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«X Factor» in der Krise - Hat das Format noch eine Zukunft?

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Nach einem guten Start befindet sich die Castingshow nun bereits seit einigen Wochen in der Krise. Womit hängen die drastischen Verluste zusammen? Hat die Sendung noch eine Zukunft oder bahnt sich das Ende einer kurzen Ära an?

Einen einfachen Stand hatte «X Factor» in Deutschland noch nie. Das in anderen Ländern sehr erfolgreiche Konzept von Simon Cowell verstaubte zunächst jahrelang in den Archiven der RTL-Gruppe, bis sie im August 2010 endlich Gebrauch von ihren Nutzungsrechten machte. Doch statt eine qualitativ hochwertige Alternative zu den mittlerweile längst zur Selbstparodie verkommenen Bohlen-Castings «Deutschland sucht den Superstar» und «Das Supertalent» anzubieten, schob RTL das Format seiner kleinen Schwester VOX zu. Hier kamen die ersten beiden Staffeln zwar zu sehr beachtlichen Quotenerfolgen, doch eine zumindest kurz- oder mittelfristige Etablierung der Sieger Edita Abdieski und David Pfeffer im Musikbusiness kam aufgrund zu geringer Werbemöglichkeiten des kleinen Senders nicht zustande.

Die im August dieses Jahres angelaufene dritte Staffel stand nicht nur deswegen unter einem schlechten Stern. Mit vielen konzeptionellen Veränderungen warteten die Macher auf: Zwei Altjuroren wurden mit Sandra Nasic, Moses Pelham und H.P. Baxxter durch gleich drei neue ersetzt, notgedrungen wurde eine zusätzliche Kategorie eingeführt und man musste sich ausgerechnet am hart umkämpften Sonntagabend versuchen, an dem bereits in der zweiten Staffel nur solide Werte erzielt werden konnten. Doch allen Zweiflern (unter anderem auch Quotenmeter.de) zum Trotz lieferte man eine inhaltlich so überzeugende Leistung ab, dass zunächst auch die Quoten stimmten - was inzwischen leider einen guten Monat zurückliegt.

Nach einem schwachen Auftakt bei RTL zeigten die weiteren fünf Casting-Ausgaben auf VOX ausnahmslos gute Leistungen. Bei Reichweiten zwischen 1,76 und 1,98 Millionen wurden stets rund sechs Prozent Marktanteil beim Gesamtpublikum und 9,3 bis 10,7 Prozent in der besonders wichtigen werberelevanten Zielgruppe generiert. Damit lag man zwar nur rund zwei Prozentpunkte oberhalb des Senderschnitts, für eine Show am stärksten Fernsehabend der Woche war dies jedoch ein sehr respektabler Erfolg. Auch 2011 kamen die am Sonntagabend gezeigten Folgen nicht über 2,33 Millionen Zuschauer hinaus, womit insgesamt zwischen 5,3 und 6,9 Prozent und bei den 14- bis 49-Jährigen zwischen 7,7 und 10,9 Prozent zu Buche standen.

Inhaltlich knüpfte man hier nicht nur an die vergangenen beiden Staffeln an, man steigerte das Durchschnittsniveau sogar noch: Setzte man zuvor zumindest ab und an noch auf Spaßkandidaten ohne musikalische Substanz wie Vater Katzenberger oder dem einen oder anderen «Supertalent»-Ausguss, stand diesmal einzig und alleine die Musik im Vordergrund. Man kam zwar in der Breite nicht ganz an die Qualität von «The Voice» heran, doch orientierte sich merklich an diesem Erfolgskonzept. Dies zeigte sich auch daran, dass die Juroren nun nicht mehr die gesamte Gesangsperformance abwarteten, bis sie ihre Meinung bezüglich des Weiterkommens der Kandidaten kundtaten, sondern schon während des Auftritts ein überdimensional großes "X" vor ihren Sitz positionierten, sobald sie sich sicher waren, mehr von ihnen hören zu wollen.

Doch das bemerkenswerte Problem zahlreicher Casting-Formate der vergangenen Jahre stellte sich diesmal auch bei «X Factor» ein: Gerade die Phase zwischen Castings und Live-Shows stieß kaum auf Interesse. Auf noch recht harmlosem Niveau fielen die Werte zunächst bei den beiden Bootcamp-Ausgaben, denn bei 1,60 und 1,82 Millionen Zuschauern und Marktanteilen von 8,0 und 8,6 Prozent beim Zielpublikum hielt man sich zumindest leicht oberhalb des Senderschnitts. Unter Umständen hielt man hier noch so viele Zuschauer am Ball, weil sich die Veränderungen gegenüber der ersten Ausgaben noch in relativ engen Grenzen hielten: Die komplette Jury urteilte im nicht gerade talentförderlichen, aber sehr spannenden 1:1-Duell über das Schicksal der Kandidaten, die wie schon zuvor im Backstage begleitet und interviewt wurden. Sogar für ein paar Schlagzeilen sorgte der kurze Streit zwischen den Juroren, als diese sich auf die einzelnen Kategorien aufteilen sollten.

Definitiv nicht mehr akzeptabel waren hingegen die Werte der beiden bislang ausgestrahlten Folgen aus den Jury-Häusern, wobei vor allem in der ersten Woche schockierend schwache Marktanteile von 3,7 Prozent bei allen und 5,6 Prozent bei den Umworbenen zustande kamen. Aus musikalischer Sicht ist dieser Misserfolg bedauerlich, denn selten zuvor verfolgte man bei einer Talentsuche das Coaching der Teilnehmer so intensiv wie hier. Bei Moses Pelham bekamen die Zuschauer einen recht ausführlichen Einblick in das professionelle Gesangstraining seiner 16- bis 24-jährigen Jungs, Sandra Nasic zeichnete in einem bekannten Tonstudio Songs ihrer Bands und Gesangsgruppen auf und auch Sarah Connor ließ sich mit ihren älteren Künstlern viel Zeit. Bei H.P. Baxxter glich das bisher Gesehene eher einer Modenschau, bei der die von ihm "gecoachten" jungen Sängerinnen zu einem aktuellen Clubhit stöhnen mussten, doch davon abgesehen machte «X Factor» in den beiden Vorwochen dem Namen "Musikshow" alle Ehre.

Nur was nützt dies, wenn kaum jemand zusieht und somit noch stärker als bislang zu befürchten ist, dass der Sieger der Show schneller in der Versenkung verschwindet als der «Popstars»-Zuschauer herausfindet, was genau eigentlich dieses "Melouria" sein soll, das aus der vergangenen Staffel hervorging? Die deutliche Mehrzahl der Zuschauer ist - so traurig dies bei allen löblichen Ambitionen der Macher auch sein mag - kaum daran interessiert, mehr als zwei Stunden am Sonntagabend talentierten Musikern dabei zuzusehen, wie sie sich auf ihre Auftritte vorbereiten und bei eben jenen letztendlich dann auch beinahe ausnahmslos respektable Leistungen auf die Bühne zaubern.

Ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich die Fans der Sendung auf ein recht baldiges Ende gefasst machen sollten, ist auch die drastische Kürzung der abschließenden Liveshows, von denen es in diesem Jahr gerade einmal noch vier statt acht geben wird. Aufgrund des hohen finanziellen und organisatorischen Aufwands derartiger Live-Events ist dies rein rational betrachtet ein nachvollziehbarer Schritt, der jedoch auch die Vermutung mehr als nahe legt, dass «X Factor» nur noch wenig Rückenwind in der Chefetage des Senders hat. Eine wirkliche Etablierung in den deutschen Castingmarkt fand selbst in den besten Zeiten kaum statt, als qualitativ hochwertige Casting-Alternative wird beinahe ausschließlich «The Voice» in der Öffentlichkeit wahrgenommen und mittelmäßige Einschaltquoten sind auch mit weniger kostspieligen Produktionen möglich. Aus diesen Gründen wäre alles andere als das endgültige Ende der recht kurzen «X Factor»-Ära nach dieser Staffel eine große Überraschung, wenn nicht gar Sensation.

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