360 Grad

Casting mit Würde

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Kürzlich ging bei NBC die erste Staffel von «The Voice» zu Ende. Macht die US-Version der Sendung Hoffnung für den deutschen Ableger?

Die Gefahr, dass die Vorschusslorbeeren und Hoffnungen für «The Voice of Germany» zu groß ausfallen, besteht unbestreitbar. Doch wie die amerikanische Version des Franchises in den vergangenen Monaten das Casting-Establishment aufmischte, muss einen optimistisch stimmen.

Zumindest auf der anderen Seite des Atlantiks hält man sich an das, was man im Vorfeld versprochen hat: Es soll um die Stimme gehen. PR-Gefuchtel im Sinne einer Ausschlachtung des Privatlebens der Teilnehmer hat nicht stattzufinden. Ziel der Sendung ist es, einen neuen Künstler zu finden, der dieser Bezeichnung würdig ist und langfristig erfolgreich im Geschäft bleiben soll. Sieht man sich das Resultat nun an, so stellt man fest, dass diesen Parametern durchgehend Rechnung getragen wurde.

Es sind vor allem die simplen Dinge dieses Konzepts, die es von ähnlichen Formaten des Genres, bei denen wirklich alles auf Quotenjagd und Plattenabsätze aus ist, unterscheiden: Besonders wichtig scheint dabei, dass es hier anders als bei «American Idol» keine zur Unfehlbarkeit hochstilisierte Jury gibt, deren Urteile das Gewicht von Gold haben sollen. Statt der „Judges“ gibt es „Coaches“ (in den USA Christina Aguilera, Cee Lo Green, Adam Levine und Blake Shelton), die untereinander einen Wettstreit fabrizieren: Wer findet die „Voice“ Amerikas?

Für dieses Ziel holen sie sich die vielversprechendsten Sänger und Sängerinnen ins Boot, die sie bei den „Blind Auditions“ nur hören, aber nicht sehen können. Will mehr als einer der Mentoren einen der Kandidaten für sein Team rekrutieren, so darf letzterer entscheiden, welcher der Coaches am ehesten dazu im Stande ist, ihm auf seinem Weg zum Sieg unter die Arme zu greifen, und wessen Team er folglich beitreten möchte. Hier wird also nicht von oben herab geurteilt und abgekanzelt, sondern die Teilnehmer und ihre Wünsche und künstlerischen Ambitionen werden durchgehend ernst genommen. Bei «Deutschland sucht den Superstar» kann man davon nur träumen. Und mit einem Vergleich zu Detlef D! Soost, der bei seinem Umgang mit den Kandidaten gestandene Drill Sergeants der U.S. Army vor Neid erblassen lassen könnte, brauch man gar nicht erst anzufangen.

Als Folge des Grundkonzepts lässt sich dann anführen, dass «The Voice» eine deutlich andere Kandidatenklientel ansprach als bisherige Formate. Dia Frampton etwa, die Zweitplatzierte des Contests, antwortete auf die Frage, weswegen sie sich nie bei «American Idol» beworben hatte, folgendermaßen: „Wieso hätte ich sollen? Ich bin Songschreiberin, keine Karaokesängerin. Ich bin Künstlerin, keine Schauspielerin. […] Mir war der ,organische´ Weg immer lieber. Ich wollte nicht ,gemacht´ werden.“ Das sagt viel.

Zugegeben, aus «American Idol» gingen durchaus erfolgreiche Karrieren hervor; etwa die von Kelly Clarkson, Chris Daughtery oder Jennifer Hudson. Zumindest einigen von ihnen kann man auch großes gesangliches Talent keineswegs absprechen. Doch sie wurden allesamt erst nach der Show zu wirklich erfolgreichen Musikern (manche vielleicht sogar zu Künstlern), als sie ihren Werdegang wenigstens etwas selbstbestimmter gestalten konnten als in dem engen Korsett, in dem sie sich in der Sendung befunden hatten. Für einen Simon Cowell ist Musik einfach etwas, das man verkaufen kann. Diese Einstellung führt dann zwar auch zum kommerziellen Erfolg, so lange man es wie in der Wurstproduktion handhabt: Man sollte es tunlichst vermeiden, die potentiellen Käufer wissen zu lassen, wie sie gemacht wird. Denn dann wird es oft unappetitlich.

«The Voice» hat jedoch eine andere Zielsetzung – und geht somit auch einen ganz anderen Weg. Denn hier bekommt niemand einen Song aufoktroyiert, den er nicht singen will. Massenkompatibilität ist irrelevant.

Auffallend ist es auch, dass eine beträchtliche Anzahl der Teilnehmer an dieser neuen Castingshow bereits eine beachtliche Laufbahn im Musikbusiness hinter sich hat. So war Dia Frampton einige Jahre vor Beginn der Show bereits bei einem Major Label unter Vertrag gewesen, während Cherie Oakley schon als Background-Sängerinnen für Carrie Underwood gearbeitet und einen Nummer-Eins-Hit für die Country-Sängerin Reba McEntire geschrieben hatte. Leute also, die wissen was sie tun, und die nicht erst in irgendeiner Weise von Simon Cowell oder Randy Jackson „geformt“ werden müssen – geschweige denn von jemandem wie Dieter Bohlen.

Auch wenn «Deutschland sucht den Superstar» für viele Kandidaten wesentlich entwürdigender ablief als das amerikanische Pendant «American Idol», das nie auch nur ansatzweise auf das „Freddy, der Fickfrosch“-Niveau absumpfte, so lag in den „Auditions“-Ausgaben zu Beginn jeder Staffel auch in den USA stets ein Hauptaugenmerk auf dem Kuriositätenkabinett, das sich bietet, wenn völlig untalentierte Möchtegernkünstler mit maßloser Selbstüberschätzung vor eine Jury treten – auch wenn sich Simon Cowell nie die Respektlosigkeiten erlaubte, die sich ein Dieter Bohlen herausnimmt. Auf dieses Element verzichtet «The Voice» jedoch ganz bewusst. Das unterstreicht den Gedanken, dass es den Machern mit der Suche nach echten Künstlern ernst ist.

Bleibt abzuwarten, ob man dies in der deutschen Version genauso umsetzen wird. Diese Hoffnung darf man nach einem Blick in die USA jedoch schöpfen – auch wenn sich in den Vereinigten Staaten bisher show-übergreifend die besseren Musiker finden ließen. Doch «The Voice of Germany» hat das Potential, jemanden dauerhaft - und auch gerechtfertigt - im Musikbusiness zu etablieren, der wirklich talentiert ist.

Schließlich ist es ein deutlicher Unterschied, ob das Resultat einer Castingshow nun etwa so aussieht:



Oder so:



Oder eben so:



Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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