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Das Verlangen nach „Wort“ im Radio

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Sind hochwertige Informationen im Radio noch gefragt? Oder zählen inzwischen eher sechs Titel am Stück? In welche Richtung der Trend geht, versucht der Berliner Radioberater Jürgen Kauer einzuschätzen.

Das deutsche (Privat)-Radio steht vor einer spannenden Zeit: Vorbei sind die Jahre, in denen die Sender mit 9Live-ähnlichen Gewinnspielen wie „Das geheime Geräusch“ neben der klassischen Werbung nicht nur Hunderttausende verdienten, sondern auch große Aufmerksamkeit bekamen. Nach Abebben dieser Welle steuerten einige Privatradios eine Zeit lang etwas orientierungslos umher – hatten keinen genauen Auftrag mehr. Wirklich nützliche und informative Wortstrecken waren längst verbannt worden und so kam es nicht selten vor, dass sich manche Sender auf „mehr Musik pro Stunde“ konzentrierten. Genau das brachte jüngst aber keinen Erfolg mehr.

Antenne Bayern war lange Zeit Deutschlands erfolgreichstes Radioprogramm – und ging genau den beschriebenen Weg. Bei den letzten Media-Analysen folgte ein massiver Einbruch der Zuschauerzahlen. In Ismaning reagierte man schnell – und setzt wieder vermehrt auf Informationen, teilweise übrigens auch mit sehr lokalen Themen. Ist Antenne Bayern somit erneut ein Vorreiter? Folgt nun auch abseits des öffentlich-rechtlichen Radios wieder eine Welle von (gut gemachten) Wortbeiträgen bei großen privaten AC-Wellen (Adult Contemporary, Musikformat bei Radiosendern, Anm. d. Red.) ? Verallgemeinern will Jürgen Kauer, angesehener Radioberater aus Berlin, nichts, wie er im Gespräch mit Quotenmeter.de sagte. Denn: „Alle großen Sender planen ihre Programme auf Grundlage von strategischenStudien. Dort werden die Wünsche der Hörer abgefragt. Und da liegt es doch nahe, wenn sich die Programmverantwortlichen (inkl. Berater) an die Ergebnisse ihrer Studien halten“, sagt Kauer. Dass Wort im Radio aber immer eine sehr große Rolle spielt, ist sich Kauer sicher – auch wenn das in Vergangenheit nicht immer so aussah.

Die Frage sei ja nur, ob der Inhalt so aufbereitet werde, dass ihn der Hörer auch akzeptiere. "Was nützen alle 15 Minuten Informationen aus der Region oder Ähnliches - vielleicht gar Wasserstandsmeldungen von Rhein, Elbe und Spree - wenn sie langweilig und nicht hörernah aufbereitet sind“, fragt der Radioprofi. Im schlimmsten Fall gingen so sogar unredigierte Presse-Meldungen von Behörden oder Firmen über den Sender. Sollte eine Redaktion nicht die Menpower haben, um dies zu verhindern, dann sei es aus Kauers Sicht besser, Musik zu spielen. „»Mehr Wort« oder »mehr Information« ist nicht automatisch eine Programmverbesserung. Genauso wenig wie an fünf Tagen hintereinander die tägliche Talkshow im abendlichen Fernsehprogramm des Ersten“, zieht Kauer einen aktuellen Vergleich.

Im Gegenzug würde aber die Länge eines Wortbeitrags keine Rolle spielen, ist dieser so aufbereitet, dass er einen praktischen Gebrauchswert für den Hörer habe. „Nur ein richtiges Thema hörernah in einer Sendestunde präsentiert, bringt dem Hörer mehr, als eine zwanghafte Umsetzung von »mehr Wort« im Programm –sprich alle 15 Minuten ein Beitrag pro Stunde. Insofern sind die Sender aufgefordert, für gut ausgebildete Redakteure und Moderatoren zu sorgen, die diesem Anspruch in der Themenfndung und -umsetzung gerecht werden.“ Strittig ist aber nach wie vor, wie groß das Wunsch der Deutschen nach „mehr Wort“ wirklich ist. Kauers These: „Wenn es in Deutschland wirklich ein profundes Verlangen nach Wort gibt, dann müsste es auch ein 24-stündiges Formatradio tragen. Aber wo sind die privaten Info- oder Newssender mit einem 24-stündigen Programm? Bisher sind alle Projekte in diese Richtung gescheitert. Ich kenne auch keine einzige Untersuchung, nach der eine für das Privatradio interessante Reichweite eines solchen Programms erkennbar ist.“

Kauer stellt eindeutig klar, dass 30-minütige Musikstrecken im Programm – auch die gibt es bei großen Sendern wie Antenne Bayern – nicht grundsätzlich zu verurteilen seien. „Ein gelungener Wortbreak nach einer 30-Minuten- Musikstrecke kann aufregender sein und mehr Aufmerksamkeit beim Hörer erreichen, als alle 15 Minuten beliebige Regionalinfos.“ Nicht die Menge sei es letztlich, die es ausmache. So würde Kauer lieber von „besserem Wort“ als von „mehr Wort“ oder „mehr Information“ sprechen.

Solange strategische Studien beweisen, dass x Hits am Stück von der Hörerschaft gewünscht werden, würde sich der angebliche Trend nach mehr Wort auch mit 30 Minuten Musik am Stück vertragen. Sicherlich – x-Hits am Stück sind auch eine Folge des iPods, der es Autofahrern und Arbeitern ermöglicht genau die Musik zu hören, die sie mögen – und ohne der vielleicht manchmal auch störenden „Laberei“. Kauer sieht hingegen keinerlei Bedrohung für das Medium Radio vom iPod ausgehen. „Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass ein iPod das Radio nicht ersetzen kann und wird. Wer seine Musik über iPod hört, hatte früher ein Walkman, hörte CDs oder legte Schallplatten auf. Daher ist die für den Musikkonsum notwendige Hardware nicht das grundsätzliche Problem. Das Radio ist für alle unverzichtbar, die eine Ansprache während des Musikkonsums wünschen - die wissen wollen, ob die Welt noch steht. Wer will morgens nicht wissen, ob er einen Regenschirm mitnehmen muss oder nicht?“

Vielmehr, so Kauer, erhalte der iPod seine Bedeutung durch die immer weiter zunehmende Segmentierung der musikalischen Vorlieben des Publikums. Diese Vorlieben lassen sich mit dem iPod problemlos befriedigen. Letztlich biete der iPod Zugriff zu „mehr Musik“. Um darauf zu reagieren, bedarf es im Radio mehrerer neuer Formate. „Nur stellt sich auch hier die Frage, ob sich diese Formate ökonomisch rechnen. Eine wohl eher rhetorische Frage. Und mal davon abgesehen, dass es freie terrestrische Frequenzen geben müsste. Eine Reaktion der Sender sind ja die vielen Webstream-Angebote, die sich kleinerer Facetten der musikalischen Vielfalt annehmen. Dort werden Musikstile angeboten, die in deren normalen UKW-Programmen nicht untergebracht werden können. Diese Angebote können inhaltlich sicher noch verbessert werden.“ Allerdings sei ihr auch schnell das Ende einer sinnvollen ökonomischen Finanzierung erreicht.

Und zwischen all den Informationen und „mehr Musik“ scheinen manchmal die Moderatoren fast ein wenig kurz zu kommen. Als „bester Moderator“ oder „beste Moderatorin“ ist so zum Beispiel Antenne Bayerns Wetterfrau Indra nominiert – wird wird grotesker Weise in einem Atemzug mit Matthias Matuschik (Foto) von Bayern 3 genannt, der seit Jahren eine herausragende Abendshow präsentiert. „Personalitys sind für ein Radio meiner Meinung nach unverzichtbar. Sie sind ein Markenzeichen und stehen im Normalfall für die Verlässlichkeit eines Programms. Es erfordert aber einen langfristigen Aufbau des Moderators. Ob sie aber kurzfristig etwas für die Quote bringen, ist doch eher zweifelhaft“, gibt Radioberater Kauer zu bedenken. So seien verschiedene Personalitys im Laufe ihrer Karriere zu anderen Stationen gewechselt – die Quoten der abgebenden Station seien aber nicht abrutscht. Und beim neuen Sender seien sie nicht signifikant angestiegen.

Woran kann das liegen? „Vielleicht am stimmigen bzw. nicht stimmigen Gesamtpaket des Senders? Oder vielleicht daran, dass ein solcher Moderator polarisiert? Es gibt also Hörer, die seine Art mögen, andere wiederum nicht. So sorgt ein solcher Moderator zwar für Aufmerksamkeit, man spricht über ihn, er erweckt sogar Neugier und man hört mal rein. Und spätestens jetzt muss sich der Hörer entscheiden, ob ihm diese Personality des Moderators liegt. Und wehe, er nervt“, grinst Kauer. In Bayern versucht der private Sender Antenne Bayern seit einigen Wochen den aus der Versenkung geholten Langemann (einst Münchner Morning Man) Matuschik entgegen zu setzen. „Es gibt also keine Erfolgsgarantie, wenn sich ein Sender einen Moderator mit Personality einkauft, um kurzfristig die Quote nach oben zu treiben. Oder um es mal an Namen festzumachen: Ein Arno Müller würde in Hamburg vermutlich Probleme haben, ebenso ein John Ment im Berliner Markt. Dabei sind beide in ihren jeweiligen Märkten erfolgreiche und persönlichkeitsstarke Moderatoren.“ Der Erfolge liege in der langfristigen Tätigkeit und im Gesamtpaket begründet.

Bleibt die Frage, wohin sich der deutsche Radio-Markt genau bewegen wird. Man kann sie heute wohl nicht beantworten, da kein Trend a la 9Live-Anrufspielchen zu sehen ist. Und so werden die Stationen wohl weiterhin einen Mix aus mehr oder weniger Hits am Stück und mehr oder weniger gut aufbereiteten Informationen senden. Mahlzeit!

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