Hingeschaut

«Goldschlager»: Wenn selbst Vollplayback schmerzt

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Die Schlagersendung in Sat.1 Gold war ein latent verstörendes Festival mit zahlreichen musikalischen Untaten, grausigen Auftritten und abgedroschenen Songtexten für die nächste Dorfdisco. Doch es gab auch löbliche Ausnahmen...

Mit Sat.1 Gold ist seit einigen Monaten endlich ein Privatsender für die so genannten "Bestager" der 49- bis 64-Jährigen auf dem Markt. Wenn sich die Menschen in diesem Alter nicht gerade voller Begeisterung hochwertige deutsche Produktionen wie «Richterin Barbara Salesch», «Zwei bei Kallwass» oder «Britt» ansehen oder nach der vierten Folge «Für alle Fälle Stefanie» doch allmählich mal nach neuem Stoff gieren, dann machen sie in den Augen der kompetenten Programmplaner des Senders was? Richtig, sie erfreuen sich traumatisiert an alten Schlager-Schunkelhits der 70er und 80er und starten im eigenen Wohnzimmer eine quietschfidele Polonäse. Genau dieser Phänotyp wird vom brandneuen Format «Goldschlager» dann wohl auch durch und durch begeistert sein - alle anderen Zuschauer dürften sich jedoch ob des geistlosen Treibens am Montagabend schnell nach Alternativen umgesehen haben.

Gleich zu Beginn hört man Wolfgang Petry. Gut, die Stimme ist etwas dünn und beliebig geworden, aber immerhin klingt der Wolle auf seine alten Tage doch erstaunlich jung. Erst nach einem genaueren Blick auf die Bühne offenbart sich: Es ist gar nicht der Wolle, sondern dessen weitaus uninteressanterer Sohn Achim Petry, der sich einmal mehr des alten Stoffs seines Vaters bedient. Auf einer mickrigen, kleinen Bühne steht er da vor wenigen, überwiegend stehenden Zuschauern. Das Geld reichte in Halle einfach nicht für mehr als 30 Stühle. Demotiviert, gezeichnet von Jahren harter Arbeit und schlechter Musik hockt das Publikum dort entgeistert, lediglich aufgrund seiner kognitiven Dissonanz klatscht es gequält zu den einstigen Hits "Verlieben, verloren, vergessen, verzeihn" und "Wahnsinn" und sucht vergeblich nach dem richtigen Takt. So sieht sie wohl aus, die Karriere-Hölle (Hölle, Hölle!), könnte er denken, der arme Achim.

Aber nein, keine Angst: Des Achims Musikkarriere ist noch lange nicht vorbei, es gibt schließlich so viele Songs seines Vaters, die er noch nicht 1:1 kopiert hat. Er ist nur bei Sat.1 Gold gelandet, dem Programm-El Dorado der Wechseljahre-Generation - und dann auch noch in der kultigsten Schlagerparade, welche je das Tageslicht erblickt hat. Das zumindest versucht uns Alexander Klaws einzureden, der aktuell offenbar nicht seinen Verpflichtungen beim «Tarzan»-Musical nachkommen muss und sich selbst ebenso beweisen möchte, dass er ein guter Moderator ist wie den fünf Menschen, die sich auf der heimischen Fernbedienung verdrückt haben und nun diese Gruselparade mit ansehen müssen. Immerhin, Klaws ist bei weitem nicht das Schlimmste, was «Goldschlager» zu bieten hat. Zwar pflegt er einen sehr engen Blickkontakt zu seinen Moderationskarten und ringt seinem Gesicht jede Begeisterung für die Musik, die er dort zu promoten hat, mühsam ab, aber zumindest letzteres kann man ihm nun wirklich nicht verübeln. Davon abgesehen führt er solide und durchaus charmant durch die musikalische Geisterbahn.

Das erste Ungeheuer der Musikindustrie nennt sich Antonia aus Tirol und missbraucht für ihren Song nicht DJ Ötzi, was ja noch erträglich gewesen wäre. Nein, die sehr markante Melodie von Every Breath You Take muss dran glauben - zum Glück bekommt The Police nicht mit, wer sich da gerade an ihrem Klassiker vergreift, läuft ja nur auf Sat.1 Gold. Trotzdem: Schön für die Ohren ist das nicht. Und es wird auch nicht wirklich besser, als Jürgen Drews anschließend beinahe sein gesamtes Repertoire an Mallorca-Saufliedern zum Besten gibt. Beim Publikum hat sich inzwischen eine verstörende Mixtur aus Ekstase, Abscheu und völliger Desillusion breit gemacht und während manch einer auf der Stelle hüpft und völlig falsch den Text mitsingt, schauen andere schon jetzt sehnsüchtig auf die Uhr, wann der Driss denn ein Ende nehmen möge. Zu diesem Zeitpunkt sind gerade einmal 20 von etwa 100 Minuten Nettolaufzeit vergangen.

Immerhin zeigt Drews gewisse Entertainer-Qualitäten, als er zwischen seinen zahlreichen Songs mit dem Publikum interagiert und einem besonders großen Fan sogar eine alte LP unterzeichnet. Abschließend plaudert er noch ein wenig mit Klaws und der inzwischen hinzugestoßenen Co-Moderatorin Isabel Varell, gibt schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf seine neue Single ("oh-oh-oh-oooooooh") und verabschiedet sich anschließend. Schon bald wird man diesen Abschied bereuen, denn als nächste Gigs sind Tony Marshal und der Wendler angekündigt, der sich inzwischen jedoch nur noch Michael Wendler nennen darf. Marshal performt mit besonders speziellen Bewegungen endlich mal wieder Schöne Maid, Wendler spielt in seiner gewohnt sympathisch-dezenten Art einer gewissen Anika zum Sound von Mr. Saxobeat die große Liebe vor. Bei einer derart knisternden Erotik wäre es wohl vermessen, von den beiden auch noch zu verlangen, die Münder einigermaßen korrekt zum Vollplayback zu bewegen. Hach, Musikherz, was willst du weniger!?

Danach ist es Zeit für etwas redaktionellen Content, denn wer möchte nicht von einer Redaktion, die ein derart perfektes Event auf die Beine stellt, einen exklusiven Musiktipp haben? Das zu Recht noch völlig unbekannte Schlager-Sternchen Anna singt rot (ja, die nennt sich wirklich so) präsentiert ihren Song Gedankenlos, so komischen Popfutzies vielleicht besser bekannt unter dem Titel Euphoria. Die rot singende Anna stellt allerdings klar, dass sie keinesfalls nur aus kreativer Dürre mit einem Loreen-Cover ihre Weltkarriere starten möchte, sondern weil sie es wichtig finde, "dass man die englischen Popsongs mal auf Deutsch singt". Dieses komische Englisch da versteht ja auch keiner. Gut, der Text von Gedankenlos hat jetzt nicht soooo viel mit dem von Euphoria zu tun, aber man versteht wenigstens, was man da zu hören bekommt - selbst wenn man das gar nicht verstehen möchte.

Es folgen weitere traumhaft schlechte musikalische Beiträge von Fantasy, Norman Langen, G.G. Anderson und Annemarie Eilfeld. Letztere versucht sich an einer deutschen Version von Pinks Try, die überraschenderweise nicht im Ansatz ans Original herankommt. Für das Moderations-Duo zählt hingegen nur, dass es auf Deutsch gesungen wird und fast so ein bisschen nach Schlager klingen könnte. Stimmt. Fairerweise muss man jedoch auch sagen, dass es zumindest ein paar wenige ordentliche Auftritte zu sehen gibt: Beide Songs von Ute Freudenberg sind durchaus solide gemacht und stilvoll vorgetragen, Heino begeistert den Saal mit seiner Junge-Interpretation und Alexander Klaws versucht sich daran, endlich dieses lästige Dauerplayback stimmlich zu überstrahlen. Letzteres klingt dann leider relativ bescheiden und kommt nicht im Ansatz an seinen starken «DSDS»-Auftritt heran, aber alleine in dieser Show wenigstens ein paar live gesungene Passagen zu hören, weckt den paralysierten Musikinteressenten kurzzeitig auf. Davon abgesehen sollten sich diese Sendung tatsächlich nur eingefleischte Fans des Schlagers ansehen - SEHR eingefleischte Fans des Schlagers.

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