First Look

«Quicksand»: Warum läuft Frau N. Amok?

von

Eine intelligente junge Frau aus gutem Hause ist Hauptverdächtige für den Amoklauf an ihrem Gymnasium. Da passt was nicht zusammen – und die schwedische Netflix-Serie erzählt das außergewöhnlich stark.

Cast & Crew

Produktion: FLX
Autorin: Camilla Ahlgren
nach dem gleichnamigen Roman von Malin Persson Giolito
Darsteller: Hanna Ardéhn, Felix Sandman, David Dencik, Anna Björk, Rebecka Hemse, Iris Herngren, Kalled Mustonen u.v.m.
Executive Producer: Pontus Edgren und Martina Håkansson
Blutüberströmt steht die Stockholmer Gymnasiastin Maja Norberg (Hanna Ardéhn) inmitten der Leichen ihrer Mitschüler. Gerade wurde ihre ganze Klasse zusammengeschossen. Als sie traumatisiert von Ärzten und Polizisten aus der Gefahrenzone verbracht wird, kollabiert sie. In der Klinik nimmt man ihr erst einmal sämtliche Kleidung ab und scheint weniger besorgt um ihr körperliches und seelisches Wohlergehen zu sein, als darüber, ja keine Beweismittel verschüttgehen zu lassen. Das hat Gründe, wie uns Zuschauern ebenso plötzlich wie ihr und ihren Eltern mitgeteilt wird, als Maja nach der ärztlichen Untersuchung schnurstracks in den Knast abtransportiert wird: Sie ist die Hauptverdächtige der Bluttat.

Das ist irgendwie schwer vorstellbar, denn Maja passt ums Verrecken nicht ins Klischeebild des ausgegrenzten, zurückgezogenen, pathologischen Amokläufers. Ebenso wenig findet sich auch nur der Ansatz eines Motivs. Doch die Polizei schießt sich zusehends auf ihren Boyfriend Sebastian (Felix Sandman) ein, mit dem sie liiert ist, seit sie sich letzten Sommer im Südfrankreichurlaub nähergekommen sind. Während Maja einer gutbürgerlichen Familie (Mutter Anwältin, Vater leitender Angestellter) entstammt, sprengt das Vermögen von Sebastians Vater – ebenso wie dessen Schnöseligkeit – alle Vorstellungen: eine Luxusyacht mit zahlreichen Angestellten, sündhaft teurer Champagner und die Möglichkeit, alle Probleme des täglichen Lebens (etwa Sebastians Mutter, die vor einigen Jahren einfach verschwand) an irgendwelche Handlanger outzusourcen. „Wir bringen den Müll nicht selber raus, dafür haben wir Leute“, ist sein Leitmotiv. Doch auch diese Figur ist vielschichtig und auf den ersten Blick nicht leicht durchschaubar entworfen, und die Serie versteht, dass sie sich die geradezu unmenschliche Überheblichkeit dieses Mannes nicht in einer abstoßenden Fassade vorstellen darf, sondern in einem charmanten, verbindlichen, attraktiven Äußeren.

Das Spiel um die „Wahrheit“, was sich tatsächlich an jenem verhängnisvollen Morgen im Stockholmer Klassenzimmer ereignet hat, wird sich durch die ganze Serie ziehen. Mal wird die Hypothese der Täterschaft von Maja (und Sebastian) infrage gestellt, manchmal überdeutlich bestätigt werden: etwa in der allerletzten Szene der ersten Folge, in der die beiden als letzte den Raum betreten, sich die Tür schließt und prompt die ersten Schüsse fallen.

Doch «Quicksand» spielt nicht nur mit großem dramaturgischen Verständnis auf der Thriller-Klaviatur, wenn auch – Netflix-typisch – in etwas langsamerer Geschwindigkeit, was einerseits größere Räume zur psychologischen Betrachtung der Figuren eröffnet, andererseits aber erzählerische Dynamik nimmt. Vielmehr hat diese Serie neben einem clever strukturierten Spannungsbogen auch spannende Charaktere zu bieten, die sich keinen Stereotypen zuordnen lassen.

Dabei ist nach der ersten Folge noch weitgehend offen, womit sich «Quicksand» nun eigentlich im Kern beschäftigen wird: mit der Geschichte, wie intelligente Kinder aus gutem Hause trotz allem zu Mördern werden; oder wie sich eine junge Frau nach einem schwersttraumatisierenden Ereignis auch noch damit abfinden muss, dass sie möglicherweise die nächsten Jahrzehnte unschuldig hinter Gittern verbringen wird? Vielen anderen Serien würde man diese Offenheit als Kritikpunkt vorwerfen. Doch bei «Quicksand» ist sie eben keine erzählerische Schwammigkeit, die aus unklaren Überlegungen herrührt, sondern ein Beleg dafür, wie gelungen ambivalent und trotzdem deutlich Figurenzeichnungen ausfallen können, wenn eine Autorin nur ganz genau weiß, was sie erzählen will.

Netflix zeigt «Quicksand» ab Freitag, dem 5. April.

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