First Look

Die Königsdisziplin der Lust

von

Eine Serie nicht mit, sondern über Sex. Über einen Wissenschaftler, der die sexuelle Revolution anstoßen wird und über eine Zeit, in der alle weiblichen Orgasmen noch als echt galten. Unsere Kritik zur neuen Serie «Masters of Sex».

Hinter den Kulissen

  • Erfinderin / Showrunnerin: Michelle Ashford («The Pacific»)
  • Darsteller: Michael Sheen («Tron: Legacy», «Midnight in Paris»); Lizzy Caplan («Party Down»); Teddy Sears («Raising the Bar»); Nicholas D'Agosto («Heroes»)
  • Regie Pilotfolge: John Madden («Shakespeare in Love»)
  • Buchvorlage: Biografie "Masters of Sex" von Thomas Maier
„What is the matter with you, seriously?” Was mit ihm los ist, diesem William Masters? Er versteckt sich in Kleiderschränken und beobachtet eine Prostituierte beim Sex mit ihren Freiern. Nicht, dass er dies aus rein voyeuristischem Interesse täte oder es ihm Spaß mache – nein, er tut es im Dienste der Wissenschaft, selbstverständlich. Und natürlich nicht ohne Kenntnis eben jener Prostituierten Betty, die um den seltsamen Beobachter in ihrem Kleiderschrank weiß. Was mit diesem William Masters los ist, scheint da nur die gewöhnlichste aller Fragen, die nicht nur Betty bewegen, sondern auch die Zuschauer dieser neuen Serie «Masters of Sex». Sie basiert auf den wahren Ereignissen des Wissenschaftlerteams Masters und Johnson, das Pionierarbeiten in der Sexualforschung leistete und mit dem 1967 erschienenen Buch „Die sexuelle Reaktion“ berühmt wurde.

William Masters ist Doktor der Medizin und OP-Chef der Uniklinik, seine Arbeiten auf dem Gebiet der Fruchtbarkeitsforschung werden jedoch kaum gewürdigt und von der Universität verheimlicht. Es sind vielleicht die prüden, reaktionären 1950er Jahre, die Masters’ revolutionären Thesen die Aufmerksamkeit verwehren – und ihm selbst den Ruhm. „Du hast also nur vorgegeben, einen Orgasmus zu haben?“, fragt Masters in einer frühen Begegnung mit Betty. „Ist das Usus unter Prostituierten?“ Sie entgegnet: „Es ist gewöhnliche Praxis bei allen Frauen. Wir spielen Orgasmen vor, nahezu immer.“ Entgeistert schaut Masters drein, Betty trinkt ihr Bier, rülpst ihre offensichtliche Überlegenheit im nächtlichen Nahkampfsport hinaus. „Wenn du etwas über Sex lernen willst, solltest du dir schleunigst eine Partnerin suchen“, ist ihr gut gemeinter Rat.

Drei Dinge erfüllt eine dieser ersten Szenen von «Masters of Sex», die so lächerlich und brillant gleichzeitig ist. Erstens holt sie den Hauptdarsteller der Serie – Masters – auf eine niedere Ebene, den großen Doktor, den unnahbaren Forscher, der sich beim Gespräch mit Betty zunächst als vollkommener Laie entpuppt. Und damit dem Zuschauer sympathisch wird. Zweitens ist es das Thema selbst, das interessiert: Sex sells, auch in Serie und nicht spätestens seit «Californication», dessen Hauptdarsteller ein Nymphomane ist. «Masters of Sex» siedelt sich auf einer Meta-Ebene an, Hank Moody wäre in diesem Kontext nur Testobjekt – und eine solche Konstellation macht die Serie auf diffuse Weise spannend.

Schließlich ist es drittens der historische Kontext, der im Gespräch zwischen Betty und William plakativ etabliert wird: Dass Frauen ihre Orgasmen fälschen, wäre damals offenbar keinem Mann je in den Sinn gekommen. Wir befinden uns in einer völlig anderen Zeit, vor der sexuellen Revolution der 68er, weit vor der modernen Sexualethik und Aufklärung. Dies dürfte jedem Zuschauer nach diesem Gespräch klar werden. Frau und Mann, Sex und Ehe, Ehe und Schwangerschaft, das geht zusammen – alles andere weicht zu dieser Zeit von der Norm ab, ist gesellschaftlich geächtet.

Es ist auch der Bruch mit der Erwartung, die diese Szene so bedeutend macht: Gemäß des Serientitels und der Vorankündigungen erwarten wir eine Geschichte über Menschen, die die sexuelle Revolution auf den Weg bringen, die bahnbrechende Forschung leisten und dementsprechend erfahren sind in ihrem Fach. Was wir zunächst bekommen, ist aber ein Mann, der wenig weiß über den Sex. Weder professionell im Sinne der Wissenschaft, noch emotional auf privater Ebene: Mit seiner Frau, die sich so sehr ein Kind wünscht, schläft er nur in der Löffelchenstellung, bei gedimmtem Licht und nicht ohne Hemd.

„Wir könnten uns wenigstens dabei in die Augen schauen“, sagt sie nach dem kurzen Akt. Er verneint, die Stellung sei die beste für eine Empfängnis. Die ganze Tragödie dieser Serie wird langsam offenbart, es ist eine private und gleichzeitig professionelle: Das Paar Masters kann kein Kind bekommen, und es deutet alles darauf hin, dass William unfruchtbar ist. Dieser will nichts davon wahrhaben, verschließt sich vor der vermeintlichen Wahrheit – und stürzt sich in die Arbeit, die vielleicht eine Art Schocktherapie sein soll für denjenigen, dem die emotionale Seite des Sex, der Liebe verwehrt bleibt. Dass sein Assistent im Labor ihm morgens von einem Blowjob seiner Sekretärin erzählt, macht die Sache nur noch frustrierender. „Was auch immer das ist, es ist unglaublich“, resümiert der Assistent nach dieser nächtlichen Offenbarung.

Die gesamten Ereignisse der ersten Folge lassen sich im Kontext dieser Tragödie interpretieren. Der Zuschauer kann sich aber auch einfach einlassen auf die bildgewaltigen Geschichten, die sich entspannen. Nicht ohne Grund drängt sich der Vergleich zu «Mad Men» auf, das ebenfalls eine historische Epoche beleuchtet, die 60er in den USA, zu Zeiten des Umschwungs gesellschaftlicher Normen und der Emanzipation der Frau. Verkörpert wird letztere unter anderem durch Peggy Olson, in «Masters of Sex» ist die Sekretärin Virginia Johnson ähnlich angelegt, hier nur ihrer Zeit weit voraus. Sie ist es, die später gemeinsam mit Masters revolutionären Forschungen zum menschlichen Sexualverhalten publizieren wird – jetzt aber ist sie die junge ehemalige Clubsängerin, die studiert, wenn sie eigentlich bei den Kindern zuhause sein sollte, die frivol auf die privaten Fragen von Masters antwortet. Die schon zweimal verheiratet war, ihre Kinder nun allein aufzieht. Und die die Kunst des Blowjob offenbar meisterhaft beherrscht. Schnell beginnt die professionelle Beziehung zwischen Johnson und Masters, der eine neue Studie auf eigene Faust beginnt, unter anderem mit seiner eigenen Frau als Testobjekt.

Vieles stimmt an dieser neuen Serie auch abseits der Story, wie üblich für Standards des Pay-TV-Senders Showtime: Bewundernswert die Sets, die Dekoration und Kostüme, die den biederen grau-braunen Charme der 1950er wunderbar wiederaufleben lassen. Hier steht man dem Vorbild «Mad Men» in nichts nach. Großartig auch die Schauspieler, unter anderem Martin Sheen, der Masters minimalistisch trocken und wunderbar beifällig sarkastisch spielt. Herausragend aber ist Lizzy Caplan, die ihre Rolle als Sekretärin Johnson selbstbewusst wortgewaltig spielt. Sie ist das erotische Salz in der sonst nüchternen Sex-Suppe, ihre Darbietung geheimnis- und damit fantasievoll. Man scheint die lüsterne Spannung fast greifen zu können, als sie von Masters den Job als Studienpartnerin angeboten bekommt.

Sex nicht als aufregender Appetit für den Zuschauer, als audiovisuelle Stimulans gegen die Langeweile vor dem Fernseher. Nicht als billiger Anlass, um Zuschauer zu gewinnen. Sondern als Produkt von ureigenen menschlichen Bedürfnissen, fast im humanistischen Sinne. Als Sehnsuchtsort von Befriedigung und Befreiung in den 50ern, als wissenschaftlicher Gegenstand, ganz nüchtern betrachtet. So hat das Fernsehen dieses Thema in serieller Form wohl noch nicht gesehen. Allein deswegen sollten interessierte Zuschauer ganz genau hinschauen, auch wenn die Spannung in dieser ungewöhnlichen Serien-Melange bisher untergeht.

ZDFneo zeigt die erste Staffel der Serie ab Dienstag, 5. August 2013, immer dienstags um 22.45 Uhr.

Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2013 anlässlich des US-Starts der Serie.

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