Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Scholl macht den Klopp

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Experten im deutschen Sport-TV sind eine Klasse für sich. Will der Zuschauer die Scholls und Kahns überhaupt sehen?

Wie wird man eigentlich Fußball-Experte im deutschen Fernsehen? Durch besonders lautes Maul aufreißen in emotionsgeladenen sowie ebenso sinnlosen Field-Interviews fünf Sekunden nach dem Spiel? Durch eine geheime interdisziplinäre Ausbildung in einem Fußballfloskel-Seminar und gleichzeitigem Rhetorik-Schnellkurs bei Marcel Reif? Oder ist es gar doch die Frisur, die Menschen wie Günter Netzer für einen solchen Fernsehjob qualifiziert?

Letztere gewiss nicht – auf dem Bildschirm sollte der Experte ja schön und zeitgemäß aussehen, wie wir alle wissen. Was ist es also, das den Netzer, den Scholl, den Kahn auf die Bildschirme lässt? Und wer sucht diese Experten eigentlich aus? Zunächst einmal die Prominenz der Person, die schon zu aktiven Fußballer-Zeiten eine herausragende Person gewesen sein sollte. Und weiterhin dann wohl wirklich die nötige Fähigkeit, die hoffentlich vorhandene fachliche Kompetenz in eine klare und verständliche Sprache umzuwandeln, die wirkliche Informationen und fundierte Analysen des Geschehens vermittelt.

Leider scheitert es bei unseren aktuellen Experten meist am zuletzt genannten Punkt: Gerade bei den relativ jungen TV-Experten Mehmet Scholl (ARD) und Oliver Kahn (ZDF) fehlt es an Mehrwert für das Programm. So gut sie in den Augen des Betrachters in ihrer aktiven Karriere auch gewesen sein mögen – als Fernsehurteiler bleiben sie bisher schwach, weil uninnovativ und informationslos. Hier siegt die Allerweltsphrase, die wir ohnehin sonntäglich in multipler Zahl um 11 im DSF über uns ergehen lassen können, über fundierte Insider-Meinung. Der Zuschauer hat nicht das Gefühl, dass er nun wirklich etwas Neues von einem Fußball-Profi erfahren hat.

Ganz anders war dies bei dem Experten-Team Jürgen Klopp (Trainer BVB) und Urs Meyer (Ex-Schiedsrichter), das bis 2008 im ZDF zu sehen war. Hier konnte man in der Halbzeit und nach dem Spiel tief in die Psyche und Denkweise eines professionellen Trainers blicken, der mit innovativen Methoden den TV-Fußballexperten eigentlich neu erfand. Er zeichnete an einem Touchboard Spielzüge nach, zeigte Fehler visuell auf und brachte dem Zuschauer nahe, was ein moderner Trainer in gewissen Situationen denkt und tut. Urs Meyer als Schiedsrichter war ebenfalls eine innovative und frische Ergänzung, auch wenn er oft zu unkritisch mit seiner eigenen Klientel umging.

Leider haben die Fernsehstationen nichts aus dem tollen Team Kerner/Klopp/Meyer trotz zahlreicher gewonnener Fernsehpreise gelernt: Heute sind sie wieder bei den Phrasendreschern Scholl und Kahn angekommen. Und der Zuschauer muss sich mit uninspiriertem Talk nach 90 Minuten begnügen. Vielleicht sind die meisten Menschen, die sonst als gute Experten zur Verfügung stünden, auch zu wenig „FC Bayern“. Schließlich scheint es so, als müsse man mindestens einmal in den Diensten der Münchener gestanden haben, denn neben Scholl und Kahn wird das Experten-Repertoire beim Pay-TV-Sender Sky u.a. noch mit Beckenbauer, Effenberg und Hitzfeld fast vollständig aufgefüllt. Einzig Udo Lattek (DSF) ragt aus der Masse der durchschnittlichen Experten heraus, weil er eben die Fähigkeit besitzt, auch Außenstehenden ein gutes Insider-Wissen zu vermitteln und zu erklären, wie die Trainer und Spieler „ticken“.

Zuletzt hat Mehmet Scholl seinen möglichen Rückzug aus dem TV-Geschäft angekündigt, um sich wie damals Jürgen Klopp mehr seiner Trainer-Tätigkeit zu widmen. Scholl hat aber auch gute Gründe, denn seine zweite Mannschaft vom FC Bayern liegt auf dem letzten Tabellenplatz. Ist Scholl also auch als Trainer ungeeignet? Immerhin steht seine Drittliga-Elf in einem Aspekt mit der großen Bundesliga-Mannschaft von Trainer Luis van Gaal und zahlreichen Millionen-Topstars nicht schlechter: Beide Teams haben aktuell zwei Punkte in der Tabelle. Aber die halbe Fußball-Nation sollte sich ob des momentan schlechten Bayern-Abschneidens nicht zu früh freuen: Denn wenn München wieder vom Ausnahme- zum Normalfußballclub mutieren sollte, dann hätten wir doch so bald keine Experten mehr. Und das wäre zu schade – schließlich wollen wir uns nach dem Spiel doch nicht nur über die Schiri-Fehlentscheidungen, sondern auch über die verbalen Ergüsse dieser Netzers, Scholls und Kahns aufregen können.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt ein paar neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Freitag nur auf Quotenmeter.de.

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