Die Kritiker

«Tatort: Hochzeitsnacht»

von

Sabine Postel und Oliver Mommsen aus Bremen ermitteln im «Tatort» am Sonntag im Ersten.

Story


Inga Lürsen und ihr Kollege Stedefreund sind zu einer Hochzeit eingeladen. Die Gäste sind glücklich, die Reden so mittel, die Klientel typisch dörflich niedersächsisch. Alles sind heiter und fröhlich. Und Stedefreund geht mit seinem kleinen Hund Gassi.

Bevor er zurückkommt, haben zwei maskierte Männer die Feier gestürmt und die Gäste als Geiseln genommen, die sie mit automatischen Schusswaffen bedrohen. Inga merkt bald, dass das kein gewöhnlicher Raubüberfall ist. Warum versucht einer der Männer etwas über den Mord an der jungen Carola zu erfahren? Als ein Hochzeitsgast plötzlich tot aufgefunden wird, ist schnell klar, dass es die zwei maskierten Männer nicht gewesen sein können.

Einer der beiden Gangster nimmt schließlich seine Maske ab und entpuppt sich als der verurteilte Mörder von Carola, für den er neun Jahre hinter Gittern verbracht hat. Er will seine Unschuld beweisen und „Gerechtigkeit“ herstellen. Oder Rache nehmen. Je nach Blickwinkel.

Darsteller


Sabine Postel («Der Dicke») als Hauptkommissarin Inga Lürsen
Oliver Mommsen («Sind denn alle Männer Schweine?») als Hauptkommissar Stedefreund
Denis Moschitto («Allein gegen die Zeit») als Wolf Koschwitz
Sascha Reimann (d.i. Ferric M. C. «12 Meter ohne Kopf») als Simon
Julie Engelbrecht («Die Tänzerin – Lebe deinen Traum») als Rieke
Barbara Nüsse («Die Pfefferkörner») als Oma
Arved Birnbaum («Im Angesicht des Verbrechens») als Andreas Biebermann

Kritik
Kammerspiele sind immer eine dramaturgische Herausforderung. Wenn man das Geschehen nahezu ausschließlich auf einen Ort beschränkt, muss man besonders dicht erzählen, besonders straffe, dynamische Dialoge schreiben. Denn oft passiert es, dass man sich in zu vielen Nebensächlichkeiten verheddert und das große Ganze aus den Augen verliert, dass sich diverse Unglaubwürdigkeiten in den Plot einschleichen, dass die Spannungskurve abknickt, weil die Handlung auf der Stelle tritt und keine dramaturgisch relevanten Entwicklungen mehr möglich sind, dass alles furchtbar konstruiert und bemüht wirkt.

Der neue «Tatort» aus Bremen kann jedoch fast alle dieser Probleme umschiffen. Und die dramaturgische Herausforderung, der sich Drehbuchautor Jochen Greve hier gestellt hat, ist keine einfache. Greve erzählt schnell und recht schnörkellos, verzichtet gänzlich auf Sub-Plots und konzentriert sich dafür umso mehr darauf, den Haupthandlungsstrang zügig zu erzählen. Um hier glaubwürdig zu bleiben, muss er selbstverständlich alle Charaktere zu jeder Zeit minutiös im Blick haben, was ihm hervorragend gelungen ist. Greve entwirft ein Schreckensszenario im kleinbürgerlichen norddeutschen Milieu voller Spießer- und Denunziantentum. Wenn man derartige Menschen einer Extremsituation wie einer Geiselnahme aussetzt, kann alles passieren. Und Greve lässt genau das zu, verzichtet aber nahezu gänzlich auf Übertreibungen, bleibt, so gut es geht, glaubwürdig, schafft für alle Charaktere nachvollziehbare Handlungsmotive anstatt in die Ich-habe-das-so-gefühlt-Trickkiste zu greifen.

Zu Beginn schleicht sich noch etwas viel Klamauk ein, wenn Hauptkommissar Stedefreund ohne Hose seinen Hund durch den niedersächsischen Wald jagt. Greve und Regisseur Florian Baxmeyer geben dieses Element und auch den ganzen, etwas zu forciert wirkenden Lokalkolorit, der die ersten Szenen bestimmt, dann jedoch schnell auf, sobald sich die Situation immer mehr zuspitzt – und fahren damit gut. So kann „Hochzeitsnacht“ actiongeladen und intensiv, gleichzeitig aber, was die Charakterentwicklungen angeht, äußerst filigran erzählen.

Natürlich ist für das Gelingen der neuen «Tatort»-Folge auch Hauptdarstellerin Sabine Postel in der Rolle der souveränen Inga Lürsen maßgeblich verantwortlich, deren Figur zwar Angst zeigt, sich von ihr aber nicht aus der Ruhe bringen lässt. Sie spielt leise, filigran und nahegehend. Auch Oliver Mommsen liefert, sobald ihn das Drehbuch aus dem hosenlosen Klamauk befreit hat, eine glaubwürdige Arbeit ab. Die Rolle der derzeit in Fernsehfilmen ominpräsenten Julie Engelbrecht ist wegen ihrer vergleichbaren Überzeichnung vielleicht die undankbarste, Engelbrecht kann als die Dorf-“Bitch“, deren Hochzeit gerade von zwei Geiselnehmern zerdeppert wird, eine insgesamt recht charmante, wenn stellenweise natürlich auch zu überdrehte Darstellung zeigen.

Fazit: Der Bremer «Tatort» hat dramaturgisch und inszenatorisch experimentiert – und damit eine der besten Folgen seiner Geschichte geliefert.

Das Erste strahlt «Tatort: Hochzeitsnacht» am Sonntag, den 16. September 2012, um 20.15 Uhr aus.

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