Interview

«Berlin - Tag & Nacht»-Produzentin Marie Hölker: „Die vielen Veränderungen sind ein immenser Kraftakt“

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Seit vergangenem Herbst arbeitet Marie Hölker jetzt als Produzentin für «Berlin – Tag & Nacht». Sie wechselte von der Konkurrenz, von «Gute Zeiten, schlechte Zeiten»: Die authentische RTL II-Soap will sie jetzt Rejustieren. Erste Veränderungen sind auf dem Schirm schon zu sehen, weitere sollen folgen. Mit uns sprach sie über «Köln 50667» als Vorbild, die Streitkultur in ihrer Serie, das neue Arbeiten mit Regisseuren sowie die geänderte Vermarktung der «BTN»-Stars.

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Die Fans wissen inzwischen, dass es Autoren gibt, sie wissen, dass Krätze von Marcel Neue verkörpert wird. Es gibt Szenen, in denen wirft die Vorstellung, dass ein Dokumentarfilmer mit vor Ort ist, Fragen auf - das lenkt womöglich von den Emotionen ab und schafft dann Distanz statt Nähe.
Marie Hölker, seit Ende 2017 Produzentin von «Berlin - Tag & Nacht»
Auffallend ist, dass Sie sich jüngst in Sachen Schnitt vom ganz starken Doku-Konzept mit einer Kamera verabschiedet haben. Auch die Interview-Statement-Passagen sind entfallen. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Zunächst geht es immer darum: Wie ermöglichen wir unserem Publikum, unseren Figuren nah zu kommen? Ihnen in die Seele zu schauen? Im Hinblick darauf müssen wir uns fragen, ob bisherige Stilmittel dem Format immer noch dienlich sind oder zunehmend Einschränkungen mit sich bringen. Die Fans wissen inzwischen, dass es Autoren gibt, sie wissen, dass Krätze von Marcel Neue verkörpert wird. Es gibt Szenen, in denen wirft die Vorstellung, dass ein Dokumentarfilmer mit vor Ort ist, Fragen auf - das lenkt womöglich von den Emotionen ab und schafft dann Distanz statt Nähe. RTL II hat zwischenzeitlich seinen Claim geändert - von "It's fun" zu "Zeig mir mehr" und eigentlich ist genau das auch die Entwicklung, um die es bei «BTN» geht: Mehr als bisher sichtbar zu machen. Etwa die Innenwelten unserer Charaktere. Und ihre Gesichter!

Dazu gehört auch, dass die Schauspieler nun mit ihrem echten Namen vermarktet werden. Die alte Vorgabe, dass Krätze auch nur als Krätze Interviews gibt, war inzwischen zu sehr Einschränkung?
Die Identität von Rolle und der sie verkörpernden Person birgt auf Dauer Risiken. Erfahrene Berufsschauspieler berichten, wie sie prägende Rollen mühsam wieder abschütteln müssen. Wir erzählen zum Teil ja sehr heftige Stories in der Serie, nehmen Sie den kürzlich ausgestrahlten Vergewaltigungsversuch, es ist dann wichtig, dass den Beteiligten bewusst ist, dass es nur eine Rolle ist. Es muss zudem auch möglich sein, dass sie mit ihrer Leistung wahrgenommen werden, dass man ihre Namen kennt, dass sie sich etwas aufbauen können, entdeckt werden können und dann gegebenenfalls über «BTN» hinaus ihren Weg in der Branche machen.

Welche weiteren Veränderungen haben Sie bis dato vorgenommen?
Wir sind als erstes ans Storytelling gegangen - wir erzählen jetzt etwas langsamer, vielschichtiger, schauen genauer hin, es geht uns weniger um Action als um Emotion. Dann haben wir das Drehsystem verändert, um eine gestaltende Regie zu ermöglichen. Seit Anfang des Jahres drehen bei «BTN» gestandene Regisseure mit der ganzen Bandbreite an Erfahrungen von Serie bis Kinofilm wie auch Nachwuchstalente; sie alle eint, dass sie große Lust auf das Format haben und es mitprägen wollen. Die Serie entwickelt sukzessive einen neuen Stil. Für die Produktion sind die vielen Veränderungen in so kurzer Zeit ein immenser Kraftakt - man kann gar nicht genug Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen in Autorenteam, Cast, Regie, Produktion und Postproduktion haben, die die damit verbunden Herausforderungen tagtäglich meistern.

«BTN» ist bekannt für eine relativ hohe Konfliktdichte bei den handelnden Figuren. Welches Bild der Konfliktlösung hat die Serie ihren vorrangig jungen Zuschauern vermittelt und welches soll es Ihrer Ansicht nach in Zukunft vermitteln?
Da muss man genau hinschauen. Es gab bei «BTN» zuletzt eine relativ einheitliche Streitkultur: Laut werden, sich anschreien, dabei auch ordentlich Kraftausdrücke und Beleidigungen verwenden, hin und wieder kam es auch zu Gewalt. Die anschließende tatsächliche Konfliktlösung folgte aber meistens dem ganz üblichen Wertekanon, der Konflikt wurde verhandelt, man suchte den jeweils anderen zu verstehen, sah eigene Fehler ein, entschuldigte sich aufrichtig und versprach, es beim nächsten Mal besser zu machen. Daran gibt es nichts zu ändern. Die einheitliche Streitkultur hingegen haben wir schon aufgebrochen, denn wenn Wut, Kränkung und Verletzung ständig dazu führen, dass Männer oder Frauen andere Frauen als "Bitch" oder "Schlampe" beschimpfen und Männer sich körperlich angehen, dann vermittelt sich das Bild, dass man so auch die eigene Wut adäquat ausdrücken kann, vielleicht sogar ausdrücken muss, um ernstgenommen zu werden. Tatsächlich reagieren Menschen aber ja ganz verschieden auf Kränkungen: mit Ärger, mit Aggression, mit Traurigkeit, mit Überforderung, laut, still, um Klärung bemüht oder eskalierend - das müssen wir in Zukunft alles abbilden.

Lesen Sie auf der kommenden Seite: «BTN» verzichtet als Soap seit jeher auf klassische Antagonisten. Bleibt das so? Und was kann man sich in Berlin vom Kölner Lead-In abschauen?


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