Popcorn & Rollenwechsel

Der digitale Bürger

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Die «Tron Night» bot Einblick in ein berauschendes Sci-Fi-Spektakel. Stylisch, zeitgemäß – und intelligent?

Ein sportlich gebauter, junger Mann findet sich inmitten eines kargen, dunkelgraublauen Raumes wieder. Aus in den Wänden eingelassenen Kammern lösen sich vier schlanke, groß gewachsene Frauen in eng anliegender, futuristischer Uniform. Die weiß aufblitzenden Rüstungen der Frauen, die dem wehrlos im Raum fixierten Mann entgegenlaufenden, stechen in den Augen. Trotz gewaltiger Plateausohlen begleitet ihr beklemmender Gleichschritt eine nicht zu verwehrende Eleganz. Der fesche Mann weiß nicht, wie ihm geschieht, den beängstigenden Grazien lässt sich keine wertvolle Information entlocken. Aus ihren Handschuhen blitzen Laser auf. Hilflos und verwirrt blickt er um sich, während ihm die sich wie eine Einheit bewegenden Sirenen die Kleidung vom Leib schneiden. In maschineller Monotonie kleiden sie ihr perplexes Opfer neu ein. Eine schwarze, eng anliegende Kriegeruniform. Eine monotone Computerstimme ertönt. Sie weist den jungen Hünen darauf hin, dass der Diskus, der ihm überreicht wird, automatisch sämtliche Kampffortschritte seines Trägers speichert. Geht diese Scheibe verloren oder wird sie zerstört, hat dies zur Folge, dass auch die Existenz ihres Besitzers ausgelöscht wird. Unwiderruflich. Die einschüchternden Schönheiten kehren in ihre Kammern zurück. Mit der unwirklichen Situation überfordert, wendet sich der weiterhin inmitten des Raums fixierte Mann an eine der Sirenen. Er fragt, was er tun solle. Eine der vier Grazien würdigt ihn einen letzten Blickes und lässt sich zu einer Antwort herab: „Überleben.”

Obiges Szenario ließ sich vergangenen Donnerstag, den 28. Oktober, in 50 Ländern auf insgesamt über 500 Leinwänden bestaunen. Es war Teil der «Tron Night», einer exklusiven, 23-minütigen Vorschau auf die heiß ersehnte Science-Fiction-Megaproduktion «Tron Legacy», die am 27. Januar 2011 in Deutschland startet. Am leichtesten ließe sie sich als Fortsetzung des 1982 erschienenen Kultfilms «Tron» beschreiben, in dem der Spieleprogrammierer Kevin Flynn in das Computersystem seines früheren Arbeitgebers gesogen wird, wo er um sein Leben und die Freiheit der vom gestrengen Master Control Program unterjochten Programme kämpfen muss.
Allerdings täte die Beschreibung, «Tron Legacy» sei „nur” die Fortsetzung von «Tron», dem gezeigten Filmmaterial Unrecht. Soweit man anhand der fünf gezeigten Szenen ein Urteil fällen kann, ist die Handlung von «Tron Legacy» ohne Kenntnisse des Vorgängers verständlich, während sich der zwischen beiden Filmen stattgefundene technische Fortschritt überdeutlich bemerkbar macht. «Tron» war eine technologische Pionierleistung, wirkt direkt neben der komplexen und perfekt durchgestalteten Welt in «Tron Legacy» wie ein hastig am angestaubten Heimcomputer erstelltes Konzeptvideo. Fans des Originals werden von «Tron Legacy» sicherlich nicht enttäuscht sein, da er die wichtigsten Figuren seines Vorgängers beibehält und das grundlegende Konzept des Films mit besseren Mitteln angemessen für das neue Jahrtausend aufbereitet. Trotzdem zeigt «Tron Legacy» eine imaginative Eigenständigkeit – entscheidend, um ein größeres Publikum als der seinerzeit nur mäßig erfolgreiche «Tron Legacy» anzulocken.

Wie «Tron Legacy» «Tron» aller Voraussicht nach zu einem für Kinobesucher nicht obligatorischen Prequel degradieren wird, zeigt sich überraschenderweise aber auch in der Geschichte des Films. Allein schon die aus fünf Sequenzen bestehende Vorschau erreichte mehr emotionale Tiefe, als der komplette Kultklassiker aus dem Jahre 1982. Und sofern «Tron Legacy» in seiner vollen Laufzeit all jene tiefer liegenden Dimensionen selbstbewusst ausspielen kann, die während der exklusiven Vorschau unter der Oberfläche brodelten, dann steht uns womöglich ein Film bevor, der voll den Nerv des Zeitgeists trifft.

Dass «Tron» im Kino daran scheiterte, die immensen Erwartungen seines Verleihs zu erfüllen, lag vornehmlich an den folgenden zwei Punkten: Einerseits war «Tron» als Film über digitale Welten seiner Zeit voraus, die wenigsten Erwachsenen jener Zeit begriffen sein Konzept. Andererseits war die grundlegende Idee hinter «Tron» zu weit reichend und komplex für Drehbuchautor und Regisseur Steven Lisberger, als dass er sie angemessen umsetzen konnte. Jetzt hatte das Konzept beinahe dreißig Jahre Zeit zu reifen, die Gesellschaft wuchs ins digitale Leben hinein und mit den «Lost»-Autoren Adam Horowitz und Edward Kitsis stießen zwei erfahrene Schreiberlinge zum Projekt dazu. Die Idee hinter «Tron» war es, filmisch einzufangen, wie durch Computer ein digitales Double eines jeden Menschen erschaffen wird. Sämtliche Daten über uns finden sich innerhalb des digitalen Netzwerkes wieder, und Steven Lisberger warf mit «Tron» die Frage auf, wer eigentlich die Macht über diesen digitalen Doppelgänger hat. Ein bedeutungsvolles Thema, welches in «Tron» jedoch nicht spürbar zur Geltung kam. Heute ist es relevanter denn je, und «Tron Legacy» scheint sich diesem auf beeindruckende Weise anzunehmen.

Dies führt uns zurück zu der eingangs beschriebenen Sequenz, in der unser durchtrainierter, aber wehrloser Held von vier gefährlichen Schönheiten umzingelt wird. Dieser junge Mann ist Sam Flynn, Sohn des Protagonisten aus «Tron». Auch er wurde in ein Computersystem transferiert. Die Welt innerhalb des Computers expandierte seit 1982 in erschreckenden Ausmaßen und ist durchorganisierter denn je. Kaum verirrt er sich in die digitale Parallelwelt, wird er gefesselt und seiner menschlichen Identität beraubt. Die vier Grazien, die ihrer monotonen Aufgabe ungefragt nachgehen, verpassen ihm die Existenz eines Computerprogramms. Sam besteht nur noch aus Nullen und Einsen und hat sich dem System unterzuordnen. Verliert er seine Daten, dann ist sein Dasein lediglich Vergangenheit. Seine athletische Figur hilft ihm nicht, er kann nur ohnmächtig mit ansehen, wie er digitalisiert und programmiert wird. Er ist von nun an eins mit dem System. Einen Weg zurück scheint es nicht zu geben.

«Tron Legacy» erwies sich während seiner beeindruckenden Vorschau als wahrhaftiger Augenschmaus. Die Effekte sind sensationell und die in diesem Film entworfene, innovative Welt ist in sich glaubhaft. Es ist ein Sinnesrausch zu erwarten, der «Avatar – Aufbruch nach Pandora» alt aussehen lassen könnte. Doch dieser auf Hochglanz polierten, rasanten und erstaunlichen Oberfläche scheint ein äußerst bedeutungsvoller Kern innezuwohnen, die dem Adrenalinjunkie nicht das Vergnügen am Film verderben wird, den geneigten Zuschauer währenddessen erstaunen dürfte.

Mit der «Tron Night» stellte der Vertrieb «Tron Legacy» in eine Reihe mit «Avatar», für den 2009 ein ähnliches Event abgehalten wurde. Ob «Tron Legacy» kommerziell vergleichbare Höhen erreichen wird, das steht noch in den Sternen. Gewiss ist jedoch, dass ich es ihm nach diesen 23 Minuten definitiv gönnen würde.

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