahr passt, finde ich. Zum Einen spricht es die schwierige Lage am Arbeitsmarkt an, zum Anderen auch die zunehmende Amerikanisierung – auch im TV-Markt.

Da ich Musikkanäle nur selten schaue, geht es mir persönlich nicht nahe. Auf einer übergeordneten Ebene sollte man sich aber schon darüber Gedanken machen. Grundsätzlich und ganz prinzipiell gesehen finde ich alles, was der zunehmenden Angleichung dient, problematisch. Ich bin ein großer Freund der Ecken und Kanten, ob es nun Firmenmanager oder Angestellte sind – Menschen mit Profil, die sich auch nicht scheuen, irgendwo mal anzustoßen, finde ich immer besser als Mainstream.



Haim Saban lässt grüßen…

Haim Saban ist aber kein Mainstream. Haim Saban habe ich kennen gelernt. Ein beeindruckender Mann – mit Ecken und Kanten.



Ich meinte damit auch die zunehmende Amerikanisierung. Dass ein Mann, der es vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft hat, ist logisch. Herr Kausch, ich denke, damit hätten wir die wichtigsten Themen des Jahres 2004 abgearbeitet. Natürlich – der Rückblick ist nicht vollständig, dass hätten wir in der zur Verfügung stehenden Zeit auch gar nicht geschafft.

Ja, aber ich denke, die Eckpunkte haben wir besprochen.



Die gesamte Quotenmeter.de–Crew bedankt sich nochmals recht herzlich bei Ihnen und wünscht Ihnen natürlich einen guten Rutsch ins neue Jahr 2005. Machen Sie es gut – und wir verabschieden uns mit dem Wort, mit dem Sie sich allabendlich von Ihren Zuschauern trennen. Ciao!

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