Interview

'Sowohl in Toulouse als auch in Wuppertal gibt es spannende Kulturschaffende zu entdecken'

von

Zum Start des neuen arte-Kulturmagazins «Twist» verraten die Moderatorinnen Romy Straßenburg und Bianca Hauda Quotenmeter.de, welche Kunstformen sich ihnen verschließen und welche kontroversen Debatten sie leicht beantworten können.

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Ich will gar nicht krampfhaft nach Unterschieden suchen und die deutsch/französische Klischeekeule schwingen. Ich möchte lieber in einem ganzheitlichen europäischen Kontext denken.
Bianca Hauda über deutsch/französische Unterschiede im Kultursektor
Welches Kunstprojekt aus der jüngeren Vergangenheit hat Sie besonders über „den europäischen Gedanken“ nachdenken lassen? Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?
Bianca Hauda: United we stream, eine nicht ausschließlich europäische, sondern globale Netzinitiative zum Erhalt der Clubkultur in Zeiten den Pandemie. DJ’s und Künstler aus über 45 Ländern sind da mit dabei und sammeln Spenden, damit Kultur - vor allem Musik-, und Clubkultur weiterleben kann. Hier funktioniert der Gedanke „Wir sind eins“ wirklich mal und das ist toll!

Romy Straßenburg: Ich verfolge mit viel Spaß und Nachdenklichkeit, was der Satiriker Nico Semsrott als EU-Abgeordneter macht und hatte auch Gelegenheit, ihn für eine Arte-Doku kennenzulernen. Sein humoristischer Umgang mit Politik, der vor allem junge Leute für EU-Themen sensibilisiert, finde ich absolut spannend. Als Schluss habe ich daraus gezogen, dass Kunstformen wie Satire durchaus ihren Platz haben, wenn es um politische Themen geht. Er zeigt sehr gut auf, welche Schwächen die EU-Institutionen haben, die man auch als überzeugte EuropäerIn ansprechen muss.

Was ist Ihrer Auffassung nach der größte, wertfreie Unterschied zwischen deutscher und französischer Kulturrezeption?
Bianca Hauda: Ich will gar nicht krampfhaft nach Unterschieden suchen und die deutsch/französische Klischeekeule schwingen. Ich möchte lieber in einem ganzheitlichen europäischen Kontext denken und mir selber zur Aufgabe machen mit und für «Twist» Bilder und Texte zu schaffen an denen jeder Europäer und jede Europäerin kleben bleibt und sauspannend findet.

Romy Straßenburg: In Frankreich gibt es sehr viele Publikationen, die sich auf einer übergeordneten, intellektuellen Ebene mit Kunst auseinandersetzen, fachbezogener Journalismus zum Beispiel das Magazin „Graffiti Art“ oder die „Cahiers du cinéma.“ Die deutschen Publikationen zum Thema Kunst begnügen sich häufig mit einer deskriptiven Haltung, stellen aktuelle Tendenzen dar, ohne sich analytisch damit auseinanderzusetzen, was sehr schade ist, wenn man von einigen Nischenpublikationen wie critic.de absieht ...

Die Rolle von Künstlern und Intellektuellen im öffentlichen Diskurs ist in Frankreich bedeutender. Künstler werden als ernsthafte Kommentatoren des Zeitgeschehens angesehen. Das fehlt mir in Deutschland schmerzlich ...
Romy Straßenburg
Was sollte sich in Sachen Kunst und Kultur Deutschland von Frankreich abschauen – und umgekehrt?
Romy Straßenburg: Die Rolle von Künstlern und Intellektuellen im öffentlichen Diskurs ist in Frankreich bedeutender. Künstler werden als ernsthafte Kommentatoren des Zeitgeschehens angesehen, sind im Fernsehen, Radio und Print präsent. Das fehlt mir in Deutschland schmerzlich ...

Auf der anderen Seite hat in Deutschland die föderale Struktur dazu geführt, dass Städte mehr Spielraum haben, um beispielsweise eine konstante Theaterkultur aufzubauen. In Frankreich funktioniert die Theaterlandschaft überwiegend mit Ensembles, die dann durch das Land touren. Für mittlere und kleinere Städte hingegen ist es häufig schwer, eigene Akzente in kultureller Hinsicht zu setzen. Dafür bleibt Paris zu dominant ...

Wie stehen Sie zur (nicht nur, aber besonders) im deutschen Diskurs so festgefahrenen Trennung zwischen "ernster Kunst" und "bloßer Unterhaltung"?
Bianca Hauda: Ich empfinde diese Trennung als immer noch sehr festgefahren und unnötig. Für mich gibt es da nicht die eine Wahrheit. Kultur soll verbinden, Menschen zusammenbringen, Verständnisse schaffen und das macht Popkultur wie auch Hochkultur auf ihre ganz eigene Art und Weise.

Kultur soll verbinden, Menschen zusammenbringen, Verständnisse schaffen und das macht Popkultur wie auch Hochkultur auf ihre ganz eigene Art und Weise.
Bianca Hauda
Das Beides miteinander vereinbar ist und man sich für beides gleichwertig interessieren kann und möchte sehe ich an mir selber. Als Fan des Theaters und als Kind, das mit acht schon in Goethes «Faust» am Schauspiel Wuppertal mitgespielt hat, bin ich automatisch mit Hochkultur aufgewachsen, ohne es zu wissen. Sie war einfach Teil meiner Alltagskultur und deshalb auch immer Unterhaltung und Spiel gleichzeitig. Ich glaube, das ist heutzutage auch die Aufgabe der „ernsten Künste“: dynamischer zu werden, ohne aber ihre Ernsthaftigkeit zu verlieren, um weiter existieren zu können.

Romy Straßenburg: Ich glaube, es gibt einen Weg, um diese beiden Ansprüche gleichermaßen zu erfüllen und das versuchen wir auch mit «Twist». Wieso kann ernste Kunst nicht auch auf unterhaltsame Weise präsentiert werden, ohne dass sie an inhaltlicher Tiefe verliert? Zudem ist Unterhaltung per se ja nichts Schlechtes. Wer sich unterhalten fühlt, bleibt „am Ball“ und entdeckt dadurch wiederum sein Interesse an „ernster Kunst“. Unterhaltung verweist ja nicht auf „seichte Kost“, sondern auch auf „unterhalten“ im Sinne von Austausch, mit Kunstschaffenden reden .... und genau das haben wir vor.

(Und für die Eingeweihten: Schon bei «Glücksrad» hatte „Ernstel“ eine ganz wichtige Rolle. grinst)

Welches von der Kritik verrissene Stück Kunst können Sie „mit Zähnen und Klauen“ verteidigen?
Bianca Hauda: Wenn es um Kunst geht, zählt für mich immer das eigene Gefühl. Verreißen oder Verteidigen kann man nur, wenn man etwas empfindet und dann hat der Künstler oder die Künstlerin doch schon vieles richtig gemacht.

Romy Straßenburg: Alle «Tatort»-Folgen mit Ulrich Tukur alias Kommissar Felix Murot werden regelmäßig in der konservativen Presse zerrissen. Und hat für mich, auch wenn der «Tatort» im Fernsehen läuft und damit wieder als Unterhaltung statt ernster Kunst klassifiziert werden könnte, unfassbar viele filmische Qualitäten ... großes Kino statt Sonntagabendschnarch-Krimi!

Vielen Dank für Ihre Antworten!

«Twist» ist ab dem 30. August 2020 jeden Sonntag ab zirka 16.20 Uhr bei arte zu sehen.

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