Die Kritiker

Der Moment des Versagens

von

«Momentversagen», der neueste Film von Friedemann Fromm, verbindet Drama, Krimi und Psychothriller miteinander und schafft es diese absolut spannend zu inszenieren.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Felix Klare («Tatort»), Lisa Wagner («Weissensee»), Julia Thurnau («Letzte Spur Berlin»), Lili Zahavi («Und alle haben geschwiegen»)


Hinter der Kamera:
Regie: Friedemann Fromm, Drehbuch: Norbert Ehry, Kamera: Anton Klima, Licht: Emil Jevtic, Ton: Christoph Schilling, Musik: Stefan Mertin, Martin Hornung, Produzent: Michael Gebhart, Producerin: Eva Laass

Der Film «Momentversagen» von Friedemann Fromm erzählt die Geschichte des jungen Oberstaatsanwalts Dr. Manuel Bacher, gespielt von Felix Klare. Dieser hat eigentlich alles, was man sich wünschen mag, gutes Aussehen, einen sehr gut bezahlten Job, ein neues Haus und eine sehr attraktive Frau. Als er nun sogar befördert wird, beschließt der smarte und dynamische Karrieretyp, mit einigen Kollegen zu feiern. Doch dieser Abend wird zum Auslöser seiner größten Krise.

Der Mann, der bis dahin sein Leben lang immer ruhig und bedacht vorging, lässt sich von einer Kollegin verführen – und die Regie unterstreicht die Befremdlichkeit dieses Moments, indem sie ihn in starken Schwarz-Weiß-Kontrasten einfängt. Als Manuel wieder aufbricht, wird er im Park Zeuge eines Streits zwischen einem Mann und einer Frau. Um Schlimmeres zu verhindern, beschließt Manuel einzugreifen. Doch die Situation eskaliert und er verletzt den jungen Mann. Anstatt die Polizei zu rufen, beschließt der von der Situation überforderte Jurist, die Flucht zu ergreifen.

Die nächsten Tage stellen sich für ihn schlimmer da als je zuvor, denn wie sich herausstellt, ist der Fremde kurz nach der Auseinandersetzung mit Manuel verstorben. Schnell kommen aber Zweifel auf, dass er für den Totschlag verantwortlich sei. Als seine eigenen dennoch Ermittlungen ins Nichts laufen, taucht plötzlich die junge Joy (Lili Zahavi) auf. Das Mädchen behauptet, alles beobachtet zu haben und über belastende Informationen zu verfügen. Sie möchte sich mit Manuel auf eine klassische Quid pro quo Situation einlassen, in dem sie die Informationen gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft verheimlicht und die junge Frau aus dem Park vor der Polizei versteckt. Als Gegenleistung erwartet sie, dass Manuel ihren Freund aus dem Gefängnis holt.

Im Laufe des Films entstehen immer neue Machtspiele zwischen Joy und Manuel. Während sie über die Macht der Information verfügt, bringt Manuel eine enorme Erfahrung als Staatsanwalt mit und weiß, wie er vorgehen muss, um in einem Fall weiterzukommen und Informationen von anderen zu erhalten. Auch intellektuell ist Manuel Joy voraus und schafft es so, sie zu manipulieren und sie für sich zu nutzen.

Allerdings wirkt Manuel zunehmend gehetzter und ängstlicher, er leidet unter Verfolgungswahn und muss seiner Frau Leonie (Lisa Wagner), alles gestehen, als er unmittelbar vor dem Zusammenbruch steht. Joy nutzt Leonies Schwäche für sich aus, um sich bei dem jungen Ehepaar einzuquartieren. Die beiden Frauen entwickeln Sympathien füreinander. Lisa Wagner schafft es auf sensationelle Art und Weise, ihrer Figur ein enormes Facettenreichtum zu verleihen, und so wird bis zum Schluss nicht deutlich, was ihr wahrer Antrieb ist. Dies liegt aber nicht an unschlüssigem Schauspiel oder einer eindimensionalen Rolle, ganz im Gegenteil: Wagner schafft es in jeder Szene den Mutterinstinkt gegenüber Joy, gleichzeitig aber auch die Loyalität zu ihrem Mann zu verkörpern und zu guter Letzt versucht sie alles zu kontrollieren, da sie Angst hat alles zu verlieren.

Unterdessen schafft es Felix Klare mindestens genauso gut, den permanenten Wechsel zwischen dem routinierten, kühlen und berechnendem Staatsanwalt, dem gehetzten Manuel und dem aggressiven Psychopathen zu mimen. Gerade die Interaktion mit Lili Zahavi als Joy und dem damit verbundenen Machtspiel zeigt, welche Energie in dem Film steckt. Denn auch Zahavi steht ihren Kollegen in nichts nach und schafft es auf subtile Art zu vermitteln, dass es Joy nicht um Gerechtigkeit geht, sondern sie einfach nur eine Familie haben möchte und in den Momenten zu dritt auch Schwächen zulässt.

«Momentversagen» überzeugt aber nicht nur durch großartige Charaktere und eine absolut spannende und abwechslungsreiche Erzählstruktur. Fromm sorgt in diesem Psychothriller durch seine Inszenierung auch für die richtige Atmosphäre und audiovisuelle Ästhetik. Denn gerade die Musik fällt enorm positiv auf, obwohl sie nur selten im Vordergrund steht. Selten haben so wenige Töne so gut zu einzelnen Szenen gepasst und dadurch für viel mehr als nur oberflächliche Spannung gesorgt. Die Musik schafft es, den Zuschauer durchgehend an das Geschehen zu binden, ohne ihn dazu zu zwingen.

Die Bilder wurden mit dem HDR-Verfahren aufgenommen. Das eher aus der Fotografie bekannte Verfahren ermöglicht die Aufnahme von zwei Bildern parallel, wodurch sich enorme Freiheiten für die Bearbeitung im Anschluss ergeben. So auch in «Momentversagen», wo die Belichtung und so auch die Farbästhetik stets treffend verändert wird. Damit verfügt jede Szene über eine ganz andere Tiefenwirkung und Dynamik, von unschuldigen, verletzlichen und hellen Farbtönen bis hin zum düsteren und zornigen Schwarz ist alles geboten.

Der Film zeigt in großartigen 90 Minuten, wie eine Nacht, ja im Prinzip nur ein Moment, der in der Kausalkette zum schlimmstmöglichen Ausgang führt, das Leben von so vielen Menschen zerstören kann. Die eingestreuten, klassischen schwarz-weiß Motive zeigen immer wieder, zu was Menschen werden können und zu was sie in der Lage sind, sich zu verändern. Denn oft kommt es vor, dass ein Moment des Versagens die Maske fallen lässt und der Mensch sein wahres Ich raus lässt. «Momentversagen» verdient die Bezeichnung Krimi nicht, da er einfach so viel mehr ist, Psychothriller, Drama und Charakterstudie in einem.

«Momentversagen» ist am 22. Oktober ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.

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