Interview

Zsá Zsá Inci Bürkle: 'Die Grenzen zwischen Film und Serie verwischen zunehmend'

von   |  5 Kommentare

Ist man alt, wenn man TikTok nicht versteht? Können soziale Netzwerke einem beim Schauspielen helfen? Wir haben mit Zsá Zsá Inci Bürkle darüber sinniert und zudem erfahren, welche Projekte die «Der Lehrer»-Mimin faszinieren.

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Ich finde «Marriage Story» so stark. Seit längerem hat mich kein Film mehr so sehr berührt. Der hätte bei den Oscar-Nominierungen also auch noch besser abschneiden dürfen. Ich fand es auch total faszinierend, dass das Buch so genau geschrieben ist und Adam Driver sowie Scarlett Johansson so gut wie gar nichts improvisiert haben. Selbst der große Streit in dem Film steht Wort für Wort so im Drehbuch. Das finde ich sensationell!
Ein Oscar-reifer Filmtipp von Zsá Zsá Inci Bürkle
Ich kann die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, über den Oscar zu tratschen. Was, außer die Nominierungen in der Regie-Kategorie, würdest du noch ändern?
Ich würde auch Serien prämieren!

Dafür gibt es doch die Emmys!
Ja, aber ich finde, die Grenzen zwischen Film und Serie, zwischen Kino und Fernsehen, verwischen zunehmend. Daher finde ich, dass man das zusammenlegen und auf gleicher Ebene betrachten sollte. Ich bin mir sicher, dazu wird es auch eines Tages kommen. Und realistischer gesprochen: Ich finde «Marriage Story» so stark. Seit längerem hat mich kein Film mehr so sehr berührt. Der hätte bei den Oscar-Nominierungen also auch noch besser abschneiden dürfen. Ich fand es auch total faszinierend, dass das Buch so genau geschrieben ist und Adam Driver sowie Scarlett Johansson so gut wie gar nichts improvisiert haben. Selbst der große Streit in dem Film steht Wort für Wort so im Drehbuch. Das finde ich sensationell!

Und wären Serien schon beim Oscar dabei, so wie du es dir wünschst: Welche hättest du nominiert?
«Euphoria»! Das ist eine total geniale Serie! Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie genial ich die finde. Ich hoffe: Wenn eines aus diesem Interview hängen bleibt, dann das hier: "Leute, schaut euch «Euphoria» an!"

(lacht) Also, wenn das hängen bleiben soll, darfst du gerne versuchen, zu erklären, was dich so an der Serie fasziniert.
Zendaya spielt darin atemberaubend gut, ich hätte nie gedacht, dass die das so drauf hat! Und die Serie ist so authentisch-nah an meiner Generation und an jenen, die noch etwas jünger sind als ich. Das habe ich in der Form noch nie gesehen. «Euphoria» ist schockierend, die Geschichte ging mir unter die Haut. Ich habe mich sehr unwohl beim Anschauen gefühlt, aber das im besten Sinne! Die Serie hat eine sehr stilisierte Ästhetik, aber die Charakterisierungen und Dialoge sind extrem echt. Ich hoffe so sehr, dass es auch hierzulande mal eine derart echte Darstellung der jungen Generation gibt. Denn ich bilde mir ein, das könnte für größeres Verständnis zwischen den Generationen sorgen.

Es heißt ja immer "Was habt ihr denn schon für Probleme?" oder "Wieso nehmt ihr euch so viel raus?" und ich finde das schrecklich. Ich finde es schlimm, dass da so ein Graben entsteht. Denn die Jüngeren machen sehr wohl richtige Krisen durch, welche dann von oben herab betrachtet werden und man gesagt bekommt, man "müsse erst älter werden, bevor man das Anrecht hätte, ernst genommen zu werden". Was ist das denn für ein Umgang mit den Jüngeren? Da wünscht sich man Empathie oder gute Ratschläge von den Älteren und stattdessen gibt es die kalte Schulter – und das sind schon die netteren Fälle. Wenn ich's mir genauer überlege: Das wäre mal ein Serienstoff: Eine Serie darüber, dass die Generationen voneinander lernen können, sich aber weigern, das zu tun. Warum macht das keiner?! Man könnte so in Serienform sozial relevante Themen erarbeiten!

Die Jüngeren machen sehr wohl richtige Krisen durch, welche dann von oben herab betrachtet werden und man gesagt bekommt, man "müsse erst älter werden, bevor man das Anrecht hätte, ernst genommen zu werden". Was ist das denn für ein Umgang mit den Jüngeren?
Zsá Zsá Inci Bürkle
Meine These: Jede Generation hält sich für die einzig gute Generation. Wer also sollte so eine Serie schon machen?
Das könnte die Antwort auf meine Frage sein. Total schade! Die Leute sollten miteinander reden und einander respektieren, statt stur wegzuschauen. Ich denke, man könnte so viele Probleme aus der Welt schaffen, würden Ältere so gut wie möglich mit der Zeit mitgehen, während Jüngere lernen, sich darin hineinzuversetzen, welche Wege Ältere schon zurücklegen mussten. Das lässt sich doch hinkriegen!

Ich bin da Pessimist, fürchte ich. Denn wir fragmentieren uns immer mehr. Das sieht man im Kleinen schon an den (sozialen) Medien. Die Generation über 30/40 ist bei Facebook, dann haben wir da den Twitter-Sektor, der wenig Deckung mit Instagram hat. Wer jünger ist, den zieht es zu TikTok, und selbst TikTok ist bei manchen schon wieder out … Wie also sollte das Zusammenrücken im Größeren funktionieren?
Achje, nun erinnern Sie mich daran, dass ich seit Wochen versuche, TikTok zu verstehen. Ich möchte nämlich meinen eigenen Ansprüchen genügen und den Draht zu den Jüngeren nicht verlieren. Aber ich kapiere es nicht! Ich steige da einfach nicht durch!(lacht)

Du spielst nun eine Figur in deinem eigenen Alter. Du kapierst TikTok nicht. Glückwunsch, nun ist es offiziell: Du bist 1 Old.
Na, super! (lacht) Es fängt also schon an. Erst scheitert es an TikTok, wer weiß, was als nächstes kommt. Morgen schimpfe ich vielleicht schon über "diese blöden Jugendlichen"! (lacht)

Um dich zu beruhigen: Vielleicht dauert es ja damit noch etwas. Meine Theorie ist, dass man durch den ständigen Umgang mit Medien wenigstens eine gewisse Nähe zur jüngeren Generation beibehalten kann. Ich habe in «Assassination Nation», dem Kinofilm vom «Euphoria»-Macher, sämtlichen Jugendslang verstanden. Mir war das alles durch den Online-Diskurs und die Popkultur geläufig. Ich kenne Gleichaltrige mit weniger Medienaffinität, die der Film völlig überfordert hat. (lacht)
Ich bin kein kleines Kind mehr, dass sich an der Herdplatte die Finger verbrennt und direkt nochmal drauf packt. Aber daher ziehe ich mir nicht direkt ganz wichtigtuerisch den Schuh an, erwachsen zu sein.
Zsá Zsá Inci Bürkle
Du bist also noch in touch mit dem jetzt! Das ist doch gut! (lacht) Und ich wünsche mir, dass das mir auch so ergeht in den kommenden Jahren. Meine Mutter meinte mal ganz ehrlich zu mir: "Kind, da kommt nichts". Und es stimmt! Ich warte seit Jahren, dass ich mal aufwache und feststelle: "So, jetzt bin ich erwachsen." Aber da kommt nichts. Ich mein, klar, ich bin auch kein kleines Kind mehr, dass sich an der Herdplatte die Finger verbrennt und direkt nochmal drauf packt. Aber daher ziehe ich mir nicht direkt ganz wichtigtuerisch den Schuh an, erwachsen zu sein. (lacht)

Ich glaube, heutzutage definiert sich das empfundene Alter durch die Informationen, mit denen man sich umgibt. Wenn du zum Beispiel sagst, in «Assassination Nation» den Jugendslang zu verstehen, so behältst du offenbar den Draht zu den Jüngeren, vielleicht durch den Filmdiskurs. Du hättest genauso gut die letzten Jahre allein in Facebook-Gruppen älterer Hobbygärtner verbringen können, dann sähe das eventuell anders aus. (lacht) Daher bleibe ich bei meiner Theorie, dass dieses Erwachsenwerden mittlerweile ein Hirngespinst ist: Die Informationen, mit denen man sich abgibt, bilden die eigene Realität und so auch das eigene geistige Alter. Was bedeutet es also in diesem Zeitalter des fragmentierten Informationsaustausches noch "richtig erwachsen zu sein"? Womöglich gar nichts mehr.

Die Informationen, mit denen man sich abgibt, bilden die eigene Realität und so auch das eigene geistige Alter. Was bedeutet es also in diesem Zeitalter des fragmentierten Informationsaustausches noch "richtig erwachsen zu sein"? Womöglich gar nichts mehr.
Zsá Zsá Inci Bürkle
Ich hätte da noch einen Definitionsversuch, den ich mal aufgeschnappt habe und für womöglich sehr zeitgemäß und zutreffend finde: "Erwachsensein bedeutet, so lange seinen Freunden zu sagen, man müsste sich häufiger sehen, bis man das nicht mehr sagen kann, weil einem der Tod dazwischen kommt."
Aua. Aber ich fürchte: Da ist etwas Wahres dran. Es kommt ja dauernd was dazwischen, das kenne ich selber. Es gibt so viel Arbeit. Und so viele Briefe, die man lesen und beantworten muss.

Briefe? Du bist wirklich 1 Old.
Nein! Nur weil ich Briefe bekomme und TikTok nicht verstehe? Dass will ich nicht gelten lassen! (lacht) Für die Briefe zumindest kann ich nichts! Die Krankenkasse verschickt halt noch immer Briefe, es ist nicht meine Schuld, dass die nicht auf elektronische Post umstellen!

Na gut, du bist 1 Maybe Old.
Viel besser! (lacht) Das trifft es irgendwie: Ich denke, wir haben heutzutage die Chance, uns alterstechnisch nach oben und nach unten zu strecken. Und das sehe ich als Chance. Das merke ich an mir selber: Ich versuche, Kontakt in beide Richtungen zu halten und glaube, das hilft mir ganz banal beim Schauspiel und, was wichtiger ist, in meiner Wahrnehmung unserer Welt. Denn man kann nur dadurch gewinnen, wenn man weiß, was Menschen in verschiedenen Altern bewegt. Ich glaube, daher zieht es mich auch in die Kunst: Ich habe generelles Interesse und eine große Neugier auf andere Menschen, Herkünfte und Beweggründe, und ich weiß, dass ich das alles noch weiter vertiefen könnte. Und diese Haltung würde uns allen gut tun.

Meine Zustimmung. Und vielen Dank für das Gespräch!

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Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
06.02.2020 17:32 Uhr 1
Wow, echt tolles Interview!!
Nr27
06.02.2020 18:15 Uhr 2
Ich glaube, ich habe Frau Bürkle noch nie in irgendwas gesehen - aber in diesem Interview kommt sie jedenfalls sehr sympathisch und begeisterungsfähig rüber.



Den Begriff "1 Old" lese ich allerdings das erste Mal (und über Google finde ich irgendwie auch nichts darüber) - das heißt dann wohl, ich bin selbst "1 Old"? :thinking:
Anonymous
06.02.2020 18:59 Uhr 3


Vielen, vielen Dank! Wir hatten zum Glück atypisch viel Gesprächszeit, da kann man dann mal ins Tratschen geraten. :D




"Old" als hiesiger Begriff für alte und/oder den Bezug zum aktuellen (Jugendkultur-)Geschehen verlierende Menschen lässt sich auch schwer googeln, und die Zahl "1" stur für ein/eine/eins/einer zu nutzen ist schon geläufig ("Was ist das für 1 Life?", "Was bist du für 1 Otto?", etc. ...) und dürfte mittlerweile sogar wieder out sein. Das war ja auch von mir ein bewusst forcierter Clash zweier nicht mehr ganz so frischer Begriffe. Dass ich der doch ein paar Jahre jüngeren Zsá Zsá vorwerfe, alt zu werden, sollte ja als nicht voll ernst gemeint durchschimmern. :)



Kurz gesagt: Du bist kein Old, wenn du das noch nicht gehört hast, sondern einfach zu tight mit richtigem Deutsch, Bro! :')
TwistedAngel
06.02.2020 20:43 Uhr 4
Mit dem Namen wäre die perfekt fürs Dschungelcamp - hä was wer?! :D meine Güte ...
Nr27
07.02.2020 19:07 Uhr 5


Ähm ... okay, das verstehe ich wenigstens noch halbwegs. Glaube ich. ;)
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