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«Circus HalliGalli»: Alles nur Show?!

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Die ProSieben-Show mit Joko und Klaas bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Satire, Anspruch und Trash. Jüngst kommt der Vorwurf, Vieles sei gescripted immer häufiger. Eine Einschätzung von systematischer Promotion und großer Inszenierung.

MAs des ProSieben-Montags

  • «Simpsons»: 4,9% / 11,6%
  • «Big Bang»: 6,8% / 15,3%
  • «HalliGalli»: 5,0% / 11,1%
  • «TV total»: 6,6% / 12,1%
Durchschnittliche Marktanteile der vergangenen vier Montagabende.
Echo, Deutscher Comedypreis und Grimme-Preis. Lobhymnen in der Presse und im Feuilleton. (Nahezu) konstant überdurchschnittliche Sehbeteiligungen und Marktanteile sowie zahlreiche erfolgreiche Musikveröffentlichungen. Die Erfolgsgeschichte der ProSieben-Show «Circus HalliGalli» erklimmt immer neue Höhepunkte und etabliert sich stetig als Speerspitze der deutschen Fernsehunterhaltung. Erreicht hat dies das Team um die Moderatoren Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt durch unzählige Aktionen, die sich fortwährend auf der dünnen Grenze zwischen Anspruch und Trash, zwischen Slapstick und Satire, zwischen Kulturkritik und Schwachsinn bewegen. Aktionen wie die ewigen Duelle der beiden Konkurrenten im Aushalten von Extremsituationen oder die andauernden Provokationen von ekeligen Situationen. Zusätzlich sorgen anarchistische Countdown-Momente, chaotische Spiele und abgedrehte Interviews für amüsante Augenblicke. Doch abseits dieser geradezu überschäumenden Anerkennung häufen sich in jüngster Zeit vermehrt kritische Stimmen, die eine zunehmende Inszeniertheit der gezeigten Ereignisse bemängeln.

Wie etwa bei Klaas unfreiwilligem Auftritt als Schlagzeuger der Band Thirty Seconds To Mars. Soll Klaas tatsächlich nicht vorher gewusst haben, was ihn erwartet und dass Sänger Jared Leto das ausverkaufte Konzert seinetwegen vermeintlich abbrechen wird? War Joko wirklich im vorhinein unwissend, dass er bei einem Sido-Konzert einen ihm angeblich unbekannten Rap vortragen sollte, in denen er zahlreiche anwesende Hip-Hoper beleidigte? Wie spontan kann diese Aktion tatsächlich gewesen sein, wenn zwei Wochen danach genau jene gekränkten Musiker im Studio mit einem fertigproduzierten und verkaufsbereiten Anti-Joko-Track auftreten? Ist es wirklich glaubhaft, dass weder die «Newstime»-Redaktion noch Joko eingeweiht waren, dass er als Gastmoderator der Nachrichten während der Live-Sendung einen störenden Anruf bekommen wird?

Der Vorwurf ist klar. Jene Aktionen, die als impulsive Ideen verkauft werden und bei denen die Beteiligten überrascht wirken, sollen eben nicht spontan, sondern vielmehr fingiert, geplant und geradezu nach einem Script abgelaufen sein. Zum Teil sogar mit konkreten taktischen Zielen für mehr Aufmerksamkeit. Man denke dabei an den (angeblichen) Showkrieg mit dem «Neo Magazin» um die Übernahme des dortigen Sidekicks William Cohn, der in gegenseitiger Bespitzelung, juristischen Androhungen und schließlich der Ermordung von Cohn endete. Schwer vorstellbar, dass dieser Schlagabtausch unter den Freunden Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann ausgerechnet während der Abstimmungsphase für den Grimme-Preis, für den beide Formate nominiert waren, einen echten Streit dargestellt haben soll.

Wie überzeugend ist es, dass die regelmäßigen Countdown-Momente die beiden Moderatoren wirklich überraschen, wenn wie im Fall des LEGO-Moments vorproduziertes Material, an denen beide mitgewirkt haben, eingesetzt wird? Oder wenn plötzlich ihr Kumpel Olli Schulz im Studio erscheint und seinen neuen Song komplett aufführen darf? Hier drängt sich sogar der Verdacht von systematischer Promotion für «LEGO-Movie» und die entsprechende Single auf. Undankbar wird auch das Management von Thirty Seconds To Mars über die ausführliche Werbung innerhalb der Sendung nicht gewesen sein. Wer weiß, wer tatsächlich mit der Idee für eine solche Kooperation auf wen zuging?

Welche Elemente wie stark abgesprochen, geplant und inszeniert sind, wissen wohl nur die jeweiligen Beteiligten selbst. So oder so, blankes Chaos und reine Anarchie stecken hinter solchen Beiträgen sicher nicht, eher gezielte strategische Planungen. Die Frage ist aber nun, inwieweit diese Verfahrensweisen zu verurteilen sind. Selbst wenn all diese Aktionen vorgetäuscht und gescriptet sind, was wäre schlimm daran? Wären sie dann weniger witzig? Wäre die Sendung dann weniger unterhaltsam? Oder verhält es sich vielleicht sogar andersherum? Eventuell funktionieren jene Handlungen deswegen so gut, gerade weil es vorher Absprachen gibt. Echte Spontanität birgt schließlich immer die Gefahr, dass sie nicht klappt oder dass nichts witziges passiert.

Auch das RTL-Dschungelcamp ist gerade deshalb so witzig, beliebt und treffsicher, weil die Moderationen von professionellen Autoren geschrieben, die Prüfungen sorgsam geplant, die Zusammensetzung der Teilnehmer bewusst gewählt und die Einspielfilme meist fernab der tatsächlichen Ereignisse durch Schnitt und Nachbearbeitung mit einer festen Intention inszeniert sind. In den meisten amerikanischen Late-Night-Formaten wie in der «Tonight Show Starring Jimmy Fallon» sind die Abläufe ebenfalls detailliert geplant. In der Regel sind dort sogar die Interviews komplett vorstrukturiert, dass beide Parteien genau die richtigen Stichworte geben, um ihre vorab abgesprochenen witzigen Anekdoten oder Musikeinlagen darbieten zu können. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind die Ausgaben konstant witzig und selten zäh. Nicht umsonst begeistern diese Produktionen allabendlich weltweit Millionen Zuschauer. Nicht umsonst setzen sie internationale Maßstäbe in der Entertainment-Branche.

Menschen lieben Geschichten und wollen sie gern erzählt bekommen. Vor allem auch dramatisierte und fiktive Storys. Warum sollen Mechanismen, die bei historischen Märchen, überlieferten Mythen und geschichtlichen Reiseberichten gängig sind, nicht ebenso auf Fernsehprogramme übertragen werden dürfen? Warum ist das Erzählen von ausgedachten Ereignissen im Kino oder bei Serien erwünscht, aber bei Fernsehsshows problematisch? Solange derartige Aktionen niemanden verletzen, clever geplant und abwechslungsreich geschrieben sind, ist daran nichts verwerflich. Fernsehen ist schließlich immer eine Inszenierung. Mal mehr und mal weniger.

Kurz-URL: qmde.de/70271
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