Hingeschaut

Burning Down the House - Die letzten Tage der «Harald Schmidt Show»

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Harald Schmidt ist seit der Bekanntgabe der Absetzung seiner Show in Höchstform. Ein Kommentar von Julian Miller.

„Immer, wenn Harald sich richtig anstrengt, wirkt er lustlos. Wenn er sich keine Mühe gibt, sagen alle: 'Boah, ist der geil drauf!' Dann ist er locker", sagte Manuel Andrack Ende letzten Jahres in einem Interview mit der „Münsterländischen Volkszeitung“. Dieser Satz des langjährigen Weggefährten erklärt einiges. Unter anderem wohl auch, wieso Schmidts erste Sendung nach Bekanntgabe der Absetzung am 28. März vielleicht die beste der neuen Sat.1-Zeit war.

Bereits am Tag zuvor hatte er sich mit dem kotzenden Sat.1-el-Männchen eine derbe Spitze gegen den eigenen Arbeitgeber erlaubt. Und nun, nachdem der Rauswurf auch der Öffentlichkeit kommuniziert worden war, fielen zumindest bei Schmidt endgültig alle Hemmungen. Die Sendung vom Mittwoch der vergangenen Woche wird man wohl in einigen Jahren als eine der „legendären“ Ausgaben der «Harald Schmidt Show» bezeichnen, glänzte der Moderator hier schließlich mit einer herrlich bösen Abrechnung, die sich nicht nur gegen Sat.1 sondern gegen so ziemlich die ganze Fernsehbranche mit all ihren Schrullen und Perversitäten richtete, natürlich mit seinem typischen Sarkasmus. So erklärte er, dass man Thomas Gottschalk, der 25 Jahre die erfolgreichste Samstagabendshow Europas moderiert hatte, bei der ARD offenbar zu «Frag doch mal die Maus» abschieben wollte, sah anschließend mit traurigem Blick in die Kamera und verkündete: „Ich hätt's gemacht.“ Die Lacher waren ihm sicher.

Dem zu Gute kommt natürlich, dass Harald Schmidt in der Öffentlichkeit eigentlich nur noch als Kunstfigur existiert. Egal welches Thema er in seiner Show durchkaut, von Politik über Literatur bis hin zu seinem eigenen Job, er bezieht nie Stellung, wiegelt alles mit beißender Ironie ab. Was er wirklich von der Absetzung seiner Show hält, bleibt bis auf ein kurzes „Schade“ sein Geheimnis. Ebenso bleibt unbekannt, wie es mit ihm nun weitergehen wird. Zwar machte er wiederholt Anspielungen auf Kabel Eins und beteuerte seine Aversion gegen ZDFneo, doch das alles will bei Schmidt absolut nichts heißen.

Dadurch, dass er gebetsmühlenartig beteuert, dass „diese Show am 3. Mai zum letzten Mal in Sat.1“ läuft, heizt er die Gerüchteküche natürlich kräftig an, und es ist wohl auch nicht unwahrscheinlich, dass in der Tat gerade Gespräche mit einigen Sendern im Gange sind. Doch unter Dach und Fach dürfte wohl noch nichts sein. Nicht genug zumindest, um eine solche Aussage von Schmidt als Fakt bezeichnen zu können. Doch in den letzten Wochen und Monaten hat man ihm angemerkt, dass er für das Fernsehen brennt und, wie er vor etwa einem Jahr in einem Quotenmeter.de-Interview gesagt hat, „definitiv geboren ist, um Late-Night zu machen“. Man könnte sich hier an die Worte von Conan O'Brien erinnern, mit denen er 2010 seine letzte Ausgabe der «Tonight Show» schloss, nachdem sie ihm von Jay Leno wieder weggenommen worden war: „I've had more good fortune than anyone I know and if our next gig is doing a show in a 7-11 parking lot, we'll find a way to make it fun.“ Gut möglich, dass Schmidt ähnlich denkt und wir ihn demnächst auf einem Supermarktparkplatz wiedersehen. Auch wenn ihm regelmäßig Geldgeilheit vorgeworfen wird. Es geht nicht (mehr) darum, auf welchem Sender er um welche Uhrzeit Fernsehen macht – es geht darum, dass er überhaupt Fernsehen macht. Denn er ist und bleibt in der deutschen Fernsehlandschaft einmalig, sein Stil unnachahmbar, seine Stimme die Stimme der Intellektuellen, die vom Mainstreamblödsinn tierisch genervt sind.

Die zweite Woche in der nun eingeläuteten Endphase verlief etwas zahmer als die Ausgaben in der letzten Märzwoche, was das Niedermetzeln von Sat.1 und dem ganz normalen Wahnsinn im TV-Business anbelangt. Doch auch hier haute Schmidt regelmäßig Spitzen gegen seinen Sender raus. Wenn er vom Stand-Up zum Schreibtisch geht, weißt er seit Neuestem auf sein bald startendes (natürlich fiktives) Ersatzprogramm hin, das nun schon einmal angetestet werden soll. Es folgt ein Schnitt in ein versifftes Ministudio, in dem das Sat.1-Logo von vor zwanzig Jahren an der Wand hängt, vor der die Moderatorin „Louisa/Lydia de Mol“ sitzt und Beiträge ankündigt. Dann: Montagen von „Titten“, „Schwänzen mit Niveau“, neu synchronisierten Zusammenschnitten aus einer amerikanischen Schwarz-Weiß-Serie der 60er Jahre, kopulierenden Häschen. Die unterschwellige, wenn natürlich auch ironisch massiv überspitzte Botschaft: Ohne Schmidt ist Sat.1 das letzte Unterschichtenfernsehen und verliert jegliche Relevanz.

Schon seit ungefähr einem Jahr steigert sich die Qualität von Schmidts Sendungen spürbar. Nach seinem Wechsel zu Sat.1 letzten September war er zumeist in Hochform – und nun, nach Bekanntgabe der Absetzung, da ihm nun die Quoten und die Kabbeleien mit den Sat.1-Executives vollkommen bumsegal sein können, ist er gewissermaßen in Höchstform. Verständlich, schließlich kann man sich die Kompromisslosigkeit, mit der er nun gegen Sat.1 hinwegfegt, nur erlauben, wenn man bereits entlassen ist. Aus seiner ersten Sat.1-Zeit ist schließlich noch die Anekdote bekannt, dass es ein Gespräch zwischen Schmidt und der Senderspitze gab, nachdem er Sat.1 anlässlich der geplanten Fusionierung mit ProSieben als heruntergekommene Braut bezeichnet hatte. Verglichen mit dem derben, dabei aber humoristisch sehr ausgeklügelten Stil, mit dem er seinen Sender nun herunterputzt, war das nichts. Jetzt kann er die Brücke endgültig abreisen und als „der volle Benzinkanister von Sat.1“ die Hütte ein für allemal niederbrennen. Schade, dass die tägliche Abrissparty schon am 3. Mai ihr Ende finden wird. Auch wenn man bei Sat.1 wohl eher erleichtert sein wird. Denn so anarchistisch wie jetzt sieht man selbst Harald Schmidt nicht alle Tage.

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