Sonntagsfragen

Sonntagsfragen an Matthieu Carrière

von
In «Anna und die Liebe» spielt Matthieu Carrière den Agenturchef Robert Broda. Mit Quotenmeter.de sprach er über die zurückliegenden 20 Jahre seines Lebens, die nicht einfach waren. Weil er sich für das Kindheitsrecht eingesetzt hat, wurde der Schauspieler abgestraft. Wie er die Zeit überstanden hat und welche Pläne er nun hat.

Herr Carrière, wie geht es Ihnen?
Ausgezeichnet. Mir geht es besser als in den vergangenen 20 Jahren.

Sie haben keine leichte Zeit hinter sich…
Richtig. Zwei Sorgerechtsprozesse in drei Ländern, vier Wohnsitze. Ständiger Kampf für Kinderrechte und der damit verbundene Spott, die Häme und Schadenfreude.

Das ist eine ganze Menge. Sie haben sich – wie schon gesagt – für die Rechte der Väter…
…das stimmt schon mal nicht. Ich habe nie für die Rechte der Väter gekämpft, sondern immer für die Rechte der Kinder.

…für die Rechte der Kinder gekämpft. Welche Reaktionen hat dies ausgelöst?
Kein Widerstandskampf löst nur positive Reaktionen aus, das war mir klar. Ich wollte immer eine Reform des Kindschaftsrechts hier in Deutschland – wir waren in diesem Punkt noch sehr rückständig. Die Väter und vor allem die Kinder von unverheirateten Eltern wurden vom Gesetzgeber her einfach benachteiligt. Wenn du aber so etwas verändern willst, dann wirst du zunächst immer als Terrorist bezeichnet. Die Wahrheit wird zunächst verhöhnt und letztlich als selbstverständlich angenommen. Ich brauchte die negativen Reaktionen, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Ich stehe zu meinen Interventionen und meine Kinder sind stolz auf mich.

Das können sie sicherlich sein, aber dennoch gab es sicherlich Momente, in denen Sie ganz anders fühlten…
Ich habe mich geoutet – als Gegner unseres Kindschaftsrechts. Als Betroffener. Nach meiner öffentlichen Kreuzigung habe ich im Internet fünf Millionen Einträge bekommen. Einträge von Menschen, die mich beschimpft haben oder sich bedankt haben und unsere Sache unterstützen wollten. Nicht nur hier aus Deutschland – sondern aus der ganzen Welt. Also habe ich weitergemacht. Ich und viele andere haben die Politiker gezwungen, sich mit diesen Dingen auseinander zu setzen. Und die haben zunächst natürlich mächtig geschimpft. Wir gingen im Dreischritt voran: 1. Provozieren, 2. zur Argumentation zwingen und schließlich 3.etwas verändern.

Wie hat das die Mutter Ihrer Töchter aufgenommen? Die dürfte ja nicht sonderlich erfreut gewesen sein.
Mein Handeln hat sich nie gegen die Frauen gerichtet, sondern gegen die Richter. Die Frauen werden vom Staat und von der Rechtsprechung geschützt, nicht die Kinder. Die Mutter meines Kindes war anfangs sicherlich verletzt, weil sie das nicht verstanden hat. Inzwischen gehen wir allerdings sehr kooperativ miteinander um.

Man hört, Sie seien kein einfacher Typ, Herr Carrière…
…nicht so einfach wie «Spongebob», das ist wahr. Aber wenn ich so etwas höre, dann frage ich zurück: Kennen Sie mich? Meist sind das ja eher Spekulationen. Anderseits: Nicht einfach zu sein ist auch gar nicht schlimm. Jesus war sicherlich auch nicht einfach oder bequem. Ich zeige Zivilcourage, ich bin ein Freigeist, interveniere gern. Das macht mir Spaß. Ich kämpfe gegen jedwede Form von Ungerechtigkeit.

Das sind sehr positive Eigenschaften, die Ihre Freunde sicherlich zu schätzen wissen…so etwas gibt es nicht mehr oft heutzutage.
Sie sagen es: Freundschaften sind ganz besonders wichtig im Leben. Gerade in Krisen. Man merkt sehr schnell, wo sich die Spreu vom Weizen trennt. Nach meiner Kreuzigung bin ich auf der schwarzen Liste gelandet. Bayerns Ministerpräsident Stoiber hat drei Jahre Haft für mich gefordert, die Justizministerin fand mein Vorgehen „ekelhaft“. Und sämtliche Journalisten haben nur den trivialen Aspekt betrachtet. Ich habe einmal eine Veranstaltung in der französischen Botschaft abgehalten – um über das Thema Kindschaftsrecht zu informieren. Eingeladen hatte ich 2000 deutsche Journalisten – Raten Sie mal, wie viele gekommen sind.

40?
(grinst) Nein, es waren zwei. Und das waren nicht einmal Journalisten, sondern nur Praktikanten. Diese standen dann u. a. 30 französischen Journalisten gegenüber. Da rauft man sich schon manchmal die Haare.

Es geht Ihnen aber wieder gut, wie Sie sagten.
Dann kam der Mai, der in diesem Jahr wirklich ein Wonnemonat für mich war – drei höchsterfreuliche Ereignisse gab es da: Meine Kinder, die ich über alles liebe, sind endlich bei mir. Nummer 2: Ich habe ein Filmprojekt angestoßen, welches ich im kommenden Jahr – im Anschluss von «Anna und die Liebe» - verwirklichen werde. Und Nummer 3: Ich habe die Anfrage zu dieser Telenovela bekommen.

Gab es in den vergangenen Jahren nicht öfter solche schönen Momente? Ich habe gelesen, dass Ihnen die französische Ehrenlegion die Ritterwürde für Ihre Verdienste in Deutschland und Frankreich verliehen hat.
Das war an dem Tag, an dem die Mutter meiner Tochter mir ihr von mir wegging. Da kann ich mich noch sehr gut daran erinnern. Ich habe diesen Orden im Übrigen für meine Zivilcourage bekommen – das hat mich stolz gemacht. Zwischen Frankreich und Deutschland gibt es große Probleme mit den Kindern, die in Frankreich geboren und dann nach Deutschland verschleppt werden. Diese Auszeichnung wird eigentlich nur ganz selten vergeben, dass ich sie erhalten habe, war ein sehr schönes Zeichen für mich.

Wie Sie schon sagten: Nachdem Sie als „Terrorist“ galten, bekamen Sie in Deutschland keine guten Angebote mehr und haben daraufhin viel in Italien und Frankreich gedreht. Was ist denn Unterschied zwischen dem deutschen und dem italienischen Film?
In Deutschland gibt es keinen wirklichen Film. Alle zwei Jahre schreiben die Franzosen zwar, dass der deutsche Film nun wieder kommen würde, in Wahrheit wird hierzulande aber alles vom Fernsehen beherrscht. Alle guten Leute gehen zum Fernsehen. Zu den Unterschieden: Als Schauspieler bist du in Deutschland „weisungsgebunden“, also in einem reinen Angestelltenverhältnis.

Das ist doch bei «Anna und die Liebe» dann vermutlich auch nicht anders…
Doch. Natürlich nicht - und das ist auch gut so. Hier gibt es einem eine Struktur. Jeden Morgen mit meinem Tretroller an das Set fahren, vor die Kameras springen, schnell arbeiten. Spaß haben. Spät nach Hause fahren. Das ist wie Hochleistungssport.

Herr Carrière, ich muss jetzt doch ein wenig schmunzeln.
Wir arbeiten hier eigentlich wie in einer Fabrik – und ich mag das. Alles muss ruck zuck gehen – und du hast dennoch das Gefühl, dass du etwas mitgestalten kannst, weil ja keiner so wirklich weiß, wie sich die Rollen in den kommenden Monaten entwickeln.

Dennoch hört man eigentlich immer, dass Schauspieler lieber einen Kinofilm machen würden als eine Telenovela.
Die Arbeit ist die Gleiche – egal, ob man König Drosselbart im Kindergarten spielt oder in Hollywood dreht. Die Situation spielen, dabei auf Haltung achten, vom Partner abnehmen und alles so sprechen als würde es einem gerade einfallen. Die Hauptaufgabe des Schauspielers aber ist es, nicht verrückt zu werden.

Verrückt?
Diese unsägliche Warterei bei den anderen Formaten. Da verfällt man manchmal in einen Dornröschenschlaf. Ich habe mir deswegen ein Schubladensystem gebaut.

Jetzt wird’s interessant. Was ist denn Ihr Schubladensystem?
Ganz einfach: Ich mache die Schublade „Drehen“ auf und spiele am Set die Rolle des Robert Broda. Dann mache ich die Schublade zu und öffne die Schublade „Sudoku“. Inzwischen bin ich da schon bei Level 8. Wenn ich dann ein bisschen gerätselt habe, mache ich die Schublade wieder zu und öffne die Schublade Organisation. Ich buche dann Züge für meine Töchter, schreibe SMS an sie. Toll wäre es noch, wenn wir am Set Skat spielen könnten.

Kann das keiner?
Ich kann nicht noch zwei andere Leute in meine Spielwut hineinziehen. „Nur wer nichts braucht, der hat genug“ – und ich fühle mich auch wohl, wenn ich mich mit mir selbst beschäftige.

Also sind Sie ja doch kein schwieriger Typ am Set…
Quatsch. Ich kann mir aber denken, woher dieses Gerücht kommt. Es kann vorkommen, dass ich in bestimmten Situationen sarkastisch werde. Sarkasmus ist – finde ich – die schlimmste Art und Weise jemanden seelisch zu verletzen.

Sie haben es ja schon erwähnt: Sie spielen die Rolle des Robert Broda. Was zeichnet ihn aus?
Er ist älter als 50 Jahre! Ich dachte, ich lese nicht richtig. Noch vor ein paar Jahren hat man nur selten männliche Darsteller besetzt, die älter als 35 sind. Aber Robert Broda ist laut Drehbuch 58. Am Schönsten ist es für mich, dass ich endlich einen normalen Mann spielen darf. Keinen Tierquäler, Bettnässer oder Nazi.

Robert Broda hat eine Affäre…
Ist das nicht auch normal heutzutage? Ist es so ungewöhnlich, dass sich jemand nach 25 Jahren Ehe in eine andere Frau verliebt? Robert steckt am Anfang in einer Krise, aber er wird durch diese Krise in ein neues Leben finden. Robert war früher bestimmt jemand, der `68 gegen den Krieg demonstriert hat, er hat sicherlich auch einmal einen Joint geraucht. Und er war vielleicht auch mal im Knast. Ende der 70er hat er vermutlich angefangen, seine Kreativität zu nutzen und ist in die Werbung gegangen. Er hat sich eine Frau genommen, die dieses Ding mit eiserner Disziplin auf- und durchgezogen hat – und er hat Kinder mit ihr gezeugt.

Roy Peter Link aus «Rote Rosen» spielt nicht nur den männlichen Hauptpart, er ist auch ihr Seriensohn…
Ich bin begeistert von ihm! Das ist ein echter Held. Er hat eine so unglaubliche Präsenz und ein derart großes Gespür – Wahnsinn. Und das alles, obwohl er die Schauspielerei (wie ich selbst) nie gelernt hat. „Learing by Doing“ hat bei ihm gut funktioniert.

Sie leben jetzt in Berlin bei einem Freund in der Wohnung. Ihre Freundin ist in Paris, Sie haben weitere Wohnsitze in Hamburg und Venedig. Wünschen Sie sich manchmal eine ganz normale Familie?
Ich bin nicht einsam. Ich bin allein. Ich habe ein virtuelles Zuhause, das ist Paris – bei meiner Freundin. Geborgen fühle ich mich überall da, wo meine Kinder sind. Das klassische Familienbild geht mir am Arsch vorbei. Ich habe das manchmal, wenn ich bei meinen Eltern bin, dann gibt es am Abend was Leckeres zu essen. Aber das ist mir nicht wichtig. Ich komme mit dem Konzept der „Patchwork-Familie“ besser zurecht.

Herr Carrière, wenn Sie fernsehen, wo schalten Sie sofort weiter?
Bei deutschen Nachrichten.

Und wen wollten Sie schon immer einmal treffen?
Robert Fisk, das ist der Beirut- Korrespondent des Independent.

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Kurz-URL: qmde.de/29184
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