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Droht der Sitcom-Overkill?

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Demnächst zeigt kabel eins über acht Stunden am Tag Sitcoms. Die Quoten sind stark, doch könnten die Zuschauer schon sehr bald des Genres überdrüssig werden? Und inwiefern bedroht die Sitcom-Welle deutsche Arbeitsplätze?

Seit einigen Monaten schwimmt der kleine Sender kabel eins auf der Welle des Erfolgs und gelangt von einem Marktanteilsrekord zum nächsten. Grund dafür ist hauptsächlich das wieder in Mode gekommene Genre der US-Sitcom, das nach vielen Jahren konsequenter Quotenschwäche aktuell fast eine Erfolgsgarantie birgt. Denn neuere Shows wie «Two and a Half Men» oder «What`s up, Dad?» erreichen genauso wie die Klassiker «King of Queens» oder «Eine schrecklich nette Familie» am Nachmittag starke Zahlen: «Men» klettert auf Zielgruppen-Marktanteile von teils 20 Prozent; «King of Queens» hat oft zweistellige Werte. Nicht selten ist kabel eins sogar Marktführer am Nachmittag unter den 14- bis 49-Jährigen. Eine Sensation – aber auch eine erfreuliche?

VOX erlebt aktuell mit eigens produzierten Formaten wie «Frauenzimmer» und «Prominent!» am neu umgestalteten Nachmittag ein Quotendesaster. Bedrohen die erfolgreichen, aus den USA importierten Sitcoms vielleicht sogar deutsche Arbeitsplätze, weil die deutschen Produktionen wie oben genannte nicht mehr beim Publikum ankommen? Eine ähnliche Entwicklung war vor einigen Jahren mit dem Krimi- und Arztserien-Genre feststellbar: Plötzlich wollte niemand mehr deutsche Produktionen wie «SK Kölsch», «Wolffs Revier», «Der Clown» oder «Für alle Fälle Stefanie» sehen; das Publikum schaltete lieber bei «CSI» und «Grey´s Anatomy» ein und die deutschen Produktionsfirmen kämpften um ihr Überleben – einigen wurde die deutsche Serienkrise zum Verhängnis.

Doch diese deutsche Krise ist größtenteils hausgemacht. Neben der immer geltenden Regel, dass TV-Trends in Zyklen verlaufen und nun eben die US-Sendungen vom Zuschauer favorisiert werden, ist es die Schuld der Produktionsfirmen einerseits und der Sender andererseits, dass nur wenig deutsche Serien Erfolg haben. Gute Gegenbeispiele sind die erfolgreichen Serien «Doctor´s Diary» (Foto) und «Der Lehrer» bei RTL, die mit guten Drehbüchern und einem Schuss Ironie die Menschen zum Einschalten bewegen konnten. Starke Geschichten mit tollen Charakteren und innovative Stoffe finden ihr Publikum, egal ob deutsche oder amerikanische Serie. Die Serie «Two and a Half Men» wurde nicht erfolgreich, weil sie eine Sitcom ist, sondern weil die Sitcom – wie aktuell die meisten gezeigten – qualitativ gut ist.

Ein Fehler, den die deutschen Produktionsfirmen in den vergangenen Jahren gemacht haben, ist der deutschen Serie zum Verhängnis geworden: Es wurde versucht, die erfolgreichen US-Produktionen nachzuahmen, nicht nur von dem Design und der Aufmachung, sondern auch von Charakteren und Rollenbeziehungen. Doch da deutsche Produktionen nur einen Bruchteil des Budgets einer US-Serie zur Verfügung haben und auch keine Megastars wie Jerry Bruckheimer oder J.J. Abrams hinter den Projekten stehen, wirkten die Nachmach-Versuche wie billige und schlechte TV-Kost. Wieder mal führt der Weg zum Erfolg also über Innovation, damit die deutsche Serie sich von dem US-Pendant klar unterscheidet.

Die US-Sitcom vernichtet also keine deutschen Arbeitsplätze, denn ohne gute Qualität (die z.B. beim oben angesprochenen «Frauenzimmer» zu bezweifeln ist) und frische Storys können Zuschauer nicht gewonnen werden. Und nur so hat es die US-Sitcom im Heimatland selbst und auch bei uns zu neuem Ruhm gebracht. Auch für deutsche Produktionsfirmen ist der Trend eine Chance: Mit deutschen Sitcoms hat beispielsweise Super RTL werktäglich am Abend Erfolg, dort werden die «Camper» aktuell wiederholt. In den 90ern und frühen 2000ern waren «Das Amt», «Alles Atze», (Foto) «Ritas Welt» und «Nikola» ebenso erfolgreich – neue deutsche Sitcoms könnten auf den Erfolgszug aufspringen. Doch der Trend darf nicht verpasst werden, bevor er vorbei ist.

Denn ab Ende November zeigt kabel eins werktäglich zwischen 10 und 18 Uhr durchgängig Sitcom-Programme, donnerstags mit «Rules of Engagement» zusätzlich noch am Abend. ProSieben hat seinen Sitcom-Dienstag, Comedy Central zeigt allabendlich zahlreiche Sitcoms und andere Sender haben die halbstündigen Comedys als gern genommenes Füllprogramm. Droht uns Zuschauern der Sitcom-Overkill, werden wir bald des Formats überdrüssig?

Wenn der aktuelle Trend weiter so ausgereizt wird, ist ein Ende schon abzusehen. Kabel eins ist mit acht Stunden Sitcom an der Schmerzgrenze angelangt; die ständigen Umprogrammierungen haben schon in den letzten Wochen leichte Blessuren hinterlassen, denn von Rekord zu Rekord schreiten «Two and a Half Men» und Co. nicht mehr, auch wenn die Marktanteile noch sehr hoch sind.

Hoffen wir also, dass die Programmplaner ein Einsehen haben und mit dem Genre Sitcom glimpflich umgehen, damit es bald nicht erneut eine komplett Sitcom-freie TV-Welt gibt. Denn Vielfalt macht gutes Fernsehen aus. Und auch wenn die Zuschauer sich in schlechten Zeiten der Wirtschaftskrise gerne in relativ heile Welten versetzen und mit witzigen Charakteren lachen wollen: Irgendwann hat jeder Spaß ein Ende.

Weitere Informationen zum Thema: Am Samstag, den 21. November 2009, strahlt BRalpha um 22.30 Uhr unter dem Titel «Erfolgsmodell Serie» eine Diskussion von den Münchener Medientagen aus, in der Gesprächspartner wie u.a. Nico Hofmann (teamworx) und Barbara Thielen (RTL) die Probleme insbesondere der deutschen Serie analysieren. Eine Wiederholung der Sendung findet am 28. November um 00.30 Uhr auf BRalpha statt.

Kurz-URL: qmde.de/38490
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