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Hassliebe Royale: Wie Böhmermann bei ARD und ZDF den Finger in die Wunde legt

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Mehr Geld, obwohl immer weniger junge Menschen von den Öffis erreicht werden? Jan Böhmermann kritisiert das System – Grund genug, sich die öffentlich-rechtlichen Zukunftspläne in Sachen Jugend genauer anzuschauen.

"ARD und ZDF haben ein Problem damit, in der Zielgruppe authentisch herüberzukommen. Wir wollen die Nutzer ernst nehmen."
Florian Hager, Chef des ARD/ZDF-Jugendangebots, über das Glaubwürdigkeitsproblem in der Zielgruppe
Das Wort Jugendkanal, es ist mittlerweile zu einem Mysterium geworden, zu einem Wort, das die desolate Lage der Öffentlich-Rechtlichen besser auf den Punkt bringt wie kein anderes. 2008 war es, als MDR-Intendant Udo Reiter erstmals das Konzept eines eigenen Fernsehsenders speziell für junge Menschen vorschlug. 2008 also, das Jahr, in dem das erste iPhone in den Apple Stores stand, das Jahr, in dem Netflix noch als DVD-Versandhändler bekannt war. Und das Jahr, in dem Das Erste eine Styling-Show mit Bruce Darnell zeigte und Hugo Egon Balder Musical-Sänger castete. Kurz: 2008 fühlt sich an wie ein anderes Medienzeitalter. Fast alles hat sich seitdem geändert. Nur den öffentlich-rechtlichen Jugendkanal gibt es immer noch nicht.

Zunächst einmal ist das gut so. Denn mittlerweile haben ARD und ZDF erkannt, dass ein TV-Sender für junge Menschen ebendiese kaum mehr ansprechen würde. Mit linearem Fernsehen interessiert man die anvisierte Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen nicht, daher wird der geplante Kanal nun als Internetangebot produziert. 44 Millionen Euro Budget sind für das Projekt veranschlagt, deutlich mehr als bei anderen kleinen Fernsehsendern – beispielsweise bei der privaten Konkurrenz Joiz. Dennoch könne man mit den Millionen ja gar nicht so viel machen, sagt ZDF-Chefredakteur Peter Frey.

Bei den Öffentlich-Rechtlichen denkt man eben in anderen, in größeren Sphären: Über 8,3 Milliarden Euro erhielten sie 2014, da sind 44 Millionen Euro nicht einmal Portokasse. Aufgrund der Neuregelung des Rundfunkbeitrags rechnet man mittlerweile mit 1,5 Milliarden Euro – uneingeplanten – Mehreinnahmen, die bei der Finanzplanung bislang nicht berücksichtigt wurden. Eigentlich ist in solchen Fällen vorgesehen, die Gebührenzahler dann zu entlasten – sprich: der Beitrag sinkt entsprechend. ARD und ZDF fordern aber nun, mit den 1,5 Milliarden planen zu dürfen. „Gute Programme kosten Geld, deswegen brauchen wir für die kommende Beitragsperiode ab 2017 einen Ausgleich für Preissteigerungen“, so ARD-Chef Lutz Marmor. Die ARD selbst benötige sogar noch mehr als die gesamte Rücklage, rund 99 Millionen Euro pro Jahr, das ZDF komme laut eigenen Aussagen mit den Reserven aus. Dennoch sind es indirekte Zusatzbeiträge, die die Beitragszahler leisten – Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat so etwas in der Vergangenheit in Sachen Steuern auch einmal als „Steuervergünstigungsabbau“ bezeichnet.

Begründet wird der Finanzbedarf mit wachsenden Kosten bei Technik und Programm, beispielsweise bei Produktionsfirmen, und mit erhöhten Mitarbeitergehältern. Dennoch erscheinen die Zahlenspiele ein wenig wie Realitätsverlust. Jan Böhmermann hat in der vergangenen Woche – ganz unironisch – Stellung bezogen gegen den finanziellen Wildwuchs der ARD. "Was kostet etwas mehr als 15 Euro im Monat und man kriegt dafür rund um die Uhr geiles Programm für die ganze Familie? Richtig! Ein Netflix- und ein Amazon-Prime-Abo", witzelt der Moderator am Anfang seines Monologs. Dumm nur, dass das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn viele junge Zuschauer dürften zustimmend nicken. Böhmermann poltert weiter mit Zahlen: Das Durchschnittsalter der ARD- und ZDF-Zuschauer liegt bei über 60 Jahren, lediglich zwei von 77 Mitgliedern des ZDF-Fernsehrats sind jünger als 40 Jahre. "Immer wenn der Rundfunkrat tagt, stirbt irgendwo auf der Welt eine gute Idee für junge Zuschauer“, ist einer dieser Sätze, die haften bleiben bei Böhmermanns Rede.

Ein paar schaffen es dennoch auf den Bildschirm. Will man wissen, wie junges Programm bei den Öffentlich-Rechtlichen in einem eigenen Angebot aussehen wird, ist ein Blick auf bestehende Experimente nicht verkehrt. Der WDR unterzieht sich derzeit einer radikalen Verjüngungskur, auch diese kritisiert Böhmermann: Zu bemüht wirkt die Programmoffensive mit dem Hashtag #machtan. Er hat wieder recht. Richtig ist aber auch, dass trotzdem gutes Programm dabei rumgekommen ist. «Sounds like Heimat» beispielsweise, eine Doku über Liedermacher in weniger bekannten Weststädten. Eigentlich aber geht es darum, die Kultur der Straße einzufangen, das Leben und Atmen dieser Städte. Oder «Die Runde Ecke», eine Art Stand-Up ohne Witz, dafür aber mit viel Herz: Menschen erzählen ihre Geschichte(n), authentisch und spannend. Warum ist auf diese simple Idee bisher noch niemand gekommen?

Das YouTube-Experiment WDR #3sechzich hatte dagegen einen schlechten Start, wirkte wie eine bemüht öffentlich-rechtliche Kopie erfolgreicher News-Formate wie von LeFloid. Gerade einmal 6000 Abonnenten hat der WDR-Kanal in acht Monaten gesammelt. Kurzerhand schwenkt die ARD daher mittlerweile um, engagiert einfach bereits erfolgreiche YouTuber und scmückt seine Angebote damit: Bei #3sechzig heuerte ItsColeslaw an, eine YouTuberin mit über 150.000 Abonnenten, und kürzlich startete man das Magazin «1080 Nerdscope» mit LeFloid und Co, das auch bei EinsPlus ausgestrahlt wird. Auf YouTube erreichen die ersten Episoden rund 200.000 Zuschauer und sind damit durchaus erfolgreich.

Wie wird das Jugendangebot aussehen?
Dass noch andere bekannte YouTuber ihren Weg zum geplanten öffentlich-rechtlichen Jugendangebot finden werden, ist wahrscheinlich, auch «1080 Nerdscope» wird dort wohl laufen. Wie aber soll das Projekt sonst aussehen? Ein paar Dinge sind schon durchgesickert: Chef ist Florian Hager, 39, bisher stellvertretender Programmleiter bei arte. „ARD und ZDF haben ein Problem damit, in der Zielgruppe authentisch herüberzukommen. Wir wollen die Nutzer ernst nehmen“, sagte er jüngst beim Medienforum NRW. Dies zeigt sich auch im Konzeptpapier der Sender, das dem Branchendienst Horizont.net vorliegt. Darin steht, dass man sich zwar an den hohen Standards von ARD und ZDF orientieren will – aber dennoch die Spielregeln der jungen Generation befolgen wird. Konkret heißt dies: „Stärker als in den klassischen Medien zählen hier Emotionen und Personality - egal ob für harte Themen oder Entertainment. Köpfe sind entscheidend.“ Hier wolle man „in der Regel nicht“ auf bekannte Gesichter von ARD und ZDF setzen, sondern neue Akzente setzen – Stichwort YouTuber.

Inhaltlich sollen die wichtigen Genres bedient werden, darunter Musik und Jugendkultur, Wissen, Comedy und Unterhaltung sowie Sport. Auch serielle Angebote sind geplant, Zweitverwertungen von Formaten aus dem linearen Fernsehen dagegen nicht. Zuschauer sollen am Programm mitwirken können und mitreden, außerdem möchte man eigene Themenschwerpunkte setzen und Debatten anstoßen. Dies soll vor allem über soziale Netzwerke geschehen, wo man stark präsent sein und den „Erstkontakt zwischen Nutzer und Angebot herstellen“ will. Konkret versteht man sich als Content-Netzwerk, dessen Inhalte nicht primär über eine eigene Webpräsenz aufgerufen und geteilt werden, sondern über Drittanbieter wie YouTube, Facebook oder WhatsApp und vor allem mit dem Smartphone. Starten soll die Jugendoffensive der Öffentlich-Rechtlichen Mitte 2016. Fest steht außerdem, dass die beiden Digitalkanäle EinsPlus und ZDFkultur für das neue Angebot eingestellt werden. Einige Formate werden sich vermutlich ins Internet hinüberretten, beispielsweise der sich in Kreativpause befindende «Klub Konkret» und manche anderen Formate dieser Sender.

Das Konzeptpapier...

...zum Jugendangebot von ARD und ZDF (externer Link)
Zumindest bisher liest sich das Projekt so, als würde man alle Fettnäpfchen vermeiden, die man bei den Begriffen ARD, ZDF und Jugend vermutet. Vielleicht hat man die richtigen Schlüsse aus der jahrelangen Farce gezogen. Am Ende wird es aber auf die Inhalte selbst ankommen, und auf die Köpfe des Angebots. Darauf, dass man nicht bemüht versucht, YouTube-Trends nachzuahmen oder Stile zu kopieren, wie es derzeit bei manchem ARD-Jugendangebot noch existiert.

Dennoch bleibt der Makel von 44 Millionen Euro. Viel Geld, von dem man nicht weiß, ob es richtig angelegt sein wird. Oder ob sich die Investition zu einem peinlichen Flop entwickelt. Jan Böhmermann hätte wohl seine Zweifel, und er würde wahrscheinlich gern mehr sagen. Sollte er aber wahrscheinlich nicht, aus eigenem Interesse. Kaum auszudenken, wie die Kritik aussehen würde, wenn seine Show im Privatfernsehen liefe. Aber genau hier liegt der Punkt: Ein «NeoMagazin Royale» würde es ohne öffentlich-rechtliches Fernsehen wahrscheinlich gar nicht erst geben.

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