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Wie zeitversetztes Fernsehen die US-Networks gefährdet

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Zeitversetztes Fernsehen wird in den USA immer beliebter. Dadurch entstehen Probleme für die Networks, die noch immer auf hohe Zuschauerzahlen im linearen Fernsehen angewiesen sind, zumal Nielsen noch Probleme mit der Erhebung der Abrufe durch andere Medien hat.

Zeitversetztes Fernsehen

Zeitversetztes Fernsehen bezeichnet die Aufzeichnung von Programmen auf ein Speichermedium, um den Inhalt zu einer für den Nutzer geeigneteren Zeit zu konsumieren. Auch Abrufe über Streams und On-Demand-Angebote über mobile Endgeräte werden heutzutage unter diesem Oberbegriff zusammengefasst.
In Sachen zeitversetztes Fernsehen sind die USA den Deutschen weit voraus. Tatsächlich konsumieren die Fernsehenden in den Staaten Fernsehen über DVR (Digital Video Recording) in einem Maße, das den eigenen Sendern in Bezug auf die Live-Sendungen sogar schadet. DVR-Abrufe haben eine Dimension erreicht, durch die die Sender mit sich selbst konkurrieren. Würde man die DVR-Ausstrahlungen als ein eigenes Network sehen, läge das zeitversetzte Fernsehen auf Platz eins aller US-Sender. Die Ratings, die durch den DVR-Konsum verbucht werden, sind so groß wie der Durchschnitt der vier großen Networks (NBC, CBS, FOX, ABC) zusammengenommen. Dies fand vor Kurzem Alan Wurtzel heraus, der bei NBCUniversal für die Forschungen im Bereich „media development“ verantwortlich ist.

Besonders erstaunlich gestaltet sich hierbei die Geschwindigkeit, mit der die Fernsehzuschauer sich den neuen Konsummöglichkeiten anpassen und sich statt dem traditionellen Fernsehempfänger nun Tablets und Co. bedienen. Die letzten sieben Jahre standen in den USA für einen rasanten Wandel in diesem Bereich, als vor allem junge Zuschauer schnell die Vorteile der Neuerungen für sich entdeckten, während hohe Abrufzahlen im Internet in deutschen Landen noch eine Ausnahme darstellen.

Mit dem Vorstoß des zeitversetzten Fernsehens gehen für die Networks zwei große Herausforderungen einher. Zum einen müssen die Sender dafür sorgen, dass ihre Zuschauer häufiger zu den Erstausstrahlungen im Fernsehen einschalten, ansonsten ergäben sich künftig bei einem geringer werdenden Stellenwert der Fernsehausstrahlungen auch Probleme mit dem Werbezeitenverkauf, der für Werbekunden immer unattraktiver werden würde. Dies ist wohl die größte Herausforderung für die Networks, die sich nun darauf fokussieren müssen Live-Eventshows und Serienproduktionen in der öffentlichen Wahrnehmung zu Angeboten werden zu lassen, bei denen es Zuschauer möglichst nicht verpassen dürfen live dabei zu sein. Dies könnte durch Innovationen in Social Media und Second-Screen-Angeboten erreicht werden.

Zum anderen müssen sich CBS, NBC und Co. verstärkt mit den Dynamiken, die zeitversetztes Fernsehen aufweist, vertraut machen: In den vergangenen Jahren vergrößerte sich auch das Angebot an Originalprogrammen der einzelnen Sender und digitalen Plattformen drastisch. Etliche Fernsehjunkies kreieren neben der Nutzung von DVR durch on-demand-Optionen eine Primetime, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugespitzt ist. Hinzu kommt, dass die Networks auch die öffentliche Wahrnehmung von generell schwindenden Zuseherschaften bekämpfen müssen, sodass Werbekunden nicht abspringen. Mithilfe von Streaming-Angeboten versuchen die Sender diesen Zuschauerrückgang für einige Sendungen zu kompensieren, allerdings stellt das Messsystem von Nielsen die Sender vor Probleme, da technische Hürden die Erhebung der Abrufzahlen noch oft erschweren.

Unterdessen ist die Zuschauerabnahme im linearen Fernsehen jedoch gewiss. Große Verluste mussten die Networks zwischen 2008 und 2013 in den wichtigen Altersgruppen hinnehmen: Fernsehende zwischen 18 und 24 Jahren waren um 17 Prozent weniger vertreten, das Publikum im Alter von 25 bis 54 verringerte sich um 15 Prozent. Einen derart heftigen Rückgang wollte kaum ein Verantwortlicher bei den Sendern wahrhaben, bis ihnen schließlich klar wurde, in welchem Ausmaß sich Zuschauer die Inhalte jenseits des TV-Geräts zu Gemüte führen. Obwohl die Technik genauen Messungen beim zeitversetzten Fernsehen noch schuldig bleibt, berechnete Alan Wurtzel für drei NBC-Shows trotzdem mühevoll Schätzungen. Demnach konsumieren 17 Prozent der «The Blacklist»-Zuschauer die Serie mit James Spader zeitversetzt, das Publikum von «Parenthood» stammt zu 21 Prozent aus Zuschauern, die die nichtlineare Variante wählten und bei «Parks & Recreation» beläuft sich diese Zahl sogar auf gewaltige 37 Prozent.

Zu diesen Zahlen kam Wurtzel nach Analyse der Streaming-Abrufe bei NBC in einem bestimmten Zeitfenster sowie durch einen enormen Arbeitsaufwand und einige Schätzungen basierend auf seinem Fachwissen. In der TV-Saison 2008/2009 und damit im ersten Jahr nachdem Nielsen die DVR-Ratings einführte, die sich auf die Sichtungen in den sieben Tagen nach der TV-Premiere bezogen, schalteten noch 83 Prozent der Zuschauer einer Sendung live ein. Fünf Jahre später ist der lineare Konsum um 27 Prozent zurückgegangen und die zeitversetzten Sichtungen am gleichen Tag der Ausstrahlung nahmen seitdem um 75 Prozent zu, während 20 Prozent mehr Interessierte das Programm in den drei Tagen nach der Ausstrahlung verfolgten. Ein Wachstum, das die Sender nicht mehr ignorieren können und das aller Voraussicht nach noch ansteigt.

Die Nielsen-Klienten drängen das Marktforschungsunternehmen nun darauf ihr Messsystem drastisch zu verbessern, damit so bald wie möglich der gesamte Konsum eines Programmes über sämtliche Plattformen hinweg erhoben wird. Einen wichtigen Schritt vollzieht das Unternehmen diesen Herbst, wenn es erstmals die Zuschauerzahlen von Tablet- und Smartphone-Nutzern misst. Falls die Werbezeiten auf Laptop und Desktop-PCs mit diesen im linearen Fernsehen übereinstimmen, können auch die Abrufzahlen über diese Medien mit einbezogen werden. Allerdings eröffnen sich dadurch Schwierigkeiten für einige Networks, die in diesem Bereich mit verschiedenen Werbeformen experimentieren wollen.

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