Die Kino-Kritiker

«Sherlock Gnomes»: Die amüsante Fortsetzung eines Fremdscham-Trickfilms

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Einige Jahre nach «Gnomeo & Julia» läuft ein Sequel an, das wohl kaum jemand verlangt hat, aber erfreulicherweise viel besser ist als sein Vorgänger.

Filmfacts: «Sherlock Gnomes»

  • Regie: John Stevenson
  • Produktion: David Furnish, Steve Hamilton Shaw, Carolyn Soper
  • Drehbuch: Ben Zazove
  • Story: Kevin Cecil, Andy Riley, Emily Cook, Kathy Greenberg
  • Musik: Chris Bacon
  • Schnitt: Prakash Patel, Mark Solomon
  • Laufzeit: 88 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Magere Erzählkunst brachte uns das Jahr 2011. Manch einer behauptet, wahrscheinlich übertreibend, dass die Sonne damals vor Kummer ihr Gesicht verbarg. Doch es hilft nichts: Wir müssen auf diese schlimmen Dinge zurückblicken. Einige strafen, andere nicht. Ein größeres am Computer animiertes, auf Shakespeare basierendes, Disney-finanziertes Elend gab es nirgendwo, als das von Julia und ihrem Gnomeo!

Rückblickend hätte man das Desaster wohl kommen sehen müssen. Die Storyautoren John R. Smith und Rob Sprackling sowie Steve Hamilton-Shaw (Präsident von Elton Johns Produktionsfirma Rocket Pictures) verkauften vor rund 17 Jahren an den Disney-Konzern die Filmidee eines Trickmusical über Gartenzwerge, das mit Elton-John-Archivmusik vollbepackt die Geschichte von Romeo und Julia nacherzählt. Zunächst bei den Walt Disney Animation Studios untergebracht, wurde das Projekt nach einem Führungswechsel im Frühjahr 2006 gekippt. Begründung: Die Idee habe wenig Reiz für Kinder, Erwachsene würden das zwangsweise veränderte Ende beklagen, und generell sei die Idee unfähig, eine abendfüllende Filmlänge zu tragen.

Doch diese Entscheidung stieß in anderen Teilen des Konzerns auf Gegenwehr. Bei Walt Disney Records habe man laut einigen Disney-Insidern zu diesem Zeitpunkt bereits von einer mehrfachen Platinauszeichnung für den Filmsoundtrack geträumt, die man mit einem Elton-John-Best-of-Album, das zudem ein paar neue Lieder enthält, ganz sicher abgeräumt hätte. Also wurden Notsitzungen einberufen, in deren Folge eine Lösung gefunden wurde: Man könnte «Gnomeo & Julia» zum damals zu Disney gehörenden Erwachsenen-Label Miramax Films abschieben und zu einem quirlig-bösen, weniger familienfreundlichen Film modellieren. Dort erst einmal geparkt, tat man sich weiterhin schwer, die Elemente "Liebesgeschichte, die das Publikum ernst nehmen soll", "Shakespeare-Parodie mit Zwergen" und "Elton-John-Musik" unter einen Hut zu bringen.

Letztlich wurde «Gnomeo & Julia» sehr wohl zu einem kinderfreundlichen Film, zum unpopulär gewordenen Disney-Sublabel Touchstone Pictures abgeschoben und weitestgehend um die Musical-Elemente erleichtert, um stattdessen die zu bewerbenden Songs meist bloß im Hintergrund zu spielen. Bei einer so kalkulierten und dennoch konzeptlosen Produktionsgeschichte waren nach Veröffentlichung im Jahr 2011 die Kritikerschelten nahezu vorprogrammiert und das Soundtrackalbum wurde auch nicht zum erwarteten Kassenschlager. Trotzdem krebste «Gnomeo & Julia» weltweit zu einem Einspielergebnis von 194 Millionen Dollar – Disney- und Pixar-Trickfilme würden bei diesen Gesamteinnahmen bekümmert Tränen vergießen, aber bei einem Budget von 36 Millionen Dollar kam noch immer ein Profit zustande.

Es braucht keinen Meisterdetektiv, um zu kombinieren, was all dies mit «Sherlock Gnomes» zu tun hat: Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis Rocket Pictures vermeldete, an einer Fortsetzung von «Gnomeo & Julia» zu arbeiten. Im September 2012 wurde mit John Stevenson ein Regisseur gefunden, der Kelly Asbury, den Regisseur des Originals, vertreten kann, da dieser bereits einwilligte, für Sony «Die Schlümpfe – Das verlorene Dorf» zu inszenieren. Mit Paramount Pictures fand Rocket Pictures außerdem einen neuen Geschäftspartner, um den nicht weiter interessierten Disney-Konzern zu ersetzen.

Aber auch Paramount hatte es nicht eilig mit «Sherlock Gnomes» und verschob den Film vom zunächst geplanten Start im Mai 2017 auf einen Filmstart im späten Frühling des Jahres 2018. Angesichts dessen, dass «Sherlock Gnomes» nicht etwa die Idee des Erstlings nimmt und schlicht auf ein anderes Stück britischer Kultur anwendet, sondern sowohl «Sherlock Holmes»-Parodie ist als auch eine Weitererzählung der Ereignisse aus dem popkulturell eher irrelevanten «Gnomeo & Julia» eine durchaus gewagte Entscheidung. Doch wider aller Erwartungen ist dennoch bei dem Ganzen eine sympathische Trickkomödie herausgekommen.

«Sherlock Gnomes» handelt davon, wie die Besitzer von Gnomeo und Julia nach London ziehen, nicht wissend, dass dort gerade eine Reihe von Gartenzwergdiebstählen stattfindet. Diese belastet alsbald das eh schon angeknackste Glück des verliebten Zwergenpaars, denn seit sie von ihren Familienältesten zu den neuen Obersten im verzierten Stadtgarten gewählt wurden, machen sich die unterschiedlichen Führungsstile und Prioritäten bei Gnomeo und Julia bemerkbar. Als nahezu ihre gesamte Verwandtschaft gestohlen wird, intensivieren sich die Spannungen zwischen ihnen – und die gut gemeinte, jedoch arrogant angebotene Hilfe des Meisterdetektivs Sherlock Gnomes wirkt alles andere als deeskalierend auf das Pärchen …

Was Drehbuchautor Ben Zazove («Zahnfee auf Bewährung 2») und Regisseur John Stevenson («Kung Fu Panda») aus dieser Grundlage spinnen, ist überraschenderweise tonal versierter als der Vorgängerfilm. Vielleicht liegt es daran, dass nicht weiter die Zwickmühle gemeistert werden muss, eine Happy-End-Version von «Romeo & Julia» zu erzählen und dabei ebenso kindertauglich wie verquer vorzugehen. Während sich der Vorläufer verhedderte, präsentiert sich «Sherlock Gnomes» geradeheraus als freudig-alberne, persiflierende «Sherlock Holmes»-Hommage im Gartenzwerg-Setting. Dass das Paar, dem der dekorative Keramik-Holmes aushilft, eine "«Romeo & Julia» light"-Vorgeschichte hat, ist da ein kurioser, aber nur nebensächlicher Umstand.

Unter anderem wird die komplizierte Dynamik zwischen Holmes und Watson amüsiert-spitzfindig ins Extreme gezogen, Holmes' berühmter Gedankenpalast in Form surrealer Zeichnungen illustriert, die klischeehafte Skizzierung asiatischer Einwanderer in vielen «Sherlock Holmes»-Versionen durch massiv-verspielte Übertreibung durch den Kakao gezogen und wiederholt keck auf die Grinse-Interpretation Moriartys in der BBC-Serie verwiesen.

Zazove gelingt es, diese Referenzen mit einer beiläufigen Leichtigkeit aneinanderzureihen, so dass es nie so scheint, als würde der Film für eine Anspielung anhalten. Damit ist dann auch Holmes-Neulingen geholfen, die die Figur nur vom Hörensagen kennen oder (was für das Kinderpublikum wichtig ist) sie sogar überhaupt nicht kennen. Für jene ist «Sherlock Gnomes» ein schlichtes, leichtfüßig-verrücktes Trickvergnügen mit kauzigen Charakteren. Darüber hinaus sind die zentralen Figuren, bei aller parodistischen Vereinfachung, mit der sie geschrieben sind, in sich stimmig – der obligatorische Streit zwischen den Liebenden bricht zwar etwas erzwungen herein, allerdings sind die Positionen Gnomeos und Julia nachvollziehbar. Damit hat «Sherlock Gnomes» seinem Vorgänger und zahllosen weiteren Familientrickfilmen aus der zweiten und dritten Reihe allerhand voraus, selbst wenn die Nebenfiguren rein funktional dargestellt sind.

Tricktechnisch ist «Sherlock Gnomes» unterdessen eine leichte Verbesserung gegenüber dem ersten Teil. Die Animatoren nutzen die Limitierungen ihres Budgets hier insofern clever, als dass die Hauptfiguren in ihrer Mimik und Gestik mit Bedacht eingeschränkter sind als etwa Pixar-Helden oder die Minions. Die limitierten Ausdrucksmöglichkeiten der Figuren verstärken so nur ihr Auftreten als Gartenzwerge, wozu auch die minimalen Risse an ihrer Oberfläche beitragen – Emotionen, und seien es auch minimale Gefühlsregungen wie ein unterdrückt-zufriedenes Grinsen, bringen die Figuren noch immer zum Ausdruck. Die Hintergründe, durch die sich diese Figuren bewegen, sind wiederum am heutigen Maßstab gemessen solide, ebenso wie tierische Nebenfiguren.

Wann immer «Sherlock Gnomes» doch mal seine Linie verlässt, um etwa die Dramatik zu erhöhen, überhebt sich dieser animierte Krimispaß allerdings. Beim Spiel mit Gefühlen haben die großen im Trickgeschäft nun einmal ein besser erprobtes Händchen und zudem mehr Geduld, Erzählzeit darin zu investieren. Genauso haben die meisten Illumination-Entertainment-Filme, wie «Pets» oder die ersten beiden «Ich – Einfach unverbesserlich»-Teile, eine etwas höhere Gagfrequenz. Mit seinen weniger als 90 Minuten Laufzeit und seiner zügig erzählten Verschränkung zwischen dem Krach der Liebenden und dem vertrackten Fall Holmes' lässt «Sherlock Gnomes» jedoch keinen Leerlauf aufkommen, durch den diese Problemchen groß ins Gewicht fallen würden.

Fazit: Das kommt unerwartet: Nach dem peinlichen Vorläufer ist «Sherlock Gnomes» ein erfrischender, leichtfüßig-albernes Trickabenteuer für Sherlock-Holmes-Kenner und jene, die Kinder mit dem Meisterdetektiv anfixen wollen.

«Sherlock Gnomes» ist ab dem 3. Mai 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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