Hingeschaut

Unser gegensätzliches Deutschland

von

In seiner Reportage zeigte Peter Kloeppel am Mittwochabend die finanziellen Unterschiede in unserem Land auf.

Deutschland ist unbestritten ein reiches Land, das über Wohlstand verfügt, von dem viele andere Länder auf dieser Welt nur träumen können. Hungern muss zwar niemand, doch trotzdem ist Fakt, dass die Vermögen in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich verteilt sind. Statistiken zu dieser Thematik gibt es in Fülle: So besitzen laut eines Berichts des Bundesarbeitsministeriums "Lebenslagen in Deutschland“ die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte 53 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die untere Hälfte besitzt hingegen nur noch rund ein Prozent dieses. Zehn Jahre zuvor lag dieser Anteil noch bei dem Vierfachen. Das Vermögen, über das die Reichen verfügen, ist im Vergleich zu früher hingegen gestiegen. Um sich unter all diesen Zahlen, die der politisch informierte Bürger mittlerweile bald auswendig kennen sollte, etwas vorstellen zu können, startete RTL am Mittwoch einen Thementag zum Thema soziale Gerechtigkeit. Highlight dessen bildete die Reportage «Armes Deutschland, reiches Deutschland» von Peter Kloeppel, in der der RTL-Chefredakteur durch ganz Deutschland reiste und anhand konkreter Beispiele zeigte, was Armut bzw. Reichtum konkret für betroffene Personen bedeutet.

Bereits schnell geht die Produktion auf die erste Person ein: Eine jüngere Frau, die zurzeit arbeitslos ist, und ihr kleines Kind und sich selbst versucht über die Runden zu bringen. Einer Beschäftigung geht sie aktuell nicht nach, da sich für sie keine Möglichkeiten zur Betreuung ihres kleinen Kindes bieten. Und hiermit kommt Kloeppel auch schon indirekt auf das erste, große Problem zu sprechen: Die aktuell desolaten Kitabetreuungsangebote in Deutschland. Auch wenn die Regierungskoalition aktuell das Betreuungsgeld verhandelt und ab nächstem Jahr jedes Kind einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung erhalten soll: Noch leiden viele, vor allem ärmere Menschen unter mangelnden Angeboten.

Ohne überzogene Dramatik seitens RTL erreichen die Schilderungen der Frau den Zuschauer auf emotionaler Ebene und veranschaulichen die Probleme, die vielen sonst aus Statistiken bekannt sind. Schließlich zeigt die Reportage anhand eines Beispiels in Bielefeld, wie es besser laufen kann. Hier gibt es ein Krippenangebot, das von früh morgens bis weit in den Abend reicht und somit für Vollzeitarbeiter die Vereinbarkeit von Kind und Beruf erheblich erleichtert. Nur: Dieses Projekt ist eine absolute Ausnahme und die Betreuung kostet 239 Euro mehr als sonst. Geld, das viele arme Menschen nicht aufbringen können.

Wenige Minuten später folgt dann der 100-prozentige Gegensatz zu Armut und mangelnder Zukunftsperspektive: Eine Ärztefamilie eines Gynäkologen mit einem Jahreseinkommen, das sich auf 300.000 Euro jährlich beziffert. Sorgen um Kinderbetreuung und ähnliches sind dieser Familie gänzlich fremd, schließlich besteht aufgrund des hohen Gehalts des Mannes kein Bedarf für die Frau und Mutter mit einem Nebenjob den Kontostand der Familie aufzubessern. Allerdings weiß die Familie auch ihren Luxus zu schätzen. Gegensätze, die den Zuschauern zum Nachdenken anregen und vielleicht auch ein wenig wütend machen, ist von Gerechtigkeit hier doch schließlich keine Spur.

In einem nächsten Schritt kommt die Dokumentation auf eine zweite, gesellschaftlich äußerst relevante Thematik zu sprechen: Die Chancengleichheit beim Thema Bildung. Kloeppel besucht eine private Universität, auf die inzwischen jeder 20. Student geht. Durch individuelle Förderungen und Lernen mit wenigen anderen findet hier eine viel effektivere Bildung statt, als die, die sich einfache Mittelständler leisten können. Kloeppel spricht gar von den „Managern von morgen“, die von derartigen Einrichtungen ausgebildet werden. Um die Ungerechtigkeit perfekt zu machen, bestätigt das daraufhin sogar die Chefin einer Topanwaltskanzlei, spricht von motivierten Menschen mit besserer Ausbildung, die gezielt an solchen Einrichtungen gesucht werden. Bildung und Berufschancen sind also ganz offenbar eine Frage des Geldes. Ist das gerecht?

Gerade diese individuelle Ausbildung, von der jeder junge Mensch in Deutschland sollten Gebrauch machen können, gibt es für die breite Masse nicht. Kinder aus sozial schwächeren oder ausländischen Familien bekommen von ihren Grundschullehren tendenziell eine schlechtere Empfehlung für ihre weiterführende Schule als die aus reichen deutschen Familien stammenden Kinder. Zumindest ein Vorzeigebeispiel hat RTL hierfür parat: Eine Migrantin, 18 Jahre alt, die dieses Jahr ihr Abitur macht und das, obwohl sie von ihrer Grundschule mit einer Hauptschulempfehlung abging. Der Schlüssel zum Erfolg lautet laut ihr: Ganztagsschulen, die sich erheblich besser auf das Individuum einstellen können. Und damit ist auch schon der dritte wichtige Punkt angesprochen: Die aktuelle Bildungspolitik und das Schulsytem, das in derzeitiger Form zahlreiche Verlierer produziert und mit dem viele nicht klar kommen.

Wie schnell auch ein Mittelständler abstürzen kann zeigt die Reportage anhand eines ehemaligen Neckermann-Mitarbeiters, der mit der Insolvenz des Unternehmens sprichwörtlich von heute auf morgen auf der Straße stand. Obwohl der Mitarbeiter für sein Unternehmen brannte und nie einen schwerwiegenden Fehler beging, ist er über Nacht zum Arbeitslosen geworden. Spätestens hier wird deutlich, wie relevant dieses Thema für jeden Einzelnen wirklich ist. Denn jeden kann Armut über Nacht treffen. Von heute auf morgen kann man selbst zum Harz IV Empfänger werden und viele Themen, die einen nie interessiert haben können von heute auf morgen höchstaktuell werden. Auch hier wieder die Frage: Ist das gerecht?

Während der gesamten Dokumentation macht Kloeppel seinen Job als kritischer Interviewer gewohnt gut. Ob Harz IV Empfänger oder Multimillionär: Der erfahrene RTL-Chefredakteur schafft es mit kritischen Fragen viel von seinen Interviewpartnern zu erfahren, die eine oder andere unangenehme Wahrheit zu entlocken. Zwischen den zahlreichen Personen, die der Zuschauer kennenlernt, spricht Kloeppel mit einem Armutsexperten, der Lösungsansätze wie beispielsweise die Abschaffung von Leih- und Zeitarbeit in den Raum stellt. Weitere, wichtige gesellschaftliche Themen, die die Produktion über diesen Weg anstößt, die bei Betrachtung der konkreten Beispiele aber in ein ganz anderes Licht gerückt werden. Lebhaft fällt Peter Kloeppel zudem in seiner Rolle als Off-Spreche auf, aus der er es sich nicht verkneifen kann, den einen oder anderen provokanten Kommentar zu versenden.

«Armes Deutschland, reiches Deutschland» bot dem Zuschauer eine andere Herangehensweise an die Thematik "soziale Gerechtigkeit in Deutschland". Kloeppel legte den Fokus ganz klar auf den Einzelnen, dessen Schicksal die Statistik veranschaulicht. Natürlich: Diese Geschichten sind Beispiele, die teilweise nicht alltäglich sind. Wichtig ist aber zu wissen, dass auch sie es gibt. Langeweile kam aufgrund der zahlreichen Gesprächspartner Kloeppels nicht auf, ein politischer Mehrwert bot sich dem Zuschauer allerdings auch nicht. Aber davon war schließlich nie die Rede. Die Produktion hat eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen angesprochen, die die Schwachen in unserer Gesellschaft haben. Peter Kloeppel brachte ein wenig Menschlichkeit in die zahlreichen Debatten, die im Bundestag immer nur mit Zahlen geführt werden. Er zeigte die konkreten Schicksale, die sich hinter einer Statistik verbergen. Damit hat er vielen Menschen, die selbst in Armut leben, aus der Seele gesprochen und den einen oder anderen sturen Kritiker vielleicht zum Nachdenken gebracht.

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