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«DSDS» im Wandel der Zeit

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Die Quoten waren schwach wie lange nicht mehr - in dieser Staffel trat zudem auch ein Problem mit der Kandidatenstruktur auf. Antje Wessels erklärt, warum.

Das war es also: das Finale der neunten Staffel von Deutschlands bekanntester Castingshow «Deutschland such den Superstar». Seit Samstag, kurz vor 23 Uhr steht Luca Hänni als Gewinner der Talentshow fest. Mit 52,9 Prozent aller Zuschauerstimmen konnte der 17-jährige Schweizer den Sieg für sich verbuchen und mit ihm eine halbe Million Euro, einen Plattenvertrag und damit mindestens einen voraussichtlichen Nummer 1-Hit in den deutschen Singlecharts, wenn man auf die Gewinnersongs der Showhistorie zurückblickt. Doch mit einer Zuschauerzahl von gerade einmal 2,68 Millionen Zusehern in der Zielgruppe muss sich RTL die geringste Reichweite in einem «DSDS»-Finale eingestehen, die seit 2002 je eingefahren wurde. Dabei bewarben sich dieses Jahr soviele Talente wie nie zuvor. Woran also könnte es liegen, dass die neunte Staffel der RTL-Show mit einem solchen Zuschauerschwund zu kämpfen hatte, dass Chefjuror Dieter Bohlen zeitweise selbst eine zehnte Staffel in Frage stellte?

Kam die allererste Staffel im Jahre 2002 noch mit Reichweiten auf «Wetten, dass..?»-Niveau daher, so nahm das Interesse an der Talentshow über die Jahre hinweg kontinuierlich ab. Das damals noch neue Format, das jungen, hoffnungsvollen Gesangstalenten den Weg in Richtung Weltkarriere ebnen wollte, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer Freakshow mit Fremdschamgarantie, als sich abzuzeichnen begann, dass vor allem die ebenso harten, wie provozierenden Jury-Kommentare ein Garant für gute Quoten waren. Allen voran die von Dieter Bohlen, der zu Beginn noch weitestgehend mit musikalischem Fachwissen punktete, jedoch nach und nach von RTL zu dem Gesicht der Show aufgebaut wurde. So wurde aus dem Musikexperten eine Kunstfigur, an welcher sich das Image von «DSDS» immer weiter zu orientieren begann. Die Sprüche wurden härter, die Kommentare unsensibler. Zudem verschwanden im Laufe der Zeit die wirklichen Meister ihres Fachs aus der Jury. In Staffel eins noch zu viert, bestehend aus drei Musikproduzenten und einem Radiomoderator, richteten heute, im Jahr 2012, ein Modelcoach und eine Meisterin des Playback-Gesangs über die Talente der jungen Künstler.

Mit Fachverstand im Musikfach hat das kaum noch zu tun, wenngleich Natalie Horler selbstverständlich seit Jahren kommerziell erfolgreich im Business arbeitet. RTL geht es mittlerweile aber nicht mehr darum, wirklich talentierte Nachwuchssänger zu finden. Gesucht werden Gesichter, die sich vermarkten lassen. Gerade der Pubertät entflohene Burschen, die sich mit einem Augenaufschlag und ihrer Geschichte über eine harte Kindheit in die Herzen der Schulmädchen schmachten, die jedes Wochenende zu Tausenden zu den Telefonhörern greifen, damit am Ende nicht nur die Kasse des Gewinners klingelt, sondern allen voran die von RTL und eines Dieter Bohlen, der auch in diesem Jahr wieder den Gewinnertitel komponierte.

Doch gerade im Hinblick auf das telefonische Abstimmverfahren wurde in der neunten Staffel so viel in Richtung Betrug geschielt, wie noch in keiner zuvor. Wenige Tage vor dem Finale dann der Super-GAU: auf der RTL-Website wurde der schlussendlich Zweitplatzierte, Daniele Negroni, bereits vorab zum Gewinner erklärt. Ein Skandal, den Daniele mit tausenden Facebook-Fans bezahlen musste und RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer damit erklärte, dass es sich hierbei nur um ein technisches, wenn auch ärgerliches Versehen gehandelt habe.

Doch Ähnliches geschah auch bereits im Jahre 2010, als DSDS-Vize Menowin Fröhlich schon einige Stunden vor dem Finale im Videotext zum Sieger erklärt wurde und sogar 2005 sorgten die Informatiker des Kölner Senders für Furore, als der Fünftplatzierte der dritten Staffel, Didi Knobloch – ebenfalls im Videotext von RTL – bereits für seinen Rauswurf bedauert wurde, als dieser offiziell noch gar nicht feststand. Wie viel Wahrheit steckt also wirklich im Abstimmungssystem von «DSDS»? Diese Frage beantwortet RTL auf Nachfrage jedes Mal damit, dass die Ergebnisse bei «Deutschland sucht den Superstar» zu 100 Prozent vom Zuschauer zu verantworten sind, da jeder Anruf zählt. Dass man auch hierbei den einen oder anderen Fehler machen kann, schaffte RTL bereits mehrmals, zu beweisen. So wurden in den Live-Shows Nummern vertauscht, in den Werbeunterbrechungen die falschen eingeblendet und 2012 beklagten sich nach mehreren Shows haufenweise Fans, dass Leitungen immer wieder besetzt gewesen seien. Dabei kann man es RTL im Hinblick auf die Live-Shows nun wirklich nicht zum Vorwurf machen, sich bei der Inszenierung der samstäglichen Mottoshows keine Mühe zu geben. Die Lichtshows werden von Show zu Show eindrucksvoller, die Bühnenaufmachung spektakulärer und die Choreographien ausgefeilter. Im Grunde eigentlich beste Voraussetzungen, allmählich Bühnenluft zu schnuppern.

Doch was bedeutet eine gute Stimme heute noch, wenn sich in jeder weiteren Show zeigt, dass das gesangliche Talent mittlerweile eigentlich zur Nebensache geworden ist und es viel wichtiger erscheint, eine möglichst tragische Kindheit hinter sich zu haben und zu vermitteln, dass ein Sieg bei «DSDS» tatsächlich die allerletzte Chance im noch jungen Leben der Kandidaten ist? Hierzu kommt auch, dass es die weiblichen Kandidaten von Staffel zu Staffel schwerer haben, sich gegen die für das „BRAVO“-Cover prädestinierten Sunnyboys durchzusetzen. Was zählt, sind die kreischenden Fans im Studio und zuhause, die für genügend Anrufe sorgen. Und hier punkten ganz klar die Jungen, die auf eine riesige weibliche Fanbase bauen können, während sich die Mädels zum Großteil nur auf ihre Stimme verlassen müssen. Auf den Punkt brachte es in diesem Jahr Kandidatin Fabienne Rothe, die kurz vor der viertletzten Mottoshow einen Abschiedsbrief an ihre Fans schrieb, da sie sich dieses Fanbase-Prinzips offenbar bewusst und somit sicher war, im Viertelfinale gegen ihre männlichen Mitstreiter nichts mehr ausrichten zu können. Sie sollte Recht behalten.

Nun hat RTL einen neuen Superstar gefunden. Luca Hänni, Maurerlehrling aus der Schweiz mit Saubermannimage, stehen nun eigentlich alle Türen offen. Es ist jedoch fraglich, ob der Status als „neuer, deutscher Superstar“ ausreicht, um im Musikbusiness dauerhaft Fuß zu fassen. Denn wenn die Zielgruppe erstmal dem „BRAVO“-Alter entwachsen ist, muss auch ein Luca beweisen, dass er es gesanglich drauf hat, um auf Dauer genügend Platten zu verkaufen. Und dies gelang in der Vergangenheit kaum einem «DSDS»-Sieger.

In der Jubiläumsstaffel, die im Frühjahr 2013 starten wird, wird RTL laut BILD-Angaben noch einmal sein Quotenglück versuchen. In diesem Fall damit, Gewohntes über den Haufen zu werfen. Während sich Marco Schreyl und Dieter Bohlens Jury-Kollegen nun nach einem neuen Job umsehen müssen, plant man eine neue Altersbegrenzung ab 18 Jahren, möchte wieder auf eine Live-Band zurückgreifen und zudem auf ein ausgeglichenes Verhältnis von männlichen und weiblichen Kandidaten achten. Ob man damit zurück zu den Wurzeln von Showkonzept und Quotenerfolg gelangt, ist fraglich. Aber vielleicht besinnen sich die Macher innerhalb des nächsten Jahres wieder darauf, als was «DSDS» einmal angefangen hat: als Talentshow für hoffnungsvolle Nachwuchssänger.

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