Kirschs Blüten

«Kirschs Blüten»: Fernsehen lügt

von
Keine neuen Erkenntnisse, aber eine erschreckende Praxis bei Reality-Shows, zeigt Jürgen Kirsch auf.

„Du darfst nicht alles glauben, was du im Fernsehen siehst“, wurde mir schon von Kindesbeinen an eingetrichtert. Und doch waren es die Stunts und Spezial-Effekte in Actionfilmen, die geradezu zum Nachahmen animierten. Auch die Slapstick-Komödie, in der sich einer der Darsteller vermeintlich ein Bein bricht, ihm das aber gar nicht weh zu tun scheint, war der Lacher schlechthin. Dann tat es dem Spielkameraden doch mal weh, wenn man das gerade Gesehene entgegen der Warnungen der Erziehungsberechtigten doch mal prompt ausprobieren wollte. Doch mehr als blaue Flecken sind zum Glück nie zu beklagen gewesen. Mitunter konnte das Nachspielen von Fernsehszenen des vergangenen Abends im Sandkasten-Alter sogar ganz witzig sein und einen ganzen Nachmittag füllen. Den Nachmittag, Vorabend und teilweise sogar den Abend der heutigen Jugend füllen die so genannten Reality-Shows beziehungsweise Reality-Soaps, die immer häufiger konsumiert werden. Erschreckend ist hierbei, dass die Grenze zwischen Realität und Inszenierung oft nur allzu leicht zu verwischen droht. Denn das Wort „Realität“ steckt schon in der Genre-Beschreibung jenes TV-Formats, das vorgibt eine gänzlich reale Geschichte zu erzählen, dabei aber gerne mal nachhilft, damit die angeblich reale Geschichte auch für die (Teenager-)Zielgruppe unterhaltsamer wird – sprich die jungen Zuschauer im schnelllebigen Internetzeitalter nicht direkt wieder abschalten und sich beispielsweise der Konsole widmen.

Bei der Inszenierung von „Realität“ in der so genannten Scripted Reality gibt man immerhin offen zu, wenn auch kleinlaut am Ende der jeweiligen Episode, dass man dem „realen“ Geschehen auf die Sprünge geholfen hat. Manchmal sind die dort erzählten Stories auch so unglaubwürdig, dass diese Einblendung zum Schluss gar nicht mehr nötig ist, um die Fernseh-Lüge aufzudecken. Denn in der Regel ist der Zuschauer nicht so dumm, wie er von manchem Sender eingestuft wird. Was bei «Verdachtsfälle» oder «Familien im Brennpunkt» also noch eine gewollte Lüge ist, die der Zuschauer zu Unterhaltungszwecken in Kauf nimmt, ist bei Reality-Formaten, die von vorneweg ein Abbild der Realität zeichnen wollen, nicht ganz so unbedenklich. Der Fernsehzuschauer kann hier nämlich noch so schlau sein, er wird in diesen Formaten für dumm verkauft. Denn ein Abbild der Realität bekommt er meistens weniger zu Gesicht als ihm lieb ist. Vielmehr ist es eine gängige Praxis der Realität auf die Sprünge zu helfen, sie den eigenen Senderwünschen entsprechend zu verändern oder bewusst in eine bestimmte – meist zwielichtige – Richtung zu lenken. Dabei vergisst man schon bei der Produktion dieser Reality-Show oder Reality-Soap, dass man für den an der Thematik interessierten TV-Zuschauer die Realität gänzlich verzerrt. Die Schnittfolge von Bilder aus dem Hause einer Familie, die jenes für die Dreharbeiten zur Verfügung gestellt hat, entsprechend oft nicht der realen Wahrnehmung, besucht man das Haus jener Familie aus freien Stücken, ganz ohne den Hintergedanken der Inszenierung einer Situation, die schließlich eine Verzerrung des realen Zustands zur Folge hat. Lügt das Fernsehen auf diese Weise, so erscheinen dem Zuschauer die gezeigten Bilder zwar als glaubwürdig, würde er doch nie annehmen, dass das Produktionsteam die Realität verändert, zumal es Reality-Fernsehen, betreibt, also realistisch sein will. Blickt man hinter die Kulissen, sieht das anders aus.

Genau hier liegt die Krux: Zu einer «Frauentausch»-Episode meldete sich via YouTube bereits eine Familie zu Wort, die mit der Art und Weise der Dreharbeiten des Produktionsteam nicht einverstanden war, das Kamerateam gar vor die Tür setzte. Denn während die Familie außer Haus war, hatten die Mitarbeiter der TV-Produktion genügend Zeit die Wohnung zu verdrecken, damit später der miserable Zustand des Hauses ausgeschlachtet werden konnte. Brandflecken seien der Lichttechnik der Produktionsfirma zu verdanken, behauptete die Familie, die sich später wegen vertraglichen Bindungen für eine Fortsetzung der Dreharbeiten hat durchringen lassen. Das Abbild ihres Haushalts, der später in der «Frauentausch»-Folge als unsittlich angeprangert wurde, entsprach hier keiner Realität. Dabei wollte man doch eben jene Realität nachzeichnen. Doch ist dies bei Weitem kein Einzelfall.

Auch bei anderen Reality-Formaten wie «Schluss mit Hotel Mama» wurde die offensichtliche Manipulation der Realität bereits angeprangert. Nicht zuletzt die RTL-Häuserverkauf-Sendung von Tine Wittler namens «Unterm Hammer» machte von sich reden, dass hier doch nachgeholfen wurde, um der Folge ein Happy End zu bescheren, wo es aber gar keines gab, sondern das vorgestellte Haus der Familie immer noch zum Verkauf stand. Eine erschreckende Praxis der Produktionsfirma, von der sich die Moderatorin distanzierte und ihren guten Ruf damit nicht gefährden wollte. Aus dieser Sicht dürften es auch die Protagonisten der zahlreichen Reality-Shows und Reality-Soaps sehen, deren Ruf durch schmutzige Wohnungen oder schmutzige Bilder ihrer selbst gefährdet scheint. Doch nur wenige finden ein Gehör.

Der Wahrheit aus der Flimmerkiste glaubt man offensichtlich nur zu gerne. In diesem Zusammenhang sei auch die in der letzten Woche quotenmäßig abgesoffene Spielshow «Der Kreuzfahrtkönig» zu nennen, die für die Protagonisten laut eigenen Angaben durch Chaos und Desorganisation zur stressigen Qual wurde. Nachdem sich die Teilnehmer-Pärchen bereitwillige auf eine spaßige, spannende Spiel-Kreuzfahrt einließen, die nicht zu Unrecht nur noch auf der Vormittags-Resterampe von RTL II läuft, mussten sie schnell feststellen, in welche Richtung es gehen sollte: Unverschämte Fleischbeschauung und eine verzerrte Realität inklusive. Mafiamethoden also im Privatfernsehen? Nein, wieder einmal griff nur die Fernsehlüge. So viel ist sicher: „Was du im Fernsehen siehst, glaubst du besser nicht“.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – wahrhaftig, jeden Dienstag. Nur bei Quotenmeter.de!

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