Hingeschaut

"Sonja moderiert und wir müssen was essen...!"

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Am Freitagabend hatte sich Oliver Pocher erstmals bei «Alle auf den Kleinen» zu behaupten. Was hat die Show wirklich für Parallelen zu «Schlag den Raab»? Welche eigenen Akzente setzt sie? Was ist sonst noch auffällig? Die Verortung der Position eines "neuen" RTL-Formats...

Bereits im Sommer 2011 gab RTL bekannt, dass es «Alle auf den Kleinen» geben soll. Wann die erste Ausgabe der neuen Spielshow mit Oliver Pocher allerdings auf Sendung gehen würde, ließ man damals noch offen. Erst jetzt am 4. Januar 2013 flimmerte die Premiere endlich über die Bildschirme. Es ist Pochers zweite Sendung bei RTL, neben «5 gegen Jauch». Da verwundert es nur wenig, dass sie von Günther Jauchs Produktionsfirma i&u TV gestemmt wurde. Und ebenso wie «5 gegen Jauch» ist auch «Alle auf den Kleinen» eine Art Kopie der erfolgreichen ProSieben-Show «Schlag den Raab», sogar in noch stärkerer Weise. Das wurde jedenfalls im Vorfeld schon seit der ersten Konzeptbeschreibung von der Öffentlichkeit so gesehen. Doch inwiefern erinnerte der Einstand von «Alle auf den Kleinen» wirklich an die Raab-Festspiele und haben RTL sowie i&u die lange Zeit zwischen Ankündigung der Sendung und Erstausstrahlung dazu genutzt, den Inhalt zu perfektionieren?

Worum es beim Spielablauf geht: Der nur 1,73 m kleine Oliver Pocher tritt selbst als Kandidat gegen drei Gegner an, die körperlich größer sind als er und angeblich auch sonst mehr auf dem Kasten haben sollen. Aus 1000 Bewerbern wurde sein Herausforderer-Trio nach Spezialisierung auf die Kategorien Kraft, Kondition und Köpfchen ausgewählt. In mehreren Duellen und Teamspielen stellt Pocher sich während der Show abwechselnd seinen Kontrahenten. Bis zum Finale geht es dabei um eben jene drei Leistungsaspekte, nach denen die normalen Kandidaten eingeteilt wurden. Sonja Zietlow moderiert das Ganze und meinte schon zu Beginn der Premierensendung großspurig: "Das will sich keiner entgehen lassen! Ich mir auch nicht." Nach dem Darwin-Prinzip würde sich der Stärkere durchsetzen, weshalb es sich bei «Alle auf den Kleinen» um eine "TV-Evolution" handele. Evolution vielleicht. Doch eine Revolution war "die unfairste Show Deutschlands", wie sie im Laufe des langen Freitagabends öfter mal genannt wurde, bestimmt nicht.

In der Tat gibt es nämlich einige grundlegende Gemeinsamkeiten mit «Schlag den Raab». Natürlich ist es in erster Linie der besondere Modus, dass ein eigentlicher Moderator selbst gegen seine Kandidaten antritt, der eben auch bei «Alle auf den Kleinen» das Hauptkonzept zementiert. Ebenso wie bei Raab stehen auch bei Pocher 15 Spiele auf dem Plan, lediglich mit dem kleinen Unterschied, dass sie auch alle durchgespielt werden müssen. Diese Spiele sind fast allesamt kurios und decken körperliche wie geistige Ertüchtigung ab. Ein Kommentator, der aus dem Sportjournalismus kommt, begleitet das Geschehen auf der Bühne mit seinen Anmerkungen. Im Falle von «Alle auf den Kleinen» ist das der RTL-Formel-1-Experte Heiko Wasser, der sich stellenweise erstaunlich ähnlich anhört wie sein «Schlag den Raab»-Äquivalent Frank Buschmann und auch auf eine nahezu identische Weise kommentiert. Die Sendezeit ist bei beiden Formaten deutlich länger, als es für herkömmliche Abendshows üblich ist. Zuletzt muss in der Riege der Parallelen noch festgehalten werden, dass der Gastgeber-Kandidat in der RTL-Show vom Naturell her ein fast genauso ehrgeiziger Typ ist, wie jener aus der ProSieben-Sendung. Angesichts dieser Auffälligkeiten ist es schon fast verwunderlich, dass es bislang noch keine Plagiatsklagen von Seiten der Raab TV-Verantwortlichen gab. Vielleicht weil ProSieben-Matador Max Giermann bei einem Spiel als pantomimischer Illustrator auftrat, so sehr brillierte und nebenbei noch seine Raab-Parodie unterbrachte, sodass jeder wieder an den Ursprung der Konzeptidee denken musste?

Doch «Alle auf den Kleinen» hat eben auch seine Besonderheiten, mit denen es sich vom scheinbaren Vorbild "SdR" abzuheben versucht. Interessanterweise wird die Pocher-Show auch gerade erst dann gut, wenn sie genau das tut, was zu der Frage verleitet, wieso man die Sendung nicht gleich ganz andersartig aufgezogen hat. Das Sicherheitsdenken dürfte der Grund dafür sein. Gerade die solide Firma von Herrn Jauch wollte wohl kein komplettes Risiko in Kauf nehmen, obgleich sie stellenweise durchaus insofern ein Wagnis eingegangen ist, als sie die einzelnen Spiele mit besonderen Einspielfilmchen eingeführt hat. Diese kurzen Episoden haben auf intelligent-ironische Weise die Entstehung der jeweiligen Basisspielideen in der Weltgeschichte durch Cartoons und nicht ernst gemeinte Einbindung von Pocher-Vorfahren erklärt. Für den durchschnittlichen RTL-Zuschauer womöglich eine Überforderung. Die einläutenden Kurzfilme zu den Spielen waren aber natürlich nicht das einzige, was «Alle auf den Kleinen» von Raab deutlich unterschied. So saß Pochers Ehefrau Alessandra neben Heiko Wasser in der Kommentatorenbox im Publikum und wurde von ihm und Zietlow zwischendurch nach ihrer Einschätzung bezüglich der Chancen ihres Mannes bei den einzelnen Spielen befragt. Einmal in der Sendung durfte Pocher sie sogar als Joker zu Rate ziehen. Beim Erschmecken von Berliner-Füllungen war ihr zweifelhafter Spürsinn gefordert. "Der erste richtige Berliner in deinem Leben?" fragte Sonja Zietlow die magere Frau Pocher gewohnt spitz. Überhaupt schien sich durch die Moderatorin das schwierige Unterfangen namens «Alle auf den Kleinen» am meisten von «Schlag den Raab» abzugrenzen. Während ein Steven Gätjen stets neutral und ungeheuer farblos bleibt, lockerte Zietlow die Situation gerne mal durch ihre Sprüche auf, bezog Position und Pocher glänzte mit ihr zusammen in einer erfrischenden Interaktion. Wichtig hierbei ist auch: Wo Raab seine Rolle als Spieler durch und durch ernst nimmt, kann sich Pocher oft auch mal selbstironisch zeigen und Komiker bleiben, was seiner Einsatzbereitschaft trotzdem nicht schadet. Das alles im Smoking gewandet. Durch das Konzept «Alle auf den Kleinen» schafft er es sogar manchmal, ein wenig echtes Mitleid und manche Sympathien beim Zuschauer zu erwecken, was Raab erst gar nicht schaffen will. Ein letzter wichtiger Unterschied: RTL sendet sein «Schlag den Raab», wenn man es denn nun so nennen möchte, nicht live und ohne Musik-Acts zwischendrin. Das lässt zwar eine besondere Stimmung vermissen, ebenso aber auch manche Längen von SdR, die dadurch und durch die noch längere Sendedauer ab und an entstehen.

Kurz bevor noch der wichtige Blick über den Tellerrand des Vergleichs von «Alle auf den Kleinen» mit «Schlag den Raab» hinaus gewendet werden soll, bleibt noch ein Aspekt zu erwähnen, der Kopiestatus und Eigenständigkeit der Pocher-Show fast schon sinnbildlich zusammenführt: Die Kandidaten. Es spielt nicht nur ein Herausforderer gegen den Gastgeber-Kandidaten, sondern es sind gleich drei auf einmal. Das ist zwar geselliger und sympathischer, nimmt aber auch einiges an Brisanz aus dem Spiel, denn so hart wie «Alle auf den Kleinen» klingt, ist es am Ende gar nicht. Auch wenn Pocher in körperlichen Spielen meist gegen die normalen Kandidaten unterlegen ist, so kann er durch geistige Leistungen sehr viel wieder wettmachen und seinen Rückstand schmelzen lassen. Die drei Kandidaten werden nicht in Einspielfilmen, aber in ihren Kampfdaten vorgestellt. Die Zuschauer zu Hause brauchen niemanden in unnötig langen Auswahlverfahren ins Rennen zu schicken, doch das Publikum im Studio muss darüber abstimmen, wer von den Dreien zum nächsten Duell mit Pocher antreten soll. Das offeriert eine gewitzte Komponente, denn wenn das Publikum gerade mal auf Seiten Pochers ist, kann es ihm leichtere Gegner zuschanzen und wenn es mit dem Herausforderer-Trio hält, kann es die härteren Brocken gegen Pocher aufstellen. In gewisser Weise ist er also schon fast auf die Sympathien der Zuschauer im Coloneum angewiesen.

Bewegt man sich in der Schlussbetrachtung noch einmal ganz von «Schlag den Raab» weg, so fällt einem noch ein anderes Format ein, an das «Alle auf den Kleinen» erinnert: Das Dschungel-Camp. Dafür sorgen die RTL-Umgebung, manche Spielideen und vor allem die Moderatorin in Vereinigung. Die vorhin bereits erwähnten spitzen Kommentare von Zietlow sind zwar im Regenwald Australiens häufig noch bissiger, doch auch in der neuen Pocher-Show spürbar vorhanden. Seitenhiebe gegen den ausstrahlenden Sender inklusive. Wenn sie dann noch zu bei den Kandidaten ungeliebten Spielen sagt: "Ich hab´s mir nicht ausgedacht!" oder das Finale spielen lässt, in dem durch Tunnel mit überraschender Füllung gekrochen werden muss, ist der Dschungel nicht mehr weit. Nicht umsonst bemerkte Frau Pocher bei besagtem Berliner-Schmeckspiel passend: "Sonja moderiert und wir müssen was essen...!". Zum Glück keine Känguru-Hoden, sondern nur Sauerkraut- oder Leberwurstfüllungen. Erstere gibt es dann vielleicht wieder ab nächster Woche, wenn die neue Staffel von «Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!» startet. Darauf musste Zietlow am Ende von «Alle auf den Kleinen» selbstverständlich noch hinweisen, denn schon ab kommenden Freitag wird die Pocher-Premiere dann erstmal wieder vergessen sein. Für Zietlow, für RTL, für die Zuschauer.

«Alle auf den Kleinen»? Was war das denn noch gleich? Ach ja, diese neue RTL-Show, die man nur im Vergleich mit anderen Formaten besprechen kann. Wirklich? Ja, diese Sendung leidet in der Tat unter «Schlag den Raab», unter dem Dschungel-Camp und vielleicht - wenn man sich einzelne Spiele genauer ansieht - auch noch unter gewissen 80er/90er Jahre-Shows mit Jürgen von der Lippe oder Mike Krüger. Aber sie hat auch ihre Eigenheiten. Zudem ist Oliver Pocher der wohl Einzige, der es sich erlauben kann, Stefan Raab so direkt zu kopieren. Selbst wenn man ihn lieber mal gegen Raab selbst antreten sehen würde und sich fragt, ob so eine Kopie denn überhaupt wirklich sein muss. Aber hat es nicht das Meiste schon irgendwie mal gegeben? Ungeachtet all dessen ist «Alle auf den Kleinen» aber vor allem erst einmal dies: Eines der wenigen Formate bei RTL, die man sich bedenkenlos anschauen kann. Zumindest das ist doch auf jeden Fall etwas wert!

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