Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Die ProSieben-Probleme

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Nicht alles läuft beim Münchener Sender rund. Jan Schlüter über die Programm-Baustellen der roten Sieben.

Sommer, Sonne, sorgenlos. In diesen Tagen scheint auch die TV-Branche sich ein wenig von den turbulenten vergangenen Wochen und Monaten zu erholen, in denen gefühlt alle drei Tage eine neue Sensationsmeldung über den Ticker lief. So passt es nur perfekt, dass sich die Medienmacher nun zur Fußball-WM eine kleine Auszeit gönnen, bevor es in den heißen Herbst geht. Aber diese ruhige Zeit ist auch trügerisch: Die Sender schauen und loten aus, was in der vergangenen TV-Saison funktioniert hat, was gescheitert ist und wo künftig investiert werden muss. Eine Fernsehstation taucht bei Diskussionen um die Zukunft und Fehler der Vergangenheit nur marginal auf: ProSieben.

Der Münchener Sender schwimmt nicht schon seit der Raab-Sensation in Oslo auf einer Erfolgswelle. In der Primetime funktioniert vieles, am Vorabend sind die Quoten der Dauerbrenner «Simpsons» und «Galileo» besser als je zuvor. Doch nur scheinbar ist ProSieben das Vorzeigemodell erfolgreichen Fernsehens: Auch hier gibt es einige Programmbaustellen, die in der kommenden Saison behoben werden müssen – oder Probleme, die sich erst einigen Monaten als solche herausstellen werden. Die drei größten werden nachfolgend dargestellt.

Zunächst ist das Nachmittagsprogramm ein Dauerthema bei ProSieben, das schlicht und einfach nur begrenzt beim Publikum ankommt. Seitdem RTL auch den Nachmittag mit den Fake-Dokus und anderen Formaten in fester Hand hat und Traum-Marktanteile in der Zielgruppe erzielt, kann ProSieben vom Nachmittags-Quotenkuchen nicht mehr viel abbekommen. Das einstige Erfolgsprogramm «We are Family» holt an guten Tagen zweistellige Marktanteile bei den jüngeren Zuschauern, kommt aber fast nie an den Senderschnitt heran. Dass diese Sendung auch noch gleich zwei Stunden Sendezeit in Anspruch nimmt, zeigt, wie desolat die Lage von ProSieben am Mittag und Nachmittag wirklich ist – denn die meisten anderen Formate wie «It’s my life» und «Entscheidung am Nachmittag» laufen noch schlechter. Anfang des Jahres probierte man mehrere Realitys, die für jeweils eine Woche auf Sendung geschickt wurden. Das Ergebnis war katastrophal, schaffte doch fast keine einen zweistelligen Marktanteil.

Ein Kritikpunkt, der sich negativ auswirken könnte, ist das Fehlen eigenproduzierter Comedy abseits der Raab-Shows. ProSieben muss sich etwas unabhängiger vom Allround-Entertainer machen. Einst gute Sendungen wie «Comedystreet», «Bullyparade», «Extreme Activity» oder «Die ProSieben Märchenstunde» wurden entweder eingestellt oder haben in der Qualität stark nachgelassen. Einzige positive Ausnahme bleibt bis dato «Switch Reloaded», das bald in eine neue Staffel geht. ProSieben passt zu Comedy, Comedy passt zu ProSieben. Dienstags um 22.15, nach den erfolgreichen Sitcoms, bietet sich ein idealer Sendeplatz, um ambitionierte, neue Formate zu testen und sich etwas unabhängiger von Raab zu machen. Nicht auszudenken für ProSieben, wenn der mal aufhören würde?

Schließlich muss ProSieben aufpassen, seine Donnerstags-Shows nicht zu versenden. Die fünfte Staffel des gerade zu Ende gegangenen Model-Castings «Germany’s Next Topmodel» holte im Durchschnitt nur 18,1 Prozent Marktanteil bei den jungen Zuschauern und blieb damit deutlich hinter den Erwartungen und auch den Zahlen der vorherigen Staffeln zurück. Zum Vergleich: Die vierte Runde im Jahr 2009 brachte es auf 24,2 Prozent. Die Model-Müdigkeit dürfte auch auf inhaltliche Fehler zurückzuführen sein: Zu oft hat Heidi Klum ihr Jurypersonal gewechselt, zu schnell mussten sich die Zuschauer von gerade erst vertrauten Gesichtern verabschieden und sich an neue gewöhnen. Noch schlimmer wird es, wenn die vertrauten Gesichter wie Bruce Darnell oder „Rolfe“ Scheider selbst zu prominenten Sternchen wurden – sie hätten das Format auf einem deutlich bessere Quotenkurs halten können als die unbekannten Neuen.

Ein ähnliches, vielleicht noch größeres Problem, kommt auf ProSieben schon im Herbst zu, wenn die neue «Popstars»-Staffel startet: Erneut hat der Sender dem Format keine Pause gegönnt und versendet es Jahr für Jahr weiter. Die achte Season im vergangenen Jahr brachte es mit durchschnittlich 14,9 Prozent Marktanteil gerade noch über den Senderschnitt. «Popstars» ist somit besonders aus Quotensicht nur noch ein Schatten seiner selbst. Auch inhaltlich verliert das Format die Relevanz: Oder kennen Sie noch die letztjährigen Gewinner „Some & Any“ – oder gar jene von Staffel 6, die sich „Room 2012“ nannten? Popstars hat ein Quoten-, damit ein Relevanzproblem. Und dies ist für das Genre Castingshow höchst gefährlich. Dass ProSieben die Zeichen der Zeit erkannt hat, sieht man an der Aufstellung der kommenden «Popstars»-Jury: Ex-DSDS-Juror Thomas Stein und die angesehene Sängerin Marta Jandova („Die Happy“) nehmen an der Seite von Detlef D! Soost Platz. Und da in der neuen Staffel wieder mal nur Frauen gecastet werden dürfen, besinnt man sich auf die Stärken des Formats: Jene Seasons mit nur weiblichen Teilnehmerinnen waren mit Abstand die erfolgreichsten.

ProSieben – ein Sender der vielen Erfolge, der wenigen Probleme. Wenn die Münchener letztere in der kommenden TV-Saison auch noch in den Griff bekommen (wie in dieser Saison beispielsweise das Problem am Dienstagabend), dann bleibt man mit Abstand die Nr.2 bei den jungen Zuschauern hinter RTL. Schafft man es nicht, könnte man gerade aus dem eigenen Hause eine Konkurrenz beim Kampf um die 14- bis 49-Jährigen bekommen. Diese Konkurrenz ist Sat.1.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.

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