TV-Kritik

«Web Therapy» – oder: Wie Webinhalte die alten Medien erobern

von
Lisa Kudrow lädt in «Web Therapy» zur Psychotherapie via Videochat. Das Format startete online, eroberte aber 2011 das US-Fernsehen. Das macht Schule ...

Ab dem 9. Mai bringt glitz* mit der Sitcom «Web Therapy» nicht nur die neue Serie von «Friends»-Star Lisa Kudrow ins deutsche Fernsehen, sondern zugleich auch ein stilistisch ungewöhnliches Format, das stellvertretend für die veränderte Medienwelt steht. In «Web Therapy» spielt Kudrow die Therapeutin Fiona Wallace, welche sich nicht länger ihren Berufskonventionen unterwerfen möchte und die traditionellen 50-minütigen Therapiesitzungen durch schnelle Videochats mit ihren Patienten ersetzt. Offiziell rührt diese radikale Runderneuerung der Psychotherapie allein aus Fionas Überzeugung her, dass diese modernen, kurzen Sitzungen effektiver sind, doch in ihren egozentrischen gesprächen offenbart sich schnell, dass sie es einfach leid ist, sich fast eine Stunde lang mit den Sorgen anderer Menschen zu beschäftigen ...

Das Herzstück von «Web Therapy» sind die titelgebenden Onlinegespräche zwischen Kudrows egozentrischer Therapeutin und ihren Patienten, die in Form eines iChats dargestellt werden. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht, nur das unvermittelte Schauspiel zwischen Kudrow und Gästen, was für allerhand verrückte Dialogwechsel sorgt. Es ist ein minimalistischer, durchaus effektiver Ansatz, der zwar auf Dauer etwas eintönig wirken kann, aber wenn der Zuschauer die Serie in entsprechenden Dosen verfolgt, wirkt sie im Vergleich zu traditionellen Sitcoms um so erfrischender. Das temporeiche und nicht sonderlich aufwändige Format erlaubt es «Web Therapy» außerdem, innerhalb nur weniger Folgen eine durchaus beachtliche Liste an Gaststars zu versammeln. Zu diesen zählen unter anderem Rashida Jones («The Social Network»), Jane Lynch («Glee») und Kudrows «Friends»-Kollegin Courtney Cox. In einer regelmäßigen Gastrolle tritt Victor Garber als Fionas Ehemann auf, während Jennifer Elise Cox («Die Brady Familie») ihre Rezeptionistin spielt.

«Web Therapy» repräsentiert nicht nur inhaltlich den durch die Möglichkeiten des Internets ausgelösten Medienwandels. Die als Chat dargestellte Fernsehserie entstammt nämlich selbst dem World Wide Web, was möglicherweise die größere Errungenschaft ist. 2008 startete «Web Therapy» als online veröffentlichte Impro-Comedy mit Lisa Kudrow und ergatterte schnell eine große Fangemeinde, zu der auch prominente Kollegen Kudrows zählen, was sich schnell auf die Darstellerriege auswirkte. So begab sich etwa Oscar-Preisträgerin Meryl Streep für drei Episoden in Fiona Wallaces digitales Therapeutenzimmer.

Das mehrfach prämierte Webformat weckte 2010 die Neugier des US-Senders Showtime, der es zu einer halbstündigen Fernsehsitcom ausbauen ließ. Der Sprung vom Web zu einer erfolgreichen TV-Serie mag vielleicht der größte sein, allein ist «Web Therapy» jedoch nicht. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für Webproduktionen, die sich in die alten Unterhaltungsmedien ausbreiteten. 2010 erhielt YouTube-Star Fred Figglehorn, ein fiktiver Bube mit hitzigem Temperament, seinen eigenen Kinofilm. Die unabhängig finanzierte Produktion «Fred: The Movie» beinhaltete Auftritte von Gaststars wie dem Wrestler und Schauspieler John Cena sowie der Sängerin Pixie Lott und erhielt negativen Kritiken zum Trotz im Jahr darauf eine für den Kindersender Nickelodeon gedrehte Fortsetzung mit Halloween-Thematik. Seit Januar 2012 läuft dort auch eine Zeichentrickserie auf Basis der populären YouTube-Videos.

Mit James Rolfe bemüht sich ein weiterer Internetpromi darum, einen eigenen abendfüllenden Film auf die Beine zu stellen. Dieser soll von seiner beliebtesten Rolle, dem Angry Video Game Nerd, handeln und soll ab Dezember dieses Jahres die Runde auf Independent-Filmfestivals machen, bevor er auf DVD veröffentlicht wird. Schauspieler Elijah Wood ging unterdessen den umgekehrten Weg und agierte als Gastsprecher in der Machinima-Webserie «Red vs. Blue». Und auch in Deutschland zeigt sich bereits, dass die Grenzen zwischen Webcontent und traditionellen Medien durchlässig sind, erhielt dank dem TV Lab von ZDFneo doch der durch YouTube zum Kult avancierte Tedros „Teddy“ Teclebrhan seine eigene Fernsehshow.

glitz* zeigt «Web Therapy» ab dem 9. Mai immer mittwochs um 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/56568
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«Doctor Who»: Runde 7 im Herbstnächster ArtikelDie Kritiker: «Hot in Cleveland»

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung