«Der Hauptmann»: Ein unangenehmer, schmerzhafter Film mit Ansage

Verstörend, qualvoll, eindringlich: «Der Hauptmann» ist ein Film, den wohl wenige sehen wollen – den aber alle gesehen haben sollten!

Filmfacts: «Der Hauptmann»

  • Regie und Drehbuch: Robert Schwentke
  • Darsteller: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Alexander Fehling, Bernd Hölscher, Waldemar Kobus, Wolfram Koch
  • Produktion: Frieder Schlaich, Irene von Albert
  • Kamera: Florian Ballhaus
  • Schnitt: Michal Czarnecki
  • Musik: Martin Todsharow
  • Laufzeit: 119 Min
  • FSK: ab 16 Jahren
Willi Herold ist bislang eher eine Randnotiz in der deutschen Geschichtsschreibung – was eine regelrechte Schande ist: Der sogenannte "Henker vom Emsland" sollte auf jedem Geschichtslehrplan stehen und ausführlich behandelt werden. Denn der Fall Herold ist ein erschütterndes Exempel für die Gräueltaten der NS-Zeit, und darüber hinaus eine harsche Lektion, wohin blinder Autoritätsgehorsam, der mangelnde Wille, Abläufe zu hinterfragen und stures Mitläufertum führen können. Eine Unterrichtsreihe über Willi Herold könnte daher die Schrecken des Dritten Reichs deutlich bildlicher zusammenfassen und die Warnung "Nie wieder" wesentlich deutlicher ausformulieren als die wiederholte, trocken-analytische Nacherzählung irgendwelcher Statistiken oder das semi-obligatorische Vorführen eines spröden deutschen Geschichtsdrama vor dem versammelten, gähnenden Klassenverbund.

Wenn Deutschlands bisherige filmische Verarbeitung der zurückliegenden Übel in ihrer Deutlichkeit zu lasch gerät und die hiesigen Lehrpläne in ihrer Betriebsblindheit und verstaubten Vortragspädagogik enttäuschen, nimmt sich halt Filmemacher Robert Schwentke («Tattoo», «Flightplan») der Sache an: Mit «Der Hauptmann» zerrt Schwentke nicht nur eine abscheuliche, erschreckend wenig beachtete wahre Geschichte ins Rampenlicht – er inszeniert zudem den infernalisch-konsequentesten Film, den Kinodeutschland seit vielen Jahren zu sehen bekommen hat.

Die Tortur nimmt ihren Anfang, als der Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) vor anderen deutschen Soldaten flieht, die ihm grunzend hinterherjagen. Als er seine Verfolger abgehängt hat, entdeckt er einen im Schlamm feststeckenden, verlassenen Wagen, in dem sich eine Hauptmannsuniform befindet. Ohne weiter nachzudenken, streift der junge, frierende Soldat diese Uniform über – und so, als wolle er sich selbst unterhalten, ahmt er neben dem Auto das typische Gehabe Ranghöherer nach. Als plötzlich ein weiterer Gefreiter, der zurückhaltende Freytag (Milan Peschel), vor ihm steht, merkt Herold: Sein Gegenüber sucht verzweifelt nach jemandem, der ihm sagt, was er tun soll.

Und so schlüpft Herold vollauf in die Rolle eines NS-Hauptmanns. Was als zum Selbstschutz durchgeführtes Mimikry beginnt, nimmt allerdings im Eiltempo völlig neue Züge an: Mit der Truppe rund um den dubiosen Kipinski (Frederick Lau) im Schlepptau, beginnt die "Kampfgruppe Herold" einen Feldzug durchs Emsland, bei dem sich der als Hauptmann getarnte Gefreite immer tolldreister als enger Vertrauter Hitlers ausgibt und in immer höherer Taktung Blut vergießt …

Regisseur und Autor Schwentke skizziert Schritt für Schritt, wie Herold von einem Wegläufer zu einer herumalbernden Hauptmann-Karikatur und letztlich von einem die Bürokratie in einem Gefangenenlager auf den Kopf stellenden Störenfried zu einer Tötungsmaschine wird. So sehr diese Übergänge durch die gezielt-qualvolle Genauigkeit, mit der Schwentke Wendepunkte ausspielt, und das getragen-intensive Spiel des Hauptdarstellers Max Hubacher glaubwürdig ausfallen, bleiben klaffende Fragen offen: «Der Hauptmann» zeigt die Abläufe in dokumentarischer Genauigkeit, eingefangen in niederschmetternd-eiskalten Schwarz-Weiß-Bildern – doch der psychologisch-erklärende Kommentar bleibt durchweg aus.

Das gehört zu den schmerzhaft konsequenten Aspekten dieses Films. «Der Hauptmann» lässt Herolds Vorgeschichte im Unklaren, übt sich generell nicht in Küchenpsychologie und argumentiert, dass dieses und jenes ja nur so weit gekommen sei weil bla und laberlaber. Schonungslos und direkt setzt uns dieses brutale Drama dem aus, was passiert ist – ohne relativierende, womöglich gar beschwichtigende Erklärungen. Einige der Mechanismen, die diese realen Ereignisse begünstigten, sind offensichtlich – aber Schwentke überlässt es ganz seinem bestürzten Publikum, diese Brotkrumen aufzusammeln. Das Publikum an die Hand zu nehmen, würde ja die Schrecken mildern, die es erläutert haben möchte.

Ebenso beschönigt Florian Ballhaus' Kameraarbeit die stetig eskalierende Ereignisabfolge um keinen einzigen Deut. Obwohl Schwentke nach eigenen Aussagen den Film in Schwarz-Weiß drehte, weil die gewissenlosen Geschehnisse sonst nicht zu ertragen wären, kommt das Monochrome dieses Films auch einem Schlag in die Magengrube gleich. Wäre «Der Hauptmann» ein Farbfilm, wäre er zwar sehr blutig, jedoch ermögliche sich in den härteren Sequenzen somit, je nach persönlicher Einstellung gegenüber Filmgewalt, eine Flucht darin, den erreichten Realismus der Blut- und Schusseffekte zu bestaunen. Das blanke Schwarz-Weiß der weiten Kameraeinstellungen, die Ballhaus hier wählt, verbietet solch eine Flucht, so dass die Ästhetik des Films genauso trostlos ausfällt wie die Seelen seiner zentralen Figuren.

Dass sich vereinzelte, surreal angehauchte Einstellungen in diesen unangenehmen Bilderreigen verirren, mutet förmlich so an, als wolle «Der Hauptmann» seinem Publikum kurze Hoffnungsschimmer vor der Nase halten – ähnlich, wie "Hauptmann" Willi Herold in einer Szene Gefangenen die Illusion gibt, sie hätten eine dezente Chance, der Exekution zu entkommen. Wenn die stählern gefilmten, schnurgerade gen Himmel reckenden und streng nebeneinander gereihten Bäume des Emslandes wie Gitterstäbe anmuten oder ein in Zeitlupe ablaufender Abschnitt einer außer Ruder geratenen Offiziersfeier wie ein Renaissancegemälde wirkt, erzeugt Schwentke kurz Distanz zur garstigen Filmhandlung. Und in einer Filmpassage wird «Der Hauptmann» sogar gvorübergehend zu einer Art Komödie im Volksbühnenstil, wenn im Lager II des Emslandes eifrig telefoniert wird und Paragrafen geritten werden, um den korrekten bürokratischen sowie militärischen Ablauf in Erfahrung zu bringen.

Doch auf diese ästhetischen oder schwarzhumorigen Augenblicke der Erholung folgen umso härtere Momente der Unmenschlichkeit. Bei all dieser pechschwarzen Trostlosigkeit fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass Nebenfiguren wie der von Frederick Lau mit feist-verschmitztem Grinsen gespielte Kipinski, Milan Peschels vorsichtiger Freytag oder Samuel Finzis zunächst verängstigter Roger in ihrer Entwicklung teils Sprünge durchmachen, die schwer nachzuvollziehen sind. Es wird sogar eher aus dem Gegenteil ein Schuh draus – macht «Der Hauptmann» doch mit aller Gewalt erlebbar, welch verhängnisvolle Wirkung bedingungslose Macht (und die Begegnung mit solcher Macht) auf die menschliche Psyche haben kann. Da kann der Eine die Scharade von Anfang an durchschauen und der Andere aus purer Angst mitmachen: Irgendwann nimmt die Individualität einen Knacks mit und es gibt nur noch einen verantwortungslosen Pulk.

Fazit: «Der Hauptmann» ist ein verstörender, gezielt-qualvoller Film über den Faschismus und dessen Folgen. Eindrucksvoller, denkwürdiger und schmerzlicher hat sich das hiesige Kino mit Deutschlands Vergangenheit seit Jahrzehnten nicht mehr auseinandergesetzt – vielleicht sogar noch nie. Ein Film, den wohl wenige sehen wollen – den aber alle gesehen haben sollten!

«Der Hauptmann» ist ab dem 15. März 2018 in einigen deutschen Kinos zu sehen.

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12.03.2018 10:20 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/99596