Die Kritiker

«2030 - Aufstand der Jungen»

von

Story


Berlin im Jahr 2030: Ein junger Mann schleppt sich mit letzter Kraft über den Gendarmenmarkt und bricht schließlich schwer verletzt zusammen. Eine Passantin ruft einen Krankenwagen und der Verletzte wird in einem Krankenhaus notoperiert - die Hilfe kam allerdings zu spät. Schon bald stellt sich heraus, dass der Tote Tim Burdenskis war, ein Millenniumskind: Sein Leben - und das neun weiterer Kinder - wird seit der Geburt am 1. Januar 2000 vom Fernsehen in einer Langzeitdokumentation begleitet. Nach Tims Tod teilt die Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit mit, dass er beim Versuch, in den nationalen Datenserver einzudringen, ertappt und auf der Flucht erschossen wurde. Doch nach und nach kommen Zweifel an der offiziellen Version auf: Sophie Schäfer, eine gute Bekannte von Tim und ebenfalls Millenniumskind, behauptet, dass Tim gar nicht tot sei und sie einen Anruf von ihm erhalten habe.

Die junge Journalistin Lena Bach, die Sophie aufsucht, zweifelt zuerst, doch begibt sich auf Spurensuche, als sie erfährt, dass Tims Leichnam dem Krematorium ohne Obduktionsbericht übergeben wurde. Über die Auswertung der Langzeitdokumentation versucht sich Lena ein Bild von Tims Leben zu machen und stößt dabei auf immer mehr Ungereimtheiten. Zusammen mit Sophie findet sie heraus, dass Tim, entgegen der Darstellung im Fernsehen, offenbar in bedrückender Armut lebte und hoch verschuldet war. Sophie, eine erfolgreiche junge Unternehmerin, ist schockiert. Sie und Tim waren als Jugendliche ein Liebespaar. Während Sophie sorglos im Ausland studierte, konnte sich Tim ein Studium nicht leisten. Als Grafikdesigner hatte er zunächst eine Festanstellung, wurde dann aber, wie so viele andere auch, betriebsbedingt gekündigt und hielt sich mit zahlreichen Nebenjobs über Wasser. Offenbar schämte er sich und vertuschte seine Mittellosigkeit. Als schließlich Tims geliebte Oma zum Pflegefall wurde und die Familie einen großen Teil der Pflegekosten tragen musste, schnappte die Schuldenfalle endgültig zu.

Doch wie konnte es soweit kommen? Als Lena und Sophie immer mehr Hinweise erhalten, dass Tim möglicherweise doch noch am Leben sein könnte, beginnt eine verzweifelte Suche, die die beiden Frauen in das Ghetto Höllenberg führt, dem früheren Vorzeigebezirk Schöneberg. Hier haben sich die Verlierer der Gesellschaft gesammelt - Menschen, die die immer schwerer wiegende Last des sozialen Wandels nicht mehr schultern können. Als gewalttätige Unruhen ausbrechen, wird das Schicksal Tim Burdenskis in seinem ganzen politischen Ausmaß sichtbar. Er wurde, wie so viele Menschen seiner Generation, Opfer eines Staates, der keine ausreichende Vorsorge getroffen hat und jetzt, im Jahr 2030, durch die hohen Kosten für Renten-, Alters- und Gesundheitsversorgung den Jungen die Luft zum Atmen nimmt.

Darsteller


Barnaby Metschurat («KDD - Kriminaldauerdienst») ist Tim Burdenskis
Bettina Zimmermann («Die Luftbrücke») ist Lena Bach
Lavinia Wilson («Schule») ist Sophie Schäfer

Kritik


Schon im Jahre 2007 wurde dem Fernsehpublikum in dem Dreiteiler «2030 - Aufstand der Alten» eines der Deutschen liebstes Thema, vielleicht gar die Dystopie schlechthin, auf die Nase gebunden: Das Land der Dichter und Denker versinkt in zwei Jahrzehnten ob des demografischen Wandels in einem moralischen Morast, weil soziale Sicherungen versagen und die Bevölkerung sich in bürgerkriegsähnlichen Krawallen übt. Auch im Jahr 2011 darf sich der mündige Bundesbürger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über seine vermeintlich schreckliche Zukunft in Deutschland informieren lassen - einem Land, das vom ZDF in der fiktiven Dokumentation «2030 - Aufstand der Jungen» in derart dunkelschwarzen Tönen gezeichnet wird, dass selbst Frank Millers Antiheld Marv die Flucht ergreifen würde.

Die Ausgangslage ist ähnlich wie 2007, allerdings scheinen die Alten inzwischen resigniert ihrem Schicksal zu frönen, während die Jungen agil ihrem Unglück trotzen - zumindest wenn man dem Filmtitel Glauben schenken mag. In Wahrheit ist der «Aufstand der Jungen» viel banaler, denn außer des nur scheinbar toten Soapstars Tim - tragische Verschwendung des überaus großartigen Charakterdarstellers Barnaby Metschurat - und seiner guten Bekannten Sophie - durchaus überzeugend verkörpert von Lavinia Wilson - scheinen die Zukunftsdeutschen ihr Verderben klaglos zu akzeptieren. Doch alsbald naht Rettung in Form der unglückserprobten Bettina Zimmermann, die nicht nur die Mächte der Finsternis, sondern auch Luftbrücken und Sturmfluten überstanden hat - als investigative Journalistin Lena Bach, bebrillt und mit zum strengen Pferdeschwanz gebundenem Haar, schießt Zimmermann nun nicht nur jedes Klischee und die frappierende Ähnlichkeit zu Katja Saalfrank ab, sondern macht sich auch zum zweiten Mal daran, Deutschland zu retten. Den Stein ins Rollen bringt dabei Sophie, denn sie hat im Gefühl, dass Tim noch lebt.

Fortan fahren Zimmermann und Wilson in einem roten Kleinwagen mit futuristischen Monsterbaggerreifen und Flügeltüren durch Berlin und Brandenburg, um Tims letzte Stunden zu rekonstruieren, Angehörige zu befragen, Experten zu nerven und von öffentlichen Autoritäten abgewiesen zu werden. Das alles wäre durchaus unterhaltsam, wenn es nicht als fiktive Dokumentation produziert worden wäre. Fast im Minutentakt prophezeit ein Off-Sprecher Katastrophen, wird die Kamera durch eine versteckte Kamera ersetzt, um in No-Go-Areas recht investigativ Würstchenverkäufer zu befragen, werden Untertitel mit Namen und Berufen eingeblendet, gibt ein Sprecher Auskunft. Das nervt, weil der Handlungsfluss unnötig eingeschränkt wird; das ist gefährlich, weil Zuschauer den Spielfilm für eine echte Dokumentation halten könnten. Und auch wenn das ZDF angibt, alle im Film dargestellten Zukunftsprognosen beruhten auf aktuellen Forschungserkenntnissen: Wirklich realistisch ist das Bild nicht, das «2030 - Aufstand der Jungen» zeichnet.

Das mag zum einen daran liegen, dass neben der Wirtschaftskrise, Zeit- und Kurzarbeit, Altersarmut, dem Zusammenbruch der Mittelschicht, einer damit verbundenen radikalen Zunahme der sozialen Gefälle, fehlenden öffentlichen Geldern, der Vergreisung Deutschlands und der Rententhematik nicht nur das gesamte Negativum des demografischen Wandels abgedeckt wird, sondern auch noch aktuelle Diskussionen um Datenschutz und den freien Zugang zum Internet in die Handlung spielen. Kaum eine Thematik kann ob der Fülle an bedrohlichen Szenarien ausführlich behandelt werden, bei keiner Thematik erschließt sich dem Zuschauer, ob ein fiktives Angstszenario aufgebaut werden soll oder ein demokratisches Deutschland im Jahre 2030 wirklich keine sozialen Auffangnetze mehr bietet. Dazu kommen schwere logische Fehler - kein Staatsanwalt verweigert einem Journalisten erst die Auskunft, lässt ihn fünf Minuten später samt Begleitung Beweismaterial sichten und ist drei Minuten später nicht mehr für profane Fragen zu sprechen - und der fade Beigeschmack, dass einige Horrorszenarien nur aufgestellt wurden, um der Handlung nicht im Wege zu stehen.

Was bleibt, ist ein düsteres Zukunftsbild, das ein Angstszenario statt Informationen verbreitet. Hätte das ZDF «2030 - Aufstand der Jungen» als rein fiktiven Spielfilm programmiert, wäre gute Unterhaltung gewiss - als fiktive Dokumentation ist man hingegen auf dem besten Weg, Panik zu schüren. Schade, denn sowohl die schauspielerische Leistung als auch die aufwendige wie schöne Produktion hätten ohne die an Scripted Reality erinnernden Dokumentationselemente und mit ein wenig Arbeit am Drehbuch einen durchaus guten Fernsehfilm ergeben.

Das ZDF zeigt «2030 - Aufstand der Jungen» am Dienstag, den 11. Januar 2011, um 20:15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/46951
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