Die Kritiker

«Tatort: Ohnmacht»

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Blutig, gutbürgerlich, aber nicht zäh: Der neue «Tatort» aus Köln setzt die triste, ernste Atmosphäre der vergangenen Folgen fort und dringt diesmal ein in das bürgerliche Milieu, in dem Jugendliche ihre Eltern terrorisieren.

Cast und Crew

Vor der Kamera:
Klaus J. Behrendt («Jahr des Drachen») als Max Ballauf, Dietmar Bär («Die Pilgerin») als Freddy Schenk, Lucie Heinze («Das Hochzeitsvideo») als Miriam Häslich, Christian Tasche («Alarm für Cobra 11») als Staatsanwalt von Prinz, Nadine Kösters («Frühlingskinder») als Janine Bertram, Robert Alexander Baer («Die Abmachung») als Kai Göhden, Sven Gielnik («Der Preis») als Adrian Hamstetten.

Hinter der Kamera:
Regie: Thomas Jauch, Kamera: Clemens Messow, Drehbuch: Andreas Knaup, Musik: Stephan Massimo
Eigentlich ist es ein gemütlicher Abend: Ballauf und Schenk trinken an ihrer Bude ein letztes Bier, genießen den Blick auf den Rhein. Dass die Currywurst schon aus ist, könnte Ballauf im Nachhinein als schlechtes Zeichen deuten: Wann haben die beiden Kölner Kommissare schon einmal auf ihr Grundnahrungsmittel verzichten müssen? Auf dem Heimweg wird Ballauf Zeuge einer Schlägerei, in der U-Bahn-Station, direkt vor seinen Augen. Er greift ein, wird selbst niedergeschlagen und fällt auf das Gleis. Nur knapp entgeht er einem Zusammenprall mit der U-Bahn. Das eigentliche Opfer – ein junger Musikstudent – wird zu Tode geprügelt. Und vom Täter fehlt jede Spur…

Im neuen Fall der «Tatort»-Kommissare aus Köln kommt das Thema Jugendgewalt an die Tagesordnung. Und Ballauf muss diesmal auch damit Vorlieb nehmen, auf der anderen Seite der Ermittlungen zu stehen: Weil er in die Geschehnisse am Tatort involviert ist, ist er befangen – eigentlich darf nur Kollege Schenk in der Sache ermitteln, Ballauf dagegen wird zum Zeugen. Nach kurzer Zeit schlüpft er aber doch wieder in seine gewohnte Rolle als Kommissar.

„Hat Ihre Tochter eine Lederjacke?“, fragt Ballauf bald die Mutter einer jungen Zeugin. Brüskiert angesichts einer solchen Frage, antwortet sie abfällig: „Nein, so etwas trägt meine Tochter nicht.“ Kurz zuvor hat Mutti die imaginären Staubpartikel vom strahlend sauberen Glastisch gewischt. Willkommen im biedermeierischen Bildungsbürgertum.

Die Kommissare dringen ein in das Milieu trister Bürgerlichkeit, gern gesehen in Krimis, die etwas auf sich halten. So werden die Fernsehspiele gleichzeitig zu Sozialstudien. Von dilettantischen Milieudeutungen oder psychologischen Täter-Interpretationen bleibt der Zuschauer in diesem «Tatort» zum Glück größtenteils verschont; Ballauf und Schenk, die früheren Erklärer vom Dienst, treten zunehmend als Beobachter auf. Als Ermittler, die sich an die Fakten halten, keine Andeutungen machen. Die Lockerheit, die flapsigen Sprüche sind seit einigen Folgen minimiert im Kölner «Tatort», der generell düsterer daherkommt. Die stilistischen Änderungen tun dem drittältesten Ermittlerduo der Krimireihe sichtlich gut.

Ballauf und Schenk reißen wortlos die Fassaden nieder, die sich die bürgerliche Scheinidylle selbst errichtet: Das liebe Töchterchen wird festgenommen, sie war die einzige weitere Person am Tatort. Und die Kommissare gehen aufgrund der Umstände davon aus, dass mindestens zwei Personen den Musikstudenten malträtiert haben. Eine weitere Fassade fällt, als die Ermittler den Vater der Festgenommenen im Café treffen, halb betrunken und fast schon zu redselig. Er weiß um die Mauern, die seine Frau um die Familie gebaut hat: „Lieber nichts sagen, nichts hören, nichts sehen. Sie glaubt, es geht davon weg. Das einzige, was weggeht, ist unser Leben.“

Bald kristallisiert sich heraus, worum es geht: Um mittelständische, bürgerliche Eltern, die Angst vor den ihnen entwachsenden Kindern haben. Die Jugendlichen widersetzen sich der häuslichen Überbehütung und dem Lebensentwurf, sie brechen aus. Und die Eltern merken, dass sie die Kontrolle verlieren.

Es ist ein Kölner «Tatort», der durch das Handlungselement, Ballauf zum Zeugen zu machen, eine gute Portion Frische mitbringt. Außerdem bekommen die Kommissare eine neue Assistentin: Die junge Miriam Häslich (Lucie Heinze) ist so tough, dass Ballauf und Schenk bald genervt sind von ihrer vorzüglichen Arbeit bei den Ermittlungen. Sie zeigt den beiden ihre Grenzen auf, besonders mit ihrem digitalen Sachverstand. Auch hier steht der Kontrollverlust – oder die titelgebende Ohnmacht – als Motiv. Problematisch ist trotz der richtigen Ausrichtung die Oberflächlichkeit aller Charaktere, auch der Kommissare: Viel mehr Storytiefe als beim Plausch an der Würstchenbude gibt es nicht. Der Fall selbst ist wenig komplex und daher leicht zu konsumieren; auf Anspruch hat man verzichtet. Freunde klassischer Krimispannung werden nicht auf ihre Kosten kommen, da recht früh feststeht, wer den Mord begangen hat. Es ist der Blick hinter die familiären Fassaden, der diesem Fall Würze gibt.

„Naja, wenigstens gab es heute wieder was zu essen“, sagt Schenk am Ende, als die Ermittler wieder an der Würstchenbude stehen. Wenigstens ein Kölner «Tatort» am Sonntag. In den turbulenten Zeiten der Krimireihe kann es den Zuschauer auch deutlich schlechter treffen.

Das Erste zeigt «Tatort: Ohnmacht» am Sonntag, 11. Mai, um 20.15 Uhr.

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