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Sheen macht wieder Ärger: «Anger Management» startet in Deutschland

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Irgendwie hat Charlie Sheens «Anger Management» nun doch den Weg ins deutsche Fernsehen gefunden. Über die Probleme der Serie in den USA und über die Frage, ob ein Blick auf das Format (noch) lohnt.

Er hat wieder Geschichte geschrieben, diesmal ausnahmsweise im positiven Sinne: Als Charlie Sheens neue Sitcom «Anger Management» im Juni 2012 in den USA startete, schalteten fast sechs Millionen Menschen ein. Es war ein neuer Quotenrekord im Kabelfernsehen; noch nie hatte eine Comedyserie zuvor so viele Zuschauer bei einer Premiere interessiert. FX – der ausstrahlende Sender – feierte seinen neuen Star, der die gesteckten Erwartungen übertraf: Der Produktionsvertrag war so ausgelegt, dass «Anger Management» insgesamt 100 Episoden erhält, sollten die ersten 10 eine bestimmte Quote übertreffen. So geschehen: Zwei Monate nach Start bestellte FX die restlichen Folgen, die Zahlen waren gut genug.

Ein wahrer Hype hatte damals um Sheen eingesetzt, um den Schauspieler, über den 2011 nicht nur ganz Hollywood sprach: Eskapaden im Privaten, Drogen, Probleme am Set von «Two and a Half Men», Streit mit dessen Erfinder Chuck Lorre, ein vorläufiger Drehstopp der achten Staffel, schließlich der Rauswurf Sheens aus der ganzen Serie, und der Tod seiner legendären Serienfigur Charlie Harper. Sein völlig ramponiertes Image wusste Sheen danach positiv zu nutzen: Er dokumentierte seinen ausschweifenden Lebensstil selbstbewusst im Fernsehen und in Interviews, verteilte auf YouTube Hass gegen seine früheren Arbeitgeber und ging auf One-Man-Show-Tournee. Er ließ sich bei Comedy Central „roasten“, die Sendung erreichte über sechs Millionen Menschen und wurde zur meistgesehenen der «Roast»-Reihe. Kurz: Charlie (Harper-)Sheen vermarktete sich perfekt als Bad Boy Hollywoods. „Winning“, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen.

Aus diesem Kult um seine Person speiste sich 2012 der «Anger Management»-Hype, der zu den rekordträchtigen Auftaktquoten führte. Aber Schlagzeilen allein reichen nicht, um das Publikum bei einer Sitcom langfristig zu halten – anders als bei anderen TV-Formaten. In «Anger Management» konterkarierte Sheen plötzlich wieder seine öffentliche Figur; gab sich als Sünder. Die Story: Sheen spielt den ehemals aggressiven Baseball-Veteran Charlie Goodson, der mittlerweile als Therapeut gegen Gewalt arbeitet. Das Problem: Goodson fällt selbst in alte Verhaltensweisen zurück und muss seinerseits in Therapie, um die eigenen Aggressionen in den Griff zu bekommen.

Diese Scharade liest sich spannender, als sie letztlich ist: «Anger Management» kommt daher als eine sehr traditionelle Sitcom mit familiären Elementen (Ex-Frau, Tochter) sowie beruflichen (Therapiesitzungen). Sheen spielt hier nicht den sexbesessenen Junggesellen wie in «Two and a Half Men», sondern den Familienvater mit privaten Problemen. Der größte Unterschied: In «Half Men» zelebriert Charlie Harper seinen zweifelhaften Lebensstil mit größter Hingabe (und dies machte einen großen Reiz an der Serie aus), in «Anger Management» jedoch werden seine Verhaltensstörungen als Problem begriffen, das es zu lösen gilt.

Das ist zu gewöhnlich für eine selbstreferentielle Sheen-Sitcom, die ansonsten in den ersten Folgen mit einer starken Selma Blair, die Charlies Therapeutin spielt, aufwarten kann. Eine klassische, durchaus sehenswerte Liebesgeschichte gibt es hier ebenfalls, bis Blair nach Streitigkeiten mit Sheen vom Set entlassen wurde, nach ungefähr der Hälfte der Produktion. Sehenswert sind auch die Gastauftritte von Charlies Vater Martin Sheen. Abgesehen davon gibt es einen wenig überzeugenden Cast, der unter anderem aus Charlie Goodsons Therapiepatienten und seiner Tochter besteht. Alle Charaktere sind ermüdend überzeichnet: der Schüchterne, die Beziehungsgestörte, der Cholerische, der politisch Inkorrekte, die Zwangsgestörte. Für jeden Witz gibt es eine Figur, die ihn ausführen kann. Leider halten sich gute und schlechte Gags die Waage.

Die durchwachsene Qualität, die auch mit den hohen Erwartungen an Sheen zusammenhängt, schlug sich schnell in den US-Einschaltquoten nieder: Ordentlich lief es bis zur zehnten Folge, als noch rund zwei Millionen einschalteten. Anschließend folgte eine mehrmonatige Sendepause, die «Anger Management» Probleme bereitete: Als die Serie im Januar 2013 zurückkehrte, fielen die Zahlen massiv; nach fünf Wochen unterschritt man bereits die Marke von einer Million Zuschauern. Mitte 2013 – die Werte schwankten stark zwischen 0,6 und 1,2 Millionen – zeigte man einige Folgen beim Muttersender FOX, um die Serie zu pushen. Ohne Erfolg. Mittlerweile ist man bei 0,5 bis 0,7 Millionen Zuschauern angelangt und hat einen kleinen, überschaubaren Fankreis. Für FX hat sich der Deal dennoch gelohnt: Die Kosten sind mit 600.000 Dollar pro Episode vergleichsweise gering; und die Rechteverkäufe sind lukrativ, vor allem im Ausland.

Die Marke Sheen hat 2012 eben viel Geld in die Kassen gespült, auch aus Deutschland, wo aufgrund des «Two and a Half Men»-Erfolgs ebenfalls ein Hype um den Schauspieler entstand. Schon lange vor der US-Ausstrahlung wurde spekuliert, welcher Sender «Anger Management» wohl ausstrahlen würde, und wie prominent der Programmplatz würde. Wenige Tage vor dem Start machte VOX publik, dass man die Serie zeigen werde – damals allerdings fehlte noch ein konkreter Termin. Dieser sollte nie kommen, obwohl im Frühjahr 2013 noch von einer Ausstrahlung gegen Ende desselben Jahres gesprochen wurde.

Doch zu diesem Zeitpunkt wusste auch wohl VOX schon: Der Sheen-Zug ist abgefahren. Ein Hype um seine Person war verflacht, «Two and a Half Men» verlor viele Gelegenheitszuschauer, die Quoten in den USA gesunken und die deutsche Vorfreude auf «Anger Management» geschwunden. Auch weil der Videodienst Watchever die Serie in sein Portfolio aufnahm. Warum es letztlich nicht bei VOX klappte, bleibt zu spekulieren. Ein passender Sendeplatz sei lange nicht gefunden worden, außerdem habe eine zweite Serie gefehlt, die mit «Anger Management» ausgestrahlt werden könnte. Dabei gibt es in den USA viele Sitcoms, die gepasst hätten: das politisch unkorrekte «Sullivan & Son», das ebenfalls von FX kommende «Legit», das hochgelobte «Men of a Certain Age» mit Ray Romano oder das männliche «Men at Work».

Es ist ein wenig bezeichnend für den Status Quo der deutschen Senderlandschaft, dieses Beispiel «Anger Management»: In Zeiten, wo hektische Programmänderungen sonst an der Tagesordnung sind, wartet man ab, bis der Hype um die Serie verflacht ist – und verpasst damit die Chance, zumindest ähnlich starke Startquoten zu generieren wie in den USA.

Charlie Sheen ist die Comedy-Ikone Nummer Eins – auch durch «Two and a Half Men». «Anger Management» ist die Serie, die danach kommt. Von daher gibt es bei den Fans eine große Aufmerksamkeit. Davon wollen wir profitieren.
RTL-Nitro-Chef Oliver Schablitzki
Sheens Bildschirmpräsenz ist in den vergangenen zwei Jahren gesunken, allein aufgrund seiner Entlassung bei «Two and a Half Men», und die Schlagzeilen um seine Person sind geschrieben. Jetzt, über zwei Jahre nach US-Premiere, schafft es «Anger Management» nach Deutschland. Ob RTL Nitro, der nun ausstrahlende Kanal, noch sein Glück mit dieser Sitcom findet? Senderchef Oliver Schablitzki zumindest ist sehr zuversichtlich (siehe Zitat). Es wird sich zeigen, wie viel Sheen das Publikum noch will, zwei Jahre später.

RTL Nitro zeigt «Anger Management» ab Donnerstag, 04. September, um 22.05 Uhr in Doppelfolgen.

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