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«Alles oder Nichts»: Eine Soap mit viel Potenzial … und einem großen Aber

von   |  4 Kommentare

Sat.1 hat auch in der „Vor-zwischen-und-nach-«ViB»-und-«AudL»-Zeit“ zahlreiche Versuche unternommen, eine neue Daily zu etablieren. Der vielversprechendste war sicherlich der jüngste: Im Oktober 2018 wurde die erste Folge von «Alles oder Nichts» ausgestrahlt, doch nach nur 105 Folgen wurde dieses Format (online) ebenfalls beendet.

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Bei «Alles oder Nichts» entschied man sich für ein recht unübliches Vorgehen und hielt sich quasi einige Plätze frei: Außer den Erben (inklusive „Anhang“) und der Familie Brock gehörten anfangs lediglich noch Axels ehemaliger Assistent Tarek Alici (Varol Sahin) sowie der Besitzer des Szenelokals/Clubs „Beluga“ Boris Janssen (Gabriel Merz) zu den offensichtlichen „main characters“ – macht (summa summarum) 15. Und selbst wenn man „Hotte“, der erst wesentlich später ins erste Glied aufrückt, die weder eindeutig als Neben- noch als Hauptcharakter durchgehenden Dr. Nina Kessler (Lea Faßbender), die zunächst das Amt der Bausenatorin innehat, und Henning Lindner (Martin Augustin Schneider), ein leidenschaftlicher Tischler, sowie Janssens Mann für alle Fälle Edgar Falckenstein (Felix Lampert), ein Anwalt, hinzuzählt, landet man gerade einmal bei 19 – also einer recht überschaubaren Personenzahl. Den angesprochenen Überblick konnte sich die Zuschauerschaft also schnell verschaffen, worauf man hinter den Kulissen sicherlich auch spekuliert hatte. Auf den ersten Blick wirkt diese Maßnahme folglich absolut plausibel, auf den zweiten aber nicht komplett zu Ende gedacht. Und das lag wiederum an der Ausgestaltung der Protagonistinnen und Protagonisten.

Was bereits in den ersten Folgen auffällt: Selten wartete eine deutsche „Seifenoper“ mit derart vielen Antagonistinnen und Antagonisten auf. Das ist zuallererst einmal begrüßenswert, mutig und erfrischend! Nur: Wenn man zu Beginn lediglich 15 Kernfiguren zur Verfügung hat und davon ein Drittel (Olaf Brock, Bea Brock, Jascha Brock, Boris Janssen sowie mit Einschränkungen Ines Fischer) intrigiert, lügt, betrügt, ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und/oder zu Schlimmeren bereit zu sein scheint, ist ein positives Gegengewicht vonnöten. Ein solches sucht man allerdings im Grunde bis zur letzten Szene vergebens. Dies soll nicht heißen, dass es zu keinen berührenden, herzlichen oder lustigen Momenten käme, jedoch sind diese bezeichnenderweise nie von Dauer, was logisch ist, wenn man bedenkt, dass die „Bösen“ schließlich keine Ruhepausen einlegen und nur in Ausnahmefällen mit offenem Visier kämpfen – zudem machen sich einige (wie könnte es auch anders sein?) ebenfalls gegenseitig das Leben schwer. Und ein besonders gerissener Fiesling lässt sich darüber hinaus frühzeitig als meisterhafter Strippenzieher ausmachen, der eher das Chili als das Salz in der „Plot-Suppe“ verkörpert.

Die „Guten“ hingegen sind außerdem sehr häufig „Opfer“ des Geldes, und zwar nicht nur die, denen es offiziell gehört. So bekleckern sich etwa (mehrfach) weder die Neumann-Männer noch Anja und Rocko mit Ruhm, wenn es um die bedruckten Scheine und geprägten Münzen geht. Es lohnt beinahe gar nicht, mitzuzählen, wie oft das Erbe Auslöser für Streitigkeiten ist – und das, obwohl im Prinzip nur eine Partei innerhalb der 105 Episoden so richtig damit in Berührung kommt. Und unter anderem deshalb haben es die Liebe, aber auch die Freundschaft – oder generell gesprochen – die Leichtigkeit in dieser Serie sehr schwer. Im Vordergrund stehen Unmengen an Euros, der Kampf um die Firma und Intrigen. Es fehlen bedeutsame Etappensiege, die auf Happy Ends von Dauer hindeuten. Nicht missverstehen: Der Weg, für den man sich entschieden hat, ist konsequent und in sich stimmig und beinhaltet zudem diverse Entwicklungen, die nicht schon zigmal in Schwesterformaten zu sehen waren (ein gutes Beispiel wäre in diesem Zusammenhang die des verhältnismäßig jungen Jascha Brock, bei dem man irgendwann aufhört, an eine vollständige Läuterung zu glauben). Da das Ziel einer solchen Sendung im Vorabendprogramm allerdings immer sein muss, eine möglichst große Anzahl an Menschen für sich zu gewinnen, geht das nicht, ohne deren Erwartungen in einem gewissen Umfang zu erfüllen. Mit anderen Worten: «AoN» war zu wenig massenkompatibel, zu spitz.


Auch die Tatsache, dass es sich bei den unterschiedlichen Handlungssträngen, die im Wechsel präsentiert werden, streng genommen um einen übergeordneten handelt, der einige Verästelungen aufweist, ist ein Ausdruck davon. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Positiv formuliert verschafft das Erbe den Autoren die Gelegenheit, die unterschiedlichsten Menschen aufeinandertreffen lassen und deren Leben miteinander verknüpfen zu können. Negativ formuliert sorgt dieser „Vorzug“ dafür, dass es keine Storylines gibt, dich nicht irgendwie mit dem Ausgangspunkt der Serie zusammenhängen. Bedeutet: Wer von der ersten Sendeminute an überzeugt von dem Dargebotenen war, musste nie befürchten, ab einem Punkt X enttäuscht zu werden. Wer dagegen viel inhaltliche Abwechslung von einer täglichen Produktion dieser Art erwartet, dürfte nach und nach das Interesse an ebendieser verloren haben. Zumal auch weder Jenni und Tarek noch Melissa und Daniel als „Telenovela-eskes“ Traumpaar durchgehen – und für nicht wenige ist eine ansprechend erzählte Liebesgeschichte eine nicht verhandelbare Pflichtzutat in einem jeden Daily-Gericht.

Für erstere Konstellation war das Sich-Anschreien eher die Regel als das Sich-Versöhnen und zweitere wurde zu lange von einer (schlüssig hergeleiteten) Distanz dominiert – diese wurde natürlich durch den aus privaten Gründen erfolgten Ausstieg von Sarah Maria Besgen noch verstärkt, weil der Ex-VL-Ex-AudL-Star Tanja Wenzel verständlicherweise nicht direkt die Chemie mit ihren neuen Spielpartnern haben konnte, die ihre Vorgängerin über Wochen hatte aufbauen können. Alle diese Dinge sind ursächlich dafür, dass das Identifikationspotenzial der positiv besetzten Figuren in Summe einfach nicht groß genug war. An den Leistungen der Darstellerinnen und Darstellern lag dies jedoch nicht. Im Gegenteil: Die Ensemble-Mischung stimmte: Unverbrauchte Gesichter (z. B. Anna Mennicken und Varol Sahin – nach Serienende im Übrigen kurzzeitig gemeinsam bei «RR» im Einsatz – oder Thomas Morris, Niki Finger und Lea Faßbender), vielversprechende „Newcomer“ (z. B. Josephine Martz und Anno Kaspar Friedrich von Heimburg), Soap-Veteranen mit einer gemeinsamen Vergangenheit (z. B. Sarah Maria Besgen und Gabriel Mertz bei «Rote Rosen» sowie Raphaël Vogt und Anne Brendler bei «Gute Zeiten, schlechte Zeiten») oder Akteure mit einem sehr authentischen Spiel und gutem Gespür für Timing (Mirco Reseg, Franziska Breite, Marc Barthel, Lennart Borchert und Michael Krabbe) – hier wurde zweifelsohne sehr planvoll gecastet.

Wenn es also bei «Alles oder Nichts» bei der Beurteilung von Autoren-Entscheidungen unzählige Male auf den Blickwinkel und die persönliche Präferenz ankommt, drängt sich eine Frage geradezu auf: Hätte es eine erfolgsversprechendere Alternative zum gewählten Konzept beziehungsweise der gewählten Ausstrahlungsstrategie gegeben? Setzen wir einfach einmal voraus, dass man hinterher immer schlauer und es mit Garantien in dieser Branche so eine Sache ist, wäre es sicher ratsam, nicht mit einem zu lauten „Ja“ zu antworten – selbst wenn man von der eigenen Idee komplett überzeugt ist. Dennoch sollte ein denkbares Modell in diesem Rahmen nicht unerwähnt bleiben: Die ProSiebenSat.1-Gruppe hat bekanntlich kürzlich Joyn respektive dessen Premium-Variante JoynPlus+ gestartet und bewirbt seinen Service seither im großen Stil. Vor allem aber investiert man in die unterschiedlichsten Eigenproduktionen. Und «AoN» wäre dann – im Fall der Fälle – selbstredend nicht eine unter vielen gewesen, sondern die erste exklusiv für einen Streamingdienst produzierte Soap Deutschlands – wer sich einmal die Mühe macht und die Kommentarspalten unter den auf YouTube nach wie vor vom Sender bereitgestellten Folgen überfliegt, wird zudem feststellen, dass gerade die jüngere Zielgruppe dem Format offenbar eine Menge abgewinnen konnte.



Und im Zuge solcher Überlegungen, hätte man vermutlich auch diskutiert, ob unter diesen Vorzeichen nicht eventuell sogar die Realisierung einzelner Staffeln mit längeren Folgen der Königsweg gewesen wäre. Dass «Dynasty» oder «Riverdale» VoD-Hits sind, kommt immerhin nicht von ungefähr, und unterschlagen werden sollte an dieser Stelle auch nicht, dass Sat.1 von Producers at Work keinen originären Stoff hat entwickeln, sondern vielmehr die (mittlerweile eingestellte) australische Weekly «Filthy Rich» hat adaptieren lassen. Und diese wiederum dient nun einem Drama gleichen Namens als Vorlage, das 2020 in den USA bei FOX das Licht der Welt erblicken wird (und wenig später mutmaßlich auch in Deutschland) sowie einer «Sex and the City»-Ikone zu einem vielbeachteten Comeback verhelfen könnte: Denn hier „trauert“ niemand Geringeres als Kim Cattrall um ihren Mann. Für diejenigen, die nach dem „Brock-Show-Showdown“ immer noch nicht genug von „Erbschaftsstreitigkeiten 2.0“ haben, wäre folglich diese Sendung eventuell in einigen Monaten eine ernsthafte Option.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
TwistedAngel
29.01.2020 11:24 Uhr 1
Hey Flori,



kannst du nicht auch mal was zu "Hinter Gittern" bringen - zwar keine Daily, aber eine Weekly Soap? Bitte ... irgendwas ^^
tommy.sträubchen
29.01.2020 18:49 Uhr 2
Hinter Gittern lief von 1997-2007 ich glaube dann müsste man das Forum Soap Klassiker von den USA über Deutschland nach Kanada nennen ....is doch logo das es hier mehr um aktuelles geht. Aber ich mochte HIGI auch genauso wie Melrose Place....hach die 90iger
TwistedAngel
29.01.2020 21:13 Uhr 3


Naja es ging ja auch schon um WzG und VL - auch alles längst abgesetzt, genau wie AoN auch ;)

Man könnte ja in Zuge dessen auch Block B, Wentworth, Oitnb & Co. beleuchten, quasi die ganze Frauenknast-Thematik und welche Chancen sie in Deutschland noch hat ... davon würde ich mir sogar ne Scripted Reality angucken ':)
berlinertyp
29.01.2020 21:28 Uhr 4
Aus erster Hand weiß ich, dass ich die Produktion leider sehr chaotisch begonnen hat ... die Drehbücher der ersten Folgen waren schlecht recherchiert und voller inhaltlicher Fehler ... man erzählte zu schnell zu viele Geschichten.



Die Soap hatte eine schöne Optik und ich hätte es Sat.1 wirklich gewünscht mit etwas anderem als Scripted Reality erfolgreich zu werden -- aber leider, leider...
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