Hingeschaut

«Mietprellern auf der Spur»: Yo, wir schaffen das!

von
Vera hilft Vermietern, die Mietnomanden aufgesessen sind – und produziert dabei selbst einen großen Haufen geistigen Müll.

Vera Int-Veen war schon immer so etwas wie die gute Seele des Privatfernsehens. Egal, ob sie bei «Vera am Mittag» Pärchen, Familien oder Freunde wieder auf den Weg der Tugend führte, bei «Glück-Wunsch» und «Helfer mit Herz» (Wohn-)Träume wahr machte, verzweifelten Müttern Schwiegertöchter zurechtbog oder «Das große Abnehmen» begleitete – die lebensfrohe Moderatorin ist seit mehr als einem Jahrzehnt auf der Seite verlorener Seelen anzutreffen. Und da bei RTL gerade wieder einmal die große Abrechnungslawine wahlweise im Namen der Gerechtigkeit, des guten Geschmacks oder der Lebensqualität angerollt ist, durfte Int-Veen natürlich nicht fehlen. Nahe Sozialstaat-Kritik, Rechtsirrtümern, verwahrlosten Kindern oder Restaurant- und Schuldnerserien erfanden die RTL-Produzenten flugs eine neue Reality-Doku mit dem reißerischen Titel «Mietprellern auf der Spur». Es ist ein kleines Wunder, dass dieses in stundenlangen «Spiegel TV»-Reportagen und «extra»-Beiträgen mal mehr, mal weniger qualitativ aufbereitete Thema noch nicht den Einzug in ein eigenes Format gefunden hat, sondern sich immer am Rande des Zuschauerinteresses bewegte.

Doch jetzt ist es endlich soweit, denn beim erfolgreichsten Privatsender des deutschen Fernsehens darf Int-Veen zur besten Sendezeit Mietnomaden jagen. Was sich spannend anhört, verkommt bei RTL aber mal wieder zu einer lebensfremden Seifenoper, die den Zuschauer an den Rande des guten Geschmacks und des Wahnsinns führt. Denn der erste Fall, im dem Vera am Abend «Mietprellern auf der Spur» ist, stellt sich als ein besonders tragischer heraus: Das Ehepaar Voigt hat sich in Bremerhaven eine überteuerte Altbauwohnung in einem sozialen Brennpunkt andrehen lassen, diese an den Falschen vermietet und sitzt nun nicht nur auf einem Haufen Schulden, sondern auch vor einer vollkommen verwahrlosten und sanierungsbedürftigen Wohnung, in der neben einem Berg von Müll auch ein verwester Hund sein trauriges Ende gefunden hat. Was am Anfang noch voller Ekel begutachtet wird, darf der Zuschauer sich im Laufe der Folge noch gefühlte zwanzig Mal als Einblendung ansehen.

Tragisch, doch für RTL kein Grund zur Sorge. Schnell wird ein Privatdetektiv beauftragt, den Mietpreller zu finden. Nachdem der findige Schnüffler an der Bong Marihuanareste entdeckt haben will, findet er bei Facebook die Schwester des säumigen Mieters, die samt Mutter zufällig im Kiez vor einem Café anzutreffen ist. Im besten «Lenßen & Partner»-Stil mit Straßennamen untertitelt und mit Horatio Caine-Sonnenbrille auf der Nase kann Int-Veen der Mutter sogleich ein paar intime Details von ihrem Sprössling entlocken, der dann – welch ein Zufall – auch noch um die Ecke gebogen kommt. Hatte sich der Zuschauer zuvor noch über die fehlende Verfremdung der Gesichter gewundert, schleicht sich in den folgenden Szenen schnell die Vermutung ein, dass sich RTL ein weiteres Mal nicht gescheut hat, Schicksal nach dem Drehbuch zu inszenieren: Der geläuterte Mietpreller sieht sein Versäumnis ein, bestreitet aber seine Schuld und hilft in den Folgetagen reumütig bei der Renovierung der Wohnung, der ein Gutachter zuvor noch eine Kernsanierung empfohlen hatte.

Auch die Schulden der Voigts sind auf wundersame Weise plötzlich kein Problem mehr: Wollte Frau Voigt am Anfang noch ihre Rentenversicherung auflösen, scheint die neue Wohnung von Luft und Liebe sowie einer großzügigen Hausbank finanziert worden zu sein – und natürlich durch die Hilfe des einstigen Mieters, der sich gegen Ende der ersten Folge auch noch zum fröhlichen Stelldichein mit dem Vermieterehepaar trifft. Ein Hohn für alle Hausbesitzer und Wohnungseigentümer, die bereits selbst einmal auf einen Mietpreller hereingefallen sind, denn die Realität sieht anders aus. Warum RTL also erneut statt einer ernstzunehmenden Reality-Doku eine Schmierenkomödie aus einem ernsten Thema bastelt, ist rätselhaft. Platt und ohne Niveau ist «Mietprellern auf der Spur» nur ein weiteres Beispiel für eine einfallslose Unterhaltungsmaschinerie, die das Fernsehen mit Märchen vermüllt. Nur Vera Int-Veen, der kann man irgendwie nicht böse sein.

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